Seit bald sieben Wochen ist die Gastronomie in Deutschland wieder im Lockdown, alles – bis auf das Liefergeschäft – steht still. Für Führungskräfte und ihre Teams ist die erzwungene weitgehende Untätigkeit nicht nur in finanzieller Hinsicht eine enorme Herausforderung. Auch persönlich leiden viele unter der ausbleibenden Wertschätzung, sind doch der herzliche Kontakt zu den Gästen und das Gastgebersein für viele, die in der Branche arbeiten, die Grundlage für ihr eigenes Wohlbefinden und Selbstwertgefühl. Julia Thombansen und Christine Possler sind mit MUTmanagement seit Jahren als erfahrene Trainerinnen und Coaches nicht nur in der Gastronomie unterwegs und helfen Unternehmen dabei, ihre Teams durch mehr Motivation und zielgenaue Schulungen zum Erfolg zu führen. Wir haben sie gefragt, was sie ihren Kunden jetzt raten, was zurzeit deren größte Probleme sind – und wie es ihnen eigentlich selbst geht mit der durch Corona auf den Kopf gestellten Situation auch in der Berater-Branche.
Frau Possler, Frau Thombansen, wie geht es Ihnen in der Corona-Krise? Wie laufen die Geschäfte?
Julia Thombansen: Aufgrund von Corona ist uns tatsächlich vieles weggebrochen, was wir für 2020 geplant hatten. Noch im Herbst 2019 waren wir überzeugt: 2020 wird ein Mega-Jahr, unsere Auftragsbücher und Kalender waren voll. Geblieben ist ein Bruchteil von dem, was wir ursprünglich vorhatten.
Christine Possler: Einige unserer Kunden sind derzeit “gar nicht da“, haben ihre Betriebe geschlossen und das Licht ausgemacht. Da findet aktuell nichts statt – natürlich auch keine Coachings. Wir haben einige neue Projekte auf dem Schreibtisch, die in der Abstimmung sind. Im Sommer und Herbst konnten wir sogar einige Präsenzworkshops halten.
Foto: Ellen Türke
Wie gehen Sie damit um?
Julia Thombansen: Wir tun eine ganze Menge, knüpfen Kontakte zu neuen Netzwerken und Kunden in anderen Branchen, um uns breiter aufzustellen und das Unternehmen resilienter zu machen. Unter anderem entwickeln wir gerade gemeinsam mit einer IT-Agentur ein Tool, das die analogen Kommunikationsfähigkeiten von Digital Natives stärken soll, um ihre Führungskompetenzen auszubauen. Und wir haben uns digitalisiert, viele virtuelle Workshops mitgemacht, arbeiten jetzt vermehrt mit Confluence, Asana, Slack und Zoom und führen Trainings online durch. Dabei müssen wir uns plötzlich mit ganz neuen Themen wie Kameratechnik, Beleuchtung und Ton auseinandersetzen.
Wir stellen das Ganze unter das Motto „Aushalten und Gestalten“. Dabei sind die Fragen, mit denen wir uns selbst und unseren Kunden beschäftigen, identisch: Was macht die Krise mit mir? Wie gehe ich mit ihr um? Und wie schaffe ich es, die Chancen darin zu sehen? Mit den gleichen Themen sehen sich unsere Kunden übrigens konfrontiert, wenn es um die Digitalisierung geht. Auch hier gilt es, die Mitarbeiter motivieren, ihre Sorgen ernst zu nehmen und ihnen die Möglichkeiten aufzuzeigen, Dinge zu verbessern.
Christine Possler: Dadurch, dass wir coronabedingt dieselben Lernprozesse durchmachen wie unsere Kunden, können wir sie mit eigenen Erfahrungen dabei unterstützen.
„Das Jahr 2020 hatte eine andere Qualität als gedacht, anderes gefordert, aber auch gefördert. Es war sicher kein verlorenes Jahr.“
Mit welchen Fragen, Problemen und Aufgabenstellungen kommen Ihre Kunden aus der Gastronomie derzeit am häufigsten auf Sie zu?
Julia Thombansen: Oft geht es um die Begleitung von Kommunikationskonzepten, das heißt: Welche Botschaften gebe ich als Führungskraft an meine Mitarbeiter weiter? Es besteht auch viel Trainingsbedarf für lösungsorientiertes Denken und Handeln. Ein weiteres wichtiges Thema ist, die Teams in Kontakt und die Stimmung hoch zu halten. Dabei helfen Spiele und Events, zum Beispiel virtuelle Escape Rooms auf der Plattform Zoom, aus denen man gemeinsam „herausfinden“ muss. Oder Online-Gin-Abende.
