Engagierte Mitarbeiter zu finden ist der entscheidende Erfolgsfaktor für zukunftsfähige Gastronomie. Davon ist der Goslarer Gastronom Alexander Scharf fest überzeugt. In seinen Betrieben steht deshalb das Team an erster Stelle, wenn es darum geht, Menschen glücklich zu machen. Mit echter Wertschätzung, Weiterentwicklung, aber auch höheren Löhnen und fairen Vereinbarungen. Dieses Porträt des leidenschaftlichen Kämpfers für sein Team und für die Branche entstand – im März 2021 – im Auftrag der ahgz.
Laute Musik hallt aus der Küche in den lockdownbedingt leeren Gastraum des Restaurants „Schiefer“. Die gute Laune seiner Mitarbeiter liegt Alexander Scharf am Herzen, das ist beim Ortstermin in Goslar nicht zu überhören. „Unsere Azubis machen sauber“, erklärt der Gastronom mit einem entschuldigenden Lächeln. Dass sich die Crew dabei von wummernden Beats unterstützen lässt, ist für den Chef kein Problem: „Wichtig ist, dass sie Spaß an der Arbeit haben. Nur dann stimmt die Atmosphäre im Team, die wir brauchen, um unseren Gästen authentisch positive Emotionen zu vermitteln.“
Gefragter Arbeitgeber in Goslar
Die Nachsicht angesichts der Küchenparty zur Mittagszeit ist keine Ausnahme: In Alexander Scharfs vier Restaurants und dem Hotel dreht sich vieles um das Wohl der 94 Mitarbeiter – und das nicht erst seit dem Beginn des Corona-Lockdowns. Dabei sieht er sich zuallererst in der Pflicht. „Man sagt nicht umsonst‚ der Fisch stinkt vom Kopf her. Mitarbeiter trennen sich nicht von Unternehmen, sondern von Vorgesetzten!“ Mit dieser Haltung hat Scharf sein „Team Gastro Urban“ in der schönen Fachwerk-Stadt am Harz zu einem gefragten Arbeitgeber gemacht.
Auslöser war ein Aha-Moment vor rund vier Jahren. Damals war er zwar schon seit 13 Jahren als Gastronom in Goslar selbständig, tourte aber parallel als Anbieter von Premium-Gesundheitsreisen für reiche Kunden aus Fernost durch die Welt. Zwei Vollzeit-Selbständigkeiten gleichzeitig – das konnte auf die Dauer nicht gut gehen: „Irgendwann stellte ich fest, dass es mit meinen Betrieben bergab ging, vor allem die Mitarbeiterzusammensetzung entwickelte sich immer problematischer.“ Scharf musste sich entscheiden: ein abenteuerliches Jet-Set-Leben unter Milliardären oder bodenständige Gastronomie in Goslar?
Auf Sinnsuche
Der Wunsch nach Sinnhaftigkeit – ein Wort, das er häufig benutzt – und Freude an der eigenen Rolle gab schließlich den Ausschlag. „Von meinen chinesischen Kunden habe ich gelernt, dass alles Geld der Welt nicht automatisch glücklich macht“, sagt Scharf. „Mich hat dieses ‚immer weiter, immer mehr’ nicht erfüllt.“ Ganz im Gegensatz zur Arbeit in der Gastronomie, die er liebt, seit er als kleiner Junge im Restaurant seiner Großmutter erstmals mit der Branche in Kontakt kam. Zwei Schulverweise später – „Ursache war mein zu ambitioniertes Sozialleben“ – absolvierte er deshalb erfolgreich seine Ausbildung zum Hotelkaufmann in Hamburg. Es folgten ein Engagement im Controlling der RIMC-Gruppe und später im kaufmännischen Bereich des Nassauer Hof in Wiesbaden parallel zu langen Nächten hinter der Theke einer Rotlichtbar.
