Prof. Christopher Muller zählt zu den international gefragtesten Experten, wenn es um die wissenschaftliche Betrachtung der Gastronomie geht – in seinem Heimatland USA ebenso wie in Europa. Beim dritten Online Exchange des deutschen Leaders Clubs skizzierte er die Zukunft der Branche mit und nach Corona. Fazit: Es reicht nicht mehr, nur Gastwirt zu sein – in den kommenden Jahren wird es darum gehen, Unternehmen als Multi-Channel-Dienstleister breiter aufzustellen. Chris Muller ist überzeugt: „Wir werden völlig neu darüber nachdenken müssen, was wir für unsere Gäste bedeuten und wie wir ihre Bedürfnisse befriedigen können.“
Christopher C. Muller ist Professor of the Practice of Hospitality Administration und früherer Dekan der School of Hospitality Administration der Boston University. Er trägt unter anderem einen Doktortitel in Hospitaliy Adminstration der weltweit renommierten Cornell Universität und gehört zu den Gastgebern des European Food Service Summit in Zürich. Email: cmuller@bu.edu
„Ich möchte Ihnen in diesen für uns alle und die Welt so schwierigen Zeiten einige positive Botschaften mit auf den Weg geben, wohin die Reise geht“, begann Muller seinen Vortrag im Rahmen des Online-Kongresses mit rund 150 Teilnehmern. „Covid wird nicht für immer bleiben, wir werden die Pandemie kontrollieren. Aber wir werden nicht in ein vielbeschworenes ’neues Normal‘ zurückkehren, sondern in eine ganz neue Realität. Darin wird es Gutes und Schlechtes geben.“
Es zeichne Restaurantbetreiber aus, dass sie von Natur aus aufgeschlossene und positive Menschen seien. „Gleichzeitig sind viele von ihnen risikoscheue Nachmacher, die eher in die Vergangenheit schauen als in die Zukunft“, stellte Muller fest. „Wir rechnen mit denselben Personal- und Warenkosten wie vor einem Jahr, unsere Voraussagen basieren auf früheren Ergebnissen. Wie können wir mit unvorhergesehenen Ereignissen umgehen, wenn wir immer nur das sehen, was wir schon kennen und sehen wollen?“
11. September veränderte die Reisebranche
Die Pandemie habe gezeigt: „Veränderung passiert, ob wir sie kommen sehen oder nicht.“ Chris Muller erinnerte an die Sicherheitsmaßnahmen an Flughäfen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. „Vieles wurde modizifiert und vereinfacht, aber auch 20 Jahre nach den Attentaten sind die Maßnahmen immer noch in Kraft und werden nicht mehr aufgehoben werden. Aber: Es gab seitdem so gut wie keine Flugzeugentführungen mehr. Das System ist unangenehm, doch es scheint zu funktionieren.“
Die neuen Reisebestimmungen verwandelten die Flughäfen weltweit – in in sich geschlossene Shopping- und Erlebnisdestinationen. „Handel und Gastronomie sind aufgrund der langwierigen Sicherheitskontrollen von den Landside- in die Airside-Bereiche gewandert. Gleichzeitig reduzierten die Fluggesellschaften ihr Essensangebot an Bord, um Kosten zu sparen. Womit sie nicht gerechnet haben: Die Passagiere versorgen sich heute viel stärker mit Take-away-Produkten, was zu einem enorm gewachsenen Müllaufkommen in den Flugzeugen führt. Die Einsparungen bei der Verpflegung ziehen also deutlich höhere Reinigungskosten nach sich!“ Das Beispiel zeige: Veränderte Bedingungen verursachen neue Kosten. „Aber“, betonte Muller, „auch neue Möglichkeiten!“
In der Vergangenheit definierte die Anbieterseite die gastronomische Hierarchie, erklärte Christopher Muller: „Wir haben den Gästen gesagt, was sie in welchem Konzept erwarten können. Heute sind die Gäste mit dieser Aufteilung nicht mehr zufrieden, sondern wollen Konzepte, die ihnen in allen Lebenslagen etwas bieten.“
Neue Kompetenzen, neue Kosten
So eröffne die durch Corona vorangetriebene Digitalisierung zahlreiche Gelegenheiten, die Kommunikation mit Stammgästen zu intensivieren, führte Muller aus. Aber: „Mehr Technologie im Restaurant-Management wird nicht weniger Personalkosten bedeuten! Im Gegenteil!“ Digitalisierung bringe vielmehr die Notwendigkeit neuer Jobs und Kompetenzen mit sich, in die Gastronomen investieren müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Auch Homeoffice sei für die Branche ein Thema: „Zwar kann die traditionelle Restaurant-Arbeit nicht zu Hause erledigt werden, die neuen technologiebezogenen Aufgaben aber sehr wohl!“
Muller betonte: „Restaurants sind schon heute hochtechnisierte, ausgesprochen komplexe Organisationen.“ Gastronomen seien tatsächlich so etwas wie Software-Entwickler: „Sie erarbeiten und definieren Prozesse, die man braucht, um komplexe Systeme zu betreiben – und das, während die Hardware in jedem Restaurant mehr oder weniger dieselbe ist. Was sie differenziert, sind ihre einzigartigen Wege, um eine Gasterfahrung zu kreieren. Wie sich Apples Betriebssystem iOS von Android unterscheidet, so unterscheidet sich McDonald’s von Burger King.“
„Es geht um die Erlaubnis, auf dem Telefon Ihrer loyalen Gäste präsent zu sein und rund um die Uhr mit Ihnen zu kommunizieren. Das ist die neue Definition von Location, Location, Location!“
Bequemlichkeit und Erlebnis
Die Wahrnehmung der Gäste und ihre Erwartungen an die Branche veränderten sich gerade rasant, erklärte Muller. „Gastronomen müssen sich mehr denn je Gedanken machen, wie ihre Gäste ihr Angebot und ihre Dienstleistung beurteilen. Die Zeiten, in denen Unternehmer ihr Konzept definieren, sind vorbei. Heute definieren die Kunden, was sie von einem Anbieter wollen und erwarten. Bequemlichkeit und Erlebnis spielen eine immer wichtigere Rolle. Für diejenigen, die sich Gedanken machen, wie sie diesen veränderten Konsumgewohnheiten entsprechen können, eröffnen sich dadurch ganz neue Möglichkeiten.“
Neue Einkommensquellen ergeben sich Muller zufolge aus Ghost Kitchens mit mehreren kulinarischen Profilen, Restaurants mit mehr Außenplätzen, stabilisierten Kosten für Delivery, nachhaltigerem Energieverbrauch und umweltfreundlicheren Verpackungen, mehr pflanzlichen Gerichten und intelligentem Technologieeinsatz. „Alles, was jetzt auf unserer To-Do-Liste steht, wird 2025 ganz normal sein. Der Wandel wird schnell, aber kaum wahrnehmbar sein.“
Handy ist die neue High Street
Im Lockdown sei das Handy zur neuen High Street geworden, erklärte Muller. „Ein paar Quadratzentimeter sehr teure Fläche. „Es geht um die Erlaubnis, auf dem Telefon Ihrer loyalen Gäste präsent zu sein und rund um die Uhr, beispielsweise via Text Message, mit ihnen zu kommunizieren. Das kann 20 Prozent und mehr Ihrer Umsätze ausmachen – die neue Definition von Location, Location, Location!“ In Zukunft müsse jedes Gastro-Unternehmen Positionen wie Website Content Manager, Customer Experience Managers usw. schaffen – Jobs, die es in der Branche vor fünf Jahren noch kaum gab. „Das Internet wird zur Plattform, um Restaurants zu managen“, fasste Muller zusammen.
Größte Disruption seit den 50er Jahren
Corona habe nicht nur Horrorgeschichten, sondern auch Erfolgsstorys geschrieben, sagte Muller und verwies auf die Professionalisierung von Liefer- und Take-away-Angeboten in vielen Bereichen, vor allem des Quickservice-Kanals. Dabei geht es darum, alle Schritte des Kaufprozesses zu begleiten und zu kontrollieren, um dem Gast das Restauranterlebnis nach Hause zu bringen. „Sobald das Licht am Ende des Pandemie-Tunnels heller wird, werden wir in allen entwickelten Märkten eine enorme Breite an Möglichkeiten sehen: Es handelt sich um die größte Disruption der Branche seit der Erfindung des Fast Foods in den Fünfziger Jahren. Jetzt erleben wir die Geburtsstunde des Multi-Channel-Restaurants!“
Die Bedeutung von Restaurants im Alltag der Menschen werde wachsen, prognostizierte Chris Muller. „Nicht als Platz, um essen zu gehen. Sondern als Rund-um-die-Uhr-Anbieter für alle möglichen kulinarischen Kreationen für jede Gelegenheit – von der eigenen BBQ-Sauce für zu Hause bis hin zum fertig gemixten Cocktail to go. „
Konsumenten treiben den Wandel voran
Der Wandel werde ebenso durch die Branche selbst vorangetrieben wie auch durch die sich verändernden Bedürfnisse der Gäste, „Bedürfnisse, an die wir selbst vielleicht selbst noch gar nicht denken.“ Nach wie vor – nach dem Lockdown vielleicht sogar mehr denn je – wollen die Verbraucher Essen, das jemand anders für sie zubereitet – sei es im Restaurant oder aus dem Supermarkt. „Unsere Herausforderung liegt darin, zu beeinflussen, wo sie es finden und konsumieren“, erklärte Muller. Diese Verschiebung im Verbraucherverhalten sei allerdings schon vor der Pandemie erkennbar gewesen. „Corona hat sie nur beschleunigt.“
Neue Verdienstmöglichkeiten für Gastronomen ergeben sich laut Muller beispielsweise aus Ghost Kitchens mit mehreren kulinarischen Profilen, mehr Außenplätzen, stabilisierten Kosten für Delivery, nachhaltigerem Energieverbrauch und umweltfreundlicheren Verpackungen, mehr pflanzlichen Gerichten und intelligentem Technologieeinsatz. „Alles, was jetzt auf unserer To-Do-Liste steht, wird 2025 ganz normal sein. Der Wandel wird schnell, aber kaum wahrnehmbar sein.“
Handy ist die neue High Street
Im Lockdown sei das Handy zur neuen High Street geworden, erklärte Muller. „Ein paar Quadratzentimeter sehr teure Fläche. „Es geht um die Erlaubnis, auf dem Telefon ihrer loyalen Gäste präsent zu sein und rund um die Uhr, beispielsweise via Text Message, mit ihnen zu kommunizieren. Das kann 20 Prozent und mehr Ihrer Umsätze ausmachen – die neue Definition von Location, Location, Location!“ In Zukunft müsse jedes Gastro-Unternehmen Positionen wie Website Content Manager, Customer Experience Managers usw. schaffen – Jobs, die es in der Branche vor fünf Jahren noch kaum gab. „Das Internet wird zur Plattform, um Restaurants zu managen“, fasste Muller zusammen.
Schon entstehen in den USA rein für den Online-Vertrieb konzipierte Gastro-Marken ohne Restaurantstandorte, dafür mit hoher Social Media-Reichweite, die über nationale Marketingkampagnen bekannt gemacht und beworben werden. „Schnelle, wenn nicht sofortige Marktdurchdringung funktioniert bei diesen Konzepten einfach über Lizensierung“, erklärte Muller. „Ich sehe darin die größten Wachstumschancen für gastronomische Unternehmen seit den 1950er Jahren.“
So fühlt sich Disruption an
Viel Potenzial attestiert Muller auch kulinarischen Merchandising-Produkten unter dem Label gastronomischer Marken. „Wir müssen in die Kühl- und Küchenschränke unserer Gäste, um sie immer wieder an uns zu erinnern.“ Echte oder virtuelle Kioske – auf dem Handy der Gäste – könnten ebenso Teil zukünftiger Geschäftsmodelle sein. Die Entscheidungen und Prozesse seien sehr komplex, räumt der Fachmann ein. „Die Anforderungen steigen. Umso wichtiger sind gut ausgebildete Mitarbeiter, die in der Lage sind, begeisternde Restauranterlebnisse mit Hilfe der neuen Technik in die Realität umzusetzen.“
Muller appellierte an die Gastronomen, nicht zu den letzten zu gehören, die in der neuen Realität ankommen: „Auch wenn Sie die Veränderung nicht mögen: Sie werden es noch weniger mögen, nicht mehr relevant zu sein.“
Unglaubliche Dynamik
Es sei keine Frage, ob die Restaurantbranche die Pandemie überlebe. „Es wird gigantisches Wachstum geben! Und keine zwei Gründer, keine zwei Geschäftsmodelle und nicht einmal zwei Gäste werden identisch sein. Wir sind eine unglaublich dynamische Branche, in der jeder seinen eigenen Weg entwerfen und gehen muss. Also: Überwinden Sie Ihre Ängste und Ihre Vorbehalte – so fühlt sich Disruption an!“
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.