Christine Possler: Viele Unternehmen gründen jetzt Chatgruppen, über die die Mitarbeiter miteinander und mit den Führungskräften in Kontakt bleiben. Dahinter steht das nicht zu unterschätzende Bedürfnis vieler Team-Mitglieder, immer zu wissen, was gerade Stand der Dinge ist, gerade, weil sich zurzeit täglich so viel ändert. Dort muss auch immer wieder erklärt werden, warum wie entschieden wird. Viele berichten, dass die Mitarbeiter dadurch viel enger zusammenrücken, obwohl sie räumlich getrennt sind. Interessanterweise auch über verschiedene Hierarchie-Ebenen: Es entstehen plötzlich Kontakte zwischen Leuten, die zuvor jahrelang nichts miteinander zu tun hatten, obwohl sie im selben Unternehmen arbeiten. Wir stellen fest, dass das vor allem in Unternehmen funktioniert, in denen schon vor Corona eine sehr offene Kultur herrschte, mit viel Transparenz und Beteiligung der Mitarbeiter.
Gerade für Führungskräfte ist es zurzeit ja sehr wichtig, eine positive Einstellung zu behalten und an die Mitarbeiter weiter zu geben. Angesichts der ungewissen Aussichten, wann die Gastro wieder öffnen darf, sicher nicht einfach. Wie unterstützen Sie sie dabei?
Christine Possler: Das ist für viele Führungskräfte tatsächlich eine große Herausforderung. Wir arbeiten mit ihnen vor allem in Einzel-Coachings, in denen wir genau dieses „Aushalten und Gestalten“ trainieren. Viele konnten sich noch vor einem Jahr eine solche Situation wie den Lockdown gar nicht vorstellen. Nun ist es – neben allen Schwierigkeiten – auch spannend zu sehen: Was können wir daraus machen? Dabei arbeiten wir unter anderem mit dem Prinzip der „Regnose“ und erzielen damit erstaunliche Ergebnisse, die gerade auch Führungskräfte mit zuvor pessimistischen Einstellungen wieder positiv in die Zukunft schauen lassen. Dabei geht es nur um ein Gedankengebäude, das jedoch enorme Kraft hat, das Denken zu verändern. Das ist manchmal wirklich sehr beeindruckend.
Julia Thombansen: Wie in unseren analogen Workshops auch schaffen wir bei den Online-Coachings Räume für den themenbezogenen Austausch unter den Teilnehmern. So wie bei unserem Beschwerdemanagement-Workshop mit 15 Teilnehmern aus verschiedenen Unternehmen. Sie konnten Dokumente und ausgearbeitete Antworten auf verschiedene Fragestellungen miteinander teilen, zum Beispiel, wie man mit Beschwerden aufgrund von Corona-Maßnahmen umgeht.
Regnose
Mit dem Prinzip der Regnose sorgte Zukunftsforscher Matthias Horx nach Ausbruch der Corona-Krise für Aufsehen, sein Text „Im Rausch des Positiven“ ging viral.
Bei der Regnose geht es um Wandel durch Bewusstsein, darum geistig ins Morgen zu springen und sich „rückwärts“ zu fragen, wie man dort hingekommen ist – und was sich ändern musste und konnte auf dem Weg dorthin. Die Regnose setzt in eine produktive Beziehung zur Zukunft.
Die anderen durften direkt am Bildschirm kommentieren, Rückmeldung geben, sodass wir innerhalb kürzester Zeit ein gemeinsam erarbeitetes Dokument hatten. Wir haben als Moderatoren immer wieder Input gegeben, aber im Vordergrund stand das interaktive Miteinander der Teilnehmer. Das hat online sogar besser funktioniert als offline, weil jeder das Gleiche vor Augen hatte und sich einbringen konnte.
Erwarten Sie also, dass nach Corona ein Teil Ihres Aufgaben- und Angebotsspektrums im Internet bleiben wird?
Christine Possler: Ich freue mich schon sehr darauf, wieder zu reisen und mit den Kunden in persönlichen Kontakt zu kommen. Aber in Zukunft wird es wohl eine Mischung aus online und offline werden.