Der Wehrdienst führte ihn schließlich nach Goslar – „Ein Glücksfall, auch wenn ich die Stadt erstmal im Atlas suchen musste!“. Hier entstand 2004 eher zufällig sein erster eigener Laden, die Brasserie „Tim’s 5 Tageszeiten“. Tim? „Den Namen haben mir meine Eltern verpasst, weil ich als Junge nicht mehr Alexander heißen wollte“, erzählt Scharf schmunzelnd. „Seither bin ich in der Familie Tim.“ In Goslar und Umgebung steht der Name längst synonym für die „größte Currywurst-Bude der Region“ und darüber hinaus für eine stylische Kombination aus Café, Bar und Restaurant, in der man sich zum Frühstück ebenso trifft wie zum Lunch, Burgeressen oder Cocktail.
Mitarbeiter in den Mittelpunkt gerückt
In den folgenden Jahren etablierte sich Scharf in der Stadt auch mit der Kaffeebar „Mycoffee“, dem Steakhouse „Schiefer“ samt gleichnamigem Hotel sowie dem Wirtshaus „Wildfang“ als namhafter Gastronom, gründete 2013 die Betreibergesellschaft Gastro Urban GmbH. Als sein Unternehmen 2016 in die Krise geriet, krempelte er es komplett um und rückte, inspiriert vom Coach und Trainer Dieter Lange, die Mitarbeiter in den Mittelpunkt. Als ersten wichtigen Schritt erhöhte er die Gehälter – und senkte damit mittelfristig den Anteil der Personalkosten. „Ich zahle nicht hohe Löhne, weil es mir gut geht, sondern mir geht es gut, weil ich hohe Löhne zahle“, zitiert Scharf Robert Bosch und bestätigt: „In die Mitarbeiter auch in Form von Weiterentwicklung zu investieren, hat die Produktivität gedreht, die Gästezufriedenheit erhöht und letztendlich den Umsatz gesteigert. Ich bin sicher, dass wir nur deshalb jetzt vergleichsweise gut durch die Krise kommen.“
Um die Identifikation der Goslarer mit der Stadt und ihrer Gastronomie zu stärken, rief er den Hashtag #ILoveGoslar ins Leben, der seither manchmal in einem 14 Meter langen, leuchtenden Schriftzug vor dem „Schiefer“ steht. Adressaten der Botschaft sind nicht nur die Gäste, sondern auch die eigenen Mitarbeiter, die sich selbstbewusst als Gastgeber und damit wichtiger Teil der Stadtkultur verstehen sollen.
Den eigenen Horizont erweitern
Sieht er sich als ein Fürsprecher der Branche? „Irgendwie ist mir diese Rolle in den vergangenen Jahren zunehmend zugefallen. Dabei möchte ich nicht immer den großen Zampano geben, sondern höre auch gerne zu“, betont Scharf. „Der Austausch mit anderen Gastronomen bringt mich voran und erweitert meinen Horizont.“ Ein Ort dafür: der Leaders Club, in er kürzlich eingetreten ist.
Alexander Scharf über…
„Ich glaube daran, dass es in der Gastronomie möglich ist, den eigenen Verdienst über Kompetenz und Einsatzbereitschaft nach oben zu treiben. Gute Leute arbeiten sowieso nicht für den Mindestlohn. Für uns waren höhere Löhne ein erster Schritt zu besseren Teams.“
Goslar:
„Die Stadt verkörpert einen positiven Lifestyle: Erholungsuchende finden hier einerseits Nähe zur Natur, historischen Fachwerk-Charme und die höchste Kneipendichte in ganz Niedersachsen. Gleichzeitig servieren wir ihnen coole Dry-Aged-Tomahawksteaks und dazu einen Moscow Mule.“
die Gastronomie:
„Die schönste Branche der Welt – das klingt platt und abgedroschen, aber so ist es nun einmal. Nirgendwo sonst bekommt man so viel Dankbarkeit und Wertschätzung unmittelbar zurück. Um auf der Sonnenseite des Lebens zu sein, sollte man Gastronom werden.“
den Lockdown:
„Die Sehnsucht wieder loszulegen, ist riesig. Ich wäre inzwischen gar nicht mal böse, wenn ich mal wieder einen Stabmixer in der Spülmaschine finden würde – normalerweise Sinnbild der Dusseligkeit, aber jetzt ein Zeichen: Wir leben wieder!“
Gastfreundschaft:
„Es geht nicht darum, Rad zu schlagen, wenn der Gast den Laden betritt, sondern um Herzlichkeit im Umgang mit Gästen – auch in Stresssituationen –, zwischenmenschliche Skills, Bewusstsein für unsere Rolle.“
den 50. Geburtstag
„Das fühlt sich surreal an. Mein Vater hat sich mit 70 Jahren ein Segelboot gekauft und schippert über die Weltmeere. Ich denke noch lange nicht an Rente, gründe gerade erst wieder ein neues Unternehmen. Das Leben besteht aus Veränderung, wer weiß, welche Karten es noch für mich in der Hand hält.“
Im Spätsommer 2020 wurde so ein weiteres Herzensanliegen Realität: Unter dem Titel „I Love Gastro“ lancierte Scharf gemeinsam mit einem zertifizierten Bildungsträger ein vom Europäischen Sozialfonds kofinanziertes Bildungsprojekt mit dem Ziel, die Zahl der Ausbildungsabbrüche im Gastgewerbe zu verringern. „Es geht darum, die unterschiedlichen Erwartungen von Bewerbern und Arbeitgebern einander anzugleichen. Zu 80 Prozent liegt es am Unternehmen, wenn jemand die Ausbildung vorzeitig beendet.
„Wir müssen Führungskräfte ausbilden, die nicht nur Dienstpläne schreiben können, sondern wirklich in der Lage sind, sich selbst und andere zu führen und dabei individuelle kulturelle und persönliche Hintergründe der Mitarbeiter zu berücksichtigen.“
Desolate Führungskultur
„Durch Faktoren wie zum Beispiel Zuwanderung oder eine nicht ganz gut gelungene Schulbildung haben heute viele junge Menschen schlechtere Startbedingungen, ihnen fehlen Schlüsselkompetenzen. Neudeutsch: multiple Vermittlungshemmnisse. Das Gastgewerbe ist leider bislang oft nicht in der Lage, das aufzufangen.“ Er selbst erlebte als junger „Azunu“– sprich: Auszunutzender – in der Hotellerie eine desolate Führungskultur und will es besser machen. Die Gründung der „Luchs Akademie für Nachwuchsförderung und berufliche Entwicklung“ ist ein Meilenstein auf diesem Weg, auch für das eigene Unternehmen. „Wir müssen Führungskräfte ausbilden, die nicht nur Dienstpläne schreiben können, sondern wirklich in der Lage sind, sich selbst und andere zu führen und dabei individuelle kulturelle und persönliche Hintergründe der Mitarbeiter zu berücksichtigen.“
Das Projekt zahlt direkt auf die eigene Reputation als Arbeitgeber ein und verschafft Scharf Vorteile im Wettbewerb um Fachkräfte: „Mitarbeiter messen die Attraktivität eines Arbeitsplatzes auch an der Person des Chefs.“ Selbst mitanzupacken, Tabletts zu tragen und auch einmal die Spülbürste zu schwingen, ist für ihn selbstverständlich. Sein Schreibtisch steht neben der Hotel-Rezeption – Scharf ist für alle jederzeit ansprechbar und pflegt eine flache Hierarchie. Der Umgangston? Gerne mit viel Humor. „Je stressiger es ist, desto blöder unsere Sprüche. Das hilft, die Stimmung hochzuhalten.“ Schließlich verbringt er selbst die meisten Stunden in seinen Betrieben und will dort eine gute Zeit haben. „Natürlich kann man nicht mit allen Mitarbeitern befreundet sein, aber mir ist es wichtig, mit jedem von ihnen jeden Tag zu sprechen und ihm oder ihr zu zeigen: Ich finde es gut, dass du da bist.“
Gastro Urban GmbH
Mitarbeiter: 94, davon 9 Azubis
Betriebe: Hotel & Restaurant (Steakhouse) „Schiefer“, elf Maisonette-Suiten, 5 Ferienwohnungen, 90 Sitzplätze; Brasserie „Tim’s 5 Tageszeiten“, 265 Sitzplätze, Café, Restaurant, Bar, „größte Currywurstbude der Region“, Burger, Salate, Veggie, Frühstück, Mittagstisch, Cocktails; Wirtshaus „Wildfang“, 140 Sitzplätze, hausgemachte deutsche Küche, Flammkuchen; mycoffee, Kaffeebar, derzeit in Transformation zu neuem Healthy-Food-Pickup-Konzept; E-Mountainbike-Touren „Uphillfun“.
Umsatz 2019: 4,6 Mio. Euro; Umsatz 2020: 2,8 Mio. Euro
Kontakt: www.ilovegoslar.de
Alexander Scharf
Ausbildung: Lehre zum Hotelkaufmann im Hotel Ambassador, Hamburg
Stationen: RIMC Hotels & Resorts, Hamburg; Nassauer Hof, Wiesbaden; 2004 Eröffnung des ersten eigenen Gastronomie-Betriebs in Goslar („Tim’s).
Heutige Position: Geschäftsführender Gesellschafter Gastro Urban GmbH und geschäftsführender Gesellschafter Luchs Akademie GmbH.
Geben und nehmen
Um von jungen Leuten als cooler Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, müsse man sich heute mehr denn je anstrengen, erklärt Scharf: „Ich halte es für vollkommen übertrieben, immer zu erwarten, dass die Mitarbeiter für das Unternehmen brennen. Der Zeitgeist ist heute ein anderer, der Stellenwert von Freizeit höher. Trotzdem muss ich die Herzen meiner Leute erreichen, um eine Bindung aufzubauen. Denn es bleibt dabei: Menschen arbeiten lieber dort, wo sie nicht angeschrien, sondern wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Dann leuchten die Augen und sie ziehen mit!“
Deshalb bezahlt er grundsätzlich alle Überstunden, wer für Kollegen einspringt, erhält zusätzlich einen Einkaufsgutschein. Jeder Mitarbeiter darf außerdem fünf Family&Friends-Karten an Familienmitglieder und Freunde weitergeben, die dann in den Gastro Urban Betrieben vergünstigt essen und übernachten können.
Ein gemeinsam mit dem Team erarbeitetes „Playbook“ fasst die Philosophie des Geben und Nehmens zusammen und schwört die Mannschaft auf die alle verbindende Marke Team Gastro Urban ein. „Damit definieren wir einen klaren Handlungskorridor, innerhalb dessen sich die Mitarbeiter frei bewegen können, zeigen aber auch transparent das auf, was die Mitarbeiter vom Unternehmen erwarten dürfen. Fair und auf Augenhöhe.“
Kontakt halten im Lockdown
Gerade jetzt tut der Gastronom alles dafür, dass sein Team Gastro Urban gestärkt aus der Pandemie hervor geht. Gemeinsam mit seinen Führungskräften hält er Kontakt zu den Mitarbeitern über digitale Kanäle, dreht Videos, verfasst Nachrichten und versteht sich dabei ausdrücklich als Mutmacher: „Von Anfang an galt es, jeden einzelnen mitzunehmen, zu erklären, aufzumuntern.“ Und er stockt das Kurzarbeitergeld auf 100 Prozent auf – egal, wie lang die Schließung dauert. „Wir haben zu Beginn des Lockdowns eine Abmachung getroffen. Ich habe meinen Leuten gesagt: Wir stehen zu euch, wir brauchen euch, wir sind für euch da und unterstützen euch finanziell. Aber dafür habe ich ein paar Joker gut. Wenn es wieder losgeht, seid ihr da und springt auch ein, wenn es mal eng wird. Das ist für mich echte Solidarität.“
Der Deal gilt und so blieb bisher das ganze Team Gastro Urban an Bord, obwohl Scharf sich gegen ein Liefer- und Take-away-Angebot entschied – „ich möchte nicht, dass jemand bei uns aus Mitleid bestellt“, so die Begründung, „neben fehlender Tragkraft eines solchen Konzepts.“ Trotzdem sind alle neun Azubis regelmäßig präsent, werden weiter ausgebildet. „Wir kochen jeden Tag, trainieren, optimieren“, berichtet Scharf. Ein großes Anliegen ist es ihm, die Nachhaltigkeitsbilanz seines Unternehmens zu verbessern. Ein Aufruf per Video reichte und 26 Mitarbeiter meldeten sich freiwillig, um in einem Workshop Konzepte für umweltfreundlichere Prozesse und Angebote zu entwickeln. „Wir verkaufen rund 1 Mio. Speisen und Getränke im Jahr. Da macht es einen Unterschied, ob wir nachhaltig sind“, betont der Unternehmer. „Nicht alles lässt sich von heute auf morgen drehen, aber wir gehen den Weg schrittweise.“
Umstellung auf vegane Küche
Darüber hinaus ist das Team damit beschäftigt, Gerichte für ein neues Healthy-Food-Konzept zu kreieren, das im Frühsommer das bisherige Coffeeshop-Format ersetzen soll. „Noch gibt es keinen Namen, aber es wird sich um frische, vegane und vegetarische Bowls zum Mitnehmen drehen“, verrät Scharf. Ein Learning aus dem Delivery- und Take-away-Boom während des Lockdowns. „Das Bedürfnis nach gesunden, nachhaltigen und unkomplizierten Gerichten, die zu Hause oder im Büro verzehrt werden, wird weiter steigen.“ Der pflanzlichen Küche gehöre ohnehin die Zukunft. „In fünf Jahren will ich das Tim’s komplett auf fleischlose Angebote umstellen.“ Auch die Kult-Currywurst? „Versuchen werden wir es: Wenn wir sie bei Hochzeiten als Mitternachtssnacks servieren, merken die Gäste doch gar nicht, ob sie Fleisch oder etwas Veganes essen. Entscheidend für den Geschmack ist die Sauce!“
Im Corona-Lockdown entstand auch die Idee für ein weiteres neues Projekt. In Kooperation mit einem befreundeten Hersteller von Sensortechnik will Scharf die Branche dabei unterstützen, die Anforderungen der Gesundheitsämter leichter zu erfüllen, wenn es darum geht, eine pauschale Quarantäne im Falle einer Corona-Infektion unter den Mitarbeitern zu verhindern und Gästen mehr Sicherheit zu geben. „Das wäre der Super-GAU! Der Umsatzverlust und Image-Schaden wären enorm!“
Hoffnungen ruhen auf dem Restart
Über Sensoren am Mitarbeiter und den Tischen sollen die Kontakte der Mitarbeiter jederzeit nachvollziehbar sein. Andere Sensoren überwachen und dokumentieren den Zustand der Raumluft im Restaurant und werden so auch den veränderten Anforderungen des RKI gerecht. Denn auf dem Restart ruht die Hoffnung des Team Gastro Urban. Schließlich halfen schon im vergangenen Jahr Goslars wachsende Beliebtheit bei Inlandstouristen, die Einbußen des ersten Lockdowns einigermaßen zu verkraften.
„Ich rege mich immer noch gerne mal auf, aber registriere inzwischen im Rahmen meiner persönlichen Weiterentwicklung, dass zwischen Reiz und Reaktion auch ein kluger Gedanke passen kann.“
Passioniert, engagiert, optimistisch: Kurz nach seinem 50. Geburtstag ