In München zählt er seit langem zu den angesagtesten Gastronomen. Ob Riva oder buffet Kull, Bar Centrale oder Grapes Weinbar, der großartige Brenner Grill oder die beiden Design-Hotels Cortiina und Louis mit ihrer Gastronomie: Gemeinsam mit Partner Albert Weinzierl hat Rudi Kull in der Bayern-Metropole über die Jahre ein kleines, aber feines Hospitality-Imperium gestaltet. Eine hübsche, bunt gemischte Auswahl an Solitär-Adressen für das örtliche wie auswärtige Publikum. Seit September ist das Portfolio des Unternehmens um das Hotel Louis ärmer. Warum das, wollte Marianne Wachholz wissen. Und, vor allem: Wie überhaupt geht Überleben als Hospitality-Akteur in dieser unübersichtlichen Zeit? 

Lieber Rudi Kull, persönliche Frage: Wie ist es um Ihren Schlaf bestellt in diesen Tagen des erneuten Lockdowns? 

Rudi Kull: Hätten Sie mich das im April oder Mai gefragt, hätte ich geantwortet: Miserabel! Da hatte ich wirklich schlaflose Nächte. Heute haben wir halbwegs einen Plan, sind nicht mehr so geschockt und haben mit dem Wahnwitz umzugehen gelernt, alle Naselang von jetzt auf gleich mit neuen Verordnungen konfrontiert zu werden …  Damals hat es mich eiskalt erwischt, und da war ich nicht der einzige. Nur dass wir im Umgang mit Krisen völlig ungeübt gewesen sind, es hatte bei uns vorher einfach keine nennenswerten Probleme gegeben. Alles lief rund und entwickelte sich gedeihlich, über mehr als zwei Jahrzehnte. Dann schlägt urplötzlich der Blitz ein. 

Unversehens steht man ohne Umsatz da … 

Rudi Kull: Das verschlägt einem schon den Atem. Dann geht es los: Du musst blitzschnell deine Betriebe runterfahren. Maximale Anforderung ans Management. Mit den Banken sprechen. Mit den Vermietern. Manche sind hilfsbereit, andere gar nicht. Ich bekam durchaus auch zu hören: Was? Mietnachlass? Bei solchen Top-Lagen! Da findet sich auch ein anderer für das Objekt … Aber ich denke, grundsätzlich wird zu ausschließlich über Umsatzverluste geredet und darüber, wann wir wieder zur Normalität zurückkehren können. Und viel zu wenig darüber, was für Tragödien sich im Hintergrund abspielen. 

Rudi Kull Brenner

Brenner Grill.   Foto: K&W GmbH & Co. KG

Was meinen Sie damit?

Rudi Kull: Ich erinnere mich nur zu gut an meine eigene Betroffenheit. Das hat mir zugesetzt, abends heimzukommen und die Familie sorgt sich, die Kinder in heller Aufregung, was wird denn aus unserem Brenner, das darf doch nicht zusperren! Das Ohnmachtsgefühl, weil man dem nichts entgegenzusetzen hat.

Wie anstrengend es wurde, sich seinen Gästen gegenüber nichts anmerken zu lassen. Du musst als Gastgeber ja immer die Fassade wahren. Und gleichzeitig droht dir hinterrücks deine Existenz wegzubrechen. Viel schlimmer noch: seine Mitarbeiter auf unbestimmte Zeit in die Kurzarbeit schicken zu müssen. Die dann bis auf weiteres mit der Hälfte ihres Gehalts zurechtzukommen haben. 

Die haben auch ihre Familie, haben ihr Leben zu bestreiten, eine Wohnung, die Miete muss bezahlt werden. Oder die Raten fürs Auto. Wie soll das gehen, wie lange kann so jemand vom Ersparten zubuttern, sofern vorhanden? Was ein Kellner beispielsweise bestenfalls verdient, brauche ich hier nicht vorzurechnen.

Mussten Sie jemanden entlassen?

Rudi Kull: Wir haben uns entschieden, keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen, sondern all unsere Mitarbeiter mit Kurzarbeitergeld und Corona-Hilfen durchzubringen. Auf Vollzeit umgerechnet, haben wir um die 400 Beschäftigte. Und 38 Azubis. Die sind mittlerweile auch in Kurzarbeit. Ich frage mich, wie sollen die jungen Leute sich ihre Wohnung in München noch leisten können? Diejenigen, die den Bann über unsere Branche verhängt haben, nehmen es billigend in Kauf, dass sie damit auch unsere Beschäftigten in existenzielle Not bringen. Deren Verzweiflung ist groß, ich erlebe das täglich, schwer auszuhalten. Im öffentlichen Diskurs aber kein Thema.

Brenner Grill

Brenner Grill.   Foto: K&W GmbH & Co. KG

Halten Sie die erneuten massiven Restriktionen für die Hospitality-Branche also für ungerechtfertigt?

Rudi Kull: Meine Meinung dazu steht gar nicht zur Debatte. Völlig unerheblich auch, ob ich einem Herrn Lauterbach oder einem Herrn Drosten Glauben schenke. Fakt ist, die Politik hat entschieden. Musste entscheiden! Ob es mir einleuchtet, dass wir zu allerhand kostspieligen Vorsichtsmaßnahmen genötigt wurden, um dann unversehens wieder in den Lockdown gezwungen zu werden? Obwohl von der Gastronomie nachweislich keine nennenswerte Ansteckungsgefahr ausging? Steht auf einem anderen Blatt. Was mir ganz und gar nicht einleuchtet, mich vielmehr zutiefst empört, sind leere Versprechungen.  

„Wenn man sich für eine harte Strategie entscheidet, ok. Akzeptiert. Doch dann muss man sich auch an sein Wort halten.“

Rudi Kull

Kull & Weinzierl

Sie spielen auf die sogenannten Novemberhilfen an?

Rudi Kull: Es ist doch ein Unding, wie sich die Verheißung großzügiger Soforthilfe in Nichts aufgelöst hat! Zwei Lockdowns, sprich, drei bis vier Monate praktisch ohne Umsatz in diesem Jahr. Unverschuldet, uns aufgezwungen! Wir selbst werden 2020 bei einem Umsatzminus von fast 50 Prozent landen. Zum Glück hat der Sommer viele von uns vor Schlimmerem bewahrt. Und uns auch Mut gemacht: Das ist zu schaffen, wir kriegen das hin. Doch ohne finanziellen Ausgleich lässt sich der erneute Stillstand nicht überstehen. Das A und O fürs Überleben! Die Kosten laufen ja weiter, die Banken stellen sich zusehends quer, wenn es um neue Kreditlinien geht. Was der Politik immerhin inzwischen aufgefallen ist: Wir brauchen dringend und unverzüglich finanziellen Ausgleich.

Die Gelder wurden ja auch bereitgestellt …

Rudi Kull: Und was ist bisher passiert? Ausdrückliche Zusicherungen von höchster Stelle, das werde alles schnell und unbürokratisch vonstattengehen. Effektvolle Beteuerungen hochkarätiger Politiker in den gängigen Talkshows. Die Wahrheit sieht anders aus. Wir sind bis heute leer ausgegangen, die geleisteten Abschlagszahlungen sind nicht ernsthaft der Rede wert. 

Man verweist auf Probleme mit der Software …

Rudi Kull: Und das stellt sich erst im Dezember heraus? Wenn man sich für eine harte Strategie entscheidet, ok. Akzeptiert. Doch dann muss man sich auch an sein Wort halten. Oder gleich Klartext reden. Und nicht diese unsägliche Salamitaktik praktizieren. Inzwischen hören wir: Wenn alles gut geht, steht die Software zur Bewilligung und Auszahlung der Novemberhilfe Mitte Januar zur Verfügung.

Kull & Weinzierl, München

Mit der Eröffnung des buffet Kull haben Rudi Kull und sein Geschäftspartner, der Architekt Albert Weinzierl, im Jahr 1986 den Grundstein für ihr Hospitality-Unternehmen Kull & Weinzierl gelegt. Nach wie vor gastronomisches Kronjuwel im Portfolio ist das 2003 gestartete Brenner Restaurant, Bar & Grill: mediterran geprägte Küche, offener Grill mitten im großformatigen Restaurant und Umsätze, die alsbald zweistelliges Millionenniveau erreichten. Ausschließlich in München aktiv, erzielten Kull & Weinzierl im Jahr 2019 mit sieben gastronomischen Betrieben einen Foodservice-Umsatz von 24,8 Mio. Euro netto, ein Plus von 3,3 % zum Vorjahr (Quelle: foodservice Top 100 Ranking 2020). Inklusive Übernachtungsgeschäft mit den beiden Hotels Cortiina und Louis lag der erwirtschaftete Umsatz bei rd. 38 Mio. Euro.

Dann wird es seine Zeit brauchen, bis der Berg der Anträge abgearbeitet ist und die Hilfsgelder wirklich bei denen ankommen, die sie dringend benötigen. Wir haben unsere Vermieter aber jetzt zu bedienen, die Kreditgeber, das Finanzamt. Und können die nicht mal eben auf nächsten Februar oder wann vertrösten.

Klingt so, als sei die Politik mit der Corona-Krise etwas überfordert?

Rudi Kull: Die richtigen Entscheidungen zu treffen, dafür gibt es ja jede Menge hochdotierter Berater. Was ich vermisse, ist ein Mindestmaß an Professionalität im organisatorischen Umgang mit der Krise. Und Ehrlichkeit. Da wurden auch vorschnell zu viele falsche Hoffnungen geweckt: Das Hin und Her der letzten Monate hat das Vertrauen der Menschen in das Vorgehen der Entscheider merklich erschüttert.

Rudi Kull Cortiina

Cortiina.   Foto: K&W GmbH & Co. KG

Sehen Sie Ihr eigenes Unternehmen existenziell gefährdet?

Rudi Kull: Vorerst können wir noch eine Weile ohne nennenswerte Einkünfte überstehen. Doch das geht nicht mehr lange gut, wenn nicht endlich die finanziellen Hilfen fließen. Anderen geht schon längst die Luft aus.

Ich möchte nicht in der Haut eines kleinen Café-Betreibers stecken, der sich mit dem To-go-Geschäft retten soll, aber dank Lockdown kaum noch Laufpublikum hat und selbst wenn er wieder aufsperren darf, wegen der Abstandsregeln weiterhin nur die Hälfte seiner paar Sitzplätze nutzen kann. 

Getrennt haben Sie sich nicht von der Bar Centrale, sondern vom Hotel Louis. Tut man doch nicht ohne Not?

Rudi Kull: Es gab schon immer Begehrlichkeiten, lukrative Angebote. Wir hatten nie Veranlassung gesehen, darauf einzugehen. Nur: Ein Hotel runterfahren zu müssen, ist kostentechnisch keine Kleinigkeit. Zumindest für unsere Verhältnisse, so breit ist unser Kreuz auch wieder nicht. So sehr mein Herz am Louis hing: Der Verkauf an die Zech Gruppe hat uns genügend Luft verschafft, die Corona-Durststrecke zu überstehen. 

Brenner Kitchen

Schluss mit Pizza & Pasta: Auch im diesen Herbst eröffneten Ableger des spektakulären Brenner Grills am Standort des bisherigen Riva in Schwabing steht der offene Grill im Zentrum. Nur dass frisches Gemüse hier neben Fleisch und Fisch eine führende Rolle spielt – gern lediglich mit Olivenöl und Zitrone angerichtet. Fans finden, neben einigen Signature-Gerichten aus dem Brenner wie dem Superfoodsalat, vegetarische Kompositionen mit asiatisch-mediterranem Touch, darunter geröstete Aubergine mit warmer Misosauce und Algenblatt. Ebenfalls auf der Karte: Freestyle-Sushi. Aber genauso die gewohnten Steaks. Von vornherein wurde ein Lieferservice eingeplant. Preislich in etwa auf dem Brenner-Niveau angesiedelt, gibt es vegetarische Offerten bereits um die 15 Euro. Atmosphärisches Wohlfühl-Motto wie stets: feinfühlig und hochwertig gestylt, doch ohne zur Schau getragene Extravaganz. Locker statt luxuriös. 

Fast zeitgleich haben Sie Anfang Oktober im vormaligen Schwabinger Riva die Brenner Kitchen eröffnet … Kühn!

Rudi Kull: Pech halt, dass wir mit einem erneuten Lockdown nicht gerechnet hatten. Für den Konzeptwechsel hatten wir uns schon im Sommer entschieden. Warum? Weil Durchschnittsbons von 15, bestenfalls 20 Euro zu wenig sind, um über die Runden zu kommen, wenn du wegen der Abstandsregeln nur noch jeden zweiten Sitzplatz im Restaurant verkaufen darfst.

Statt Pizza und Pasta also ein Ableger des Brenner. Mit mehr Akzent auf vegetarischen Offerten und weniger mondän, Angebot und Preisniveau sind aber eng ans Brenner angelehnt. 

Rudi Kull Brenner Kitchen

Brenner Kitchen.   Foto: K&W GmbH & Co. KG

Kaum gestartet, schon geschlossen. Nun wird allseits Mitnahme und Delivery als Rettungsanker gepriesen …

Rudi Kull: Wir sind im Fullservice zu Hause. Alles wird frisch gekocht. Aufwändig. So eine Küche lässt sich nicht ohne weiteres auf Take-away und Delivery trimmen. Wir bieten beides an, wo es geht. Doch profitable Umsätze sind das nicht. Das lässt sich nur als Serviceleistung abbuchen. Für bestenfalls 15 Prozent der üblichen Umsätze die Küche hochfahren, die Ware vorhalten, die Mitarbeiter …? Nur müssen wir auch in der Corona-Krise unseren Gästen versprechen: Wir sind für Euch da. Damit wir sie später auch wiedersehen.