Julia Thombansen: Unsere Strategie heißt „Blended Learning“. Bei der Führungskräfteentwicklung ist es definitiv sinnvoll, gemeinsam zu starten und sich persönlich gegenüberzusitzen. Ohne, dass man sich wie bei Online-Besprechungen ständig selber sieht, was zusätzliche Komplexität in das Gespräch bringt und Aufmerksamkeit bindet. Später kann man darauf digital aufbauen, Dinge vertiefen und zusätzliche Impulse geben.
Foto: Ellen Türke
„Wir können von Corona Change Management lernen!“
Das klingt, als hätte Corona Ihnen und Ihrem Unternehmen auch viel Positives gebracht …
Christine Possler: Wir haben uns auf jeden Fall deutlich weiterentwickelt. Das Jahr 2020 hatte eine andere Qualität als gedacht, anderes gefordert, aber auch gefördert. Es war sicher kein verlorenes Jahr. Ich persönlich brauche nicht unbedingt mehr davon, aber die Pandemie hat einen Wandel vorangebracht, der ohnehin anstand und sich nun beschleunigt hat. Sie hat uns Richtung Veränderung gezogen .
Julia Thombansen: Wenn wir früher mit unseren Kunden über Wandel gesprochen haben, ging es immer darum, die Mitarbeiter mitzunehmen und mitgehalten zu lassen. Das funktioniert aber nur, wenn man das System verändert, in dem sie sich bewegen und sie dann mitzieht. Dazu gehört auch, den Menschen die Möglichkeit zu geben, um das Gewohnte zu trauern – ihre Trägheit, sich zu verändern, einzukalkulieren. Deshalb muss die Führung konsequent sein und die Veränderung durchsetzen. So ähnlich hat es auch Corona mit uns gemacht: Es gibt keine Diskussion mit dem Virus, wir hatten keine andere Wahl als uns an die neuen Rahmenbedingungen anpassen und hier zu gestalten.
Foto: Ellen Türke
Christine Possler: Das kann man tatsächlich von Corona lernen: Wenn du etwas verändern willst, verabschiede dich von dem Alten und lass keine Alternativen zu dem Neuen zu. Nur dann gehen die Menschen mit.
Gezwungen, Dinge zu ändern, sind derzeit alle Gastronomen. Manche nehmen das Neue mit viel Schwung in Angriff, andere sind völlig verzweifelt vor Angst, ihr Unternehmen, ihr Lebenswerk zu verlieren. Wie kann man letzteren helfen und Mut machen?
Christine Possler: Die Frage dahinter lautet, was sie so verzweifeln lässt. Darauf gibt es sicher keine einheitliche Antwort. Die Trauer um das, was man aufgebaut hat, ist absolut nachvollziehbar. Viele haben auch das Gefühl, zu versagen, obwohl es überhaupt nicht ihre Schuld ist, was mit ihrem Betrieb zurzeit passiert. Andere sind wütend – das ist eine produktive Energie, die man in etwas Positives umwandeln kann, während Trauer einem den Mut raubt, Dinge in Angriff zu nehmen.
Julia Thombansen: Methodisch können wir über ein lösungsorientiertes Kurzzeit-Coaching herausarbeiten, wie es weitergehen könnte und damit auch einen Beitrag zur mentalen Gesundheit leisten. Gleichzeitig muss man aber schauen, ob es psychologische Probleme gibt, bei denen medizinisch geholfen werden muss.
„Es gibt keine Diskussion mit dem Virus, wir hatten keine andere Wahl als uns an die neuen Rahmenbedingungen anpassen und hier zu gestalten.“
Vielen Gastronomen macht auch gerade die fehlende Wertschätzung der Gäste sehr zu schaffen …
Julia Thombansen: Ja, und natürlich trifft es viele auch hart, wenn jetzt ihre Teams auseinanderbrechen, weil die Mitarbeiter anderswo Geld verdienen wollen oder müssen. Das permanent zu ertragen, ist wirklich schwierig.
Christine Possler: Es gibt Führungskräfte, die sich richtig verlassen fühlen, wenn ein Mitarbeiter geht. Die nehmen das sehr persönlich, obwohl Corona der Grund für die Kündigung ist. Auch das muss man lernen, auszuhalten und damit umzugehen.
Umgekehrt wird es für viele schwierig werden, wenn sie dann mit Fortdauer der Krise irgendwann auch richtig gute Leute entlassen müssen …
Julia Thombansen: Ja, diese Kündigungsgespräche sind mitunter schlimme Situationen, bei denen wir unseren Kunden und den Mitarbeitern vorbereitend und begleitend zur Seite stehen.
Wie wird sich Corona Ihrer Ansicht nach auf eines der bisher drängendsten Probleme der Gastro-Branche, den Fachkräftemangel auswirken?
Christine Possler: Ich befürchte, dass die Mitarbeitersuche in Zukunft noch schwieriger wird, weil sich, je nachdem wie lange der Lockdown andauert, immer mehr Leute andere Verdienstmöglichkeiten suchen werden, schon weil sie ihre Kosten mit dem Kurzarbeitergeld nicht mehr decken können und nicht mehr länger zu Hause sitzen wollen.
Julia Thombansen: Die Frage wird sein: Wie erreiche ich mit den mir zur Verfügung stehenden Mitarbeitern meine Ziele und was brauchen die Mitarbeiter dafür? Führung wird mehr denn je aus Kommunikation bestehen. Hierarchien werden flacher, Mitarbeiter mehr Verantwortung tragen und ihre Stärken besser einsetzen können. Wichtig dabei: das Anlernen. Neue Technologien und Tools können dabei helfen.
MUTmanagement
Christine Possler und Julia Thombansen sind MUTmanagement. Mit mehr als 30 Jahren Erfahrung in Beratung, Training und Coaching versetzen sie Menschen in Unternehmen und Organisationen in die Lage, mit ihren Stärken die Herausforderungen zu meistern, die sie vor sich haben. Sie bereiten den Boden, schaffen Freiräume, etablieren neues Denken im Lösungsmindset und unterstützen beim „sich Trauen“. So bilden sich Beziehungen zwischen Menschen, die einander und das Unternehmen tragen.
So schaffen sie Erfolge und wecken Engagement und Motivation für eine dauerhafte Veränderung. Arbeitsschwerpunkte sind Onboarding, Persönliche Entwicklung, Führungskräfteentwicklung, Systementwicklung, Teamwirksamkeit, Kundenkommunikation und Kulturentwicklung im Unternehmen.
Corona hat auch Delivery weit nach vorne gebracht: Wird es in Zukunft vermehrt Ghost Kitchens geben, in denen gar keine Service-Kräfte mehr benötigt werden, sondern neben Köchen nur noch Kurierfahrer?
Christine Possler: Ich bin fest davon überzeugt, dass, sobald die Gastronomie wieder öffnet und die Infektionsgefahr einigermaßen gebannt ist, die Menschen in die Restaurants strömen werden. Die Leute sind buchstäblich ausgehungert nach Ausgeh-Erlebnissen, deshalb wird sich die gastronomische Szene so schnell nicht völlig in Richtung Ghost Kitchens entwickeln. Vorstellbar ist eine Mischform wie sie offenbar auch auf dem Arbeitsmarkt kommen wird: Einen Teil seiner Zeit verbringt man ‚draußen‘, den anderen Teil verstärkt zu Hause, wo dann auch Lieferdienste gern in Anspruch genommen werden. Dabei rücken übrigens mehr und mehr umweltfreundliche Verpackungslösungen in den Fokus des Interesses, denn keiner will mehr die Müllberge nach einer Essenslieferung zu Hause haben.
Die Aufgabe für alle Gastronomen – von Imbiss bis Fine Dining – lautet also in Corona-Zeiten: Baut ein im doppelten Sinne nachhaltiges Delivery-Konzept auf?
Julia Thombansen: Ja, da müssen Gastronomen auch ein bisschen zu Logistik-Profis werden. Vor kurzem hieß es noch: Finger weg, das ist ein anderes Geschäft. Heute ist die Technik aber deutlich weiter. Viele Gastronomen hatten vor Corona entsprechende Konzepte „noch nicht fertig gedacht“ in der Schublade. Die Pandemie hat den Schalter von „Denken“ auf „Machen“ umgelegt und den Prozess vom Gastronomen zum Logistiker beschleunigt. Der erste Tag war meistens schrecklich, aber am zweiten hat es funktioniert. Gastronomen waren immer schon anpassungsfähig und flexibel. Diese coronabedingte schnelle Lernerfahrung wird die Branche insgesamt voranbringen.
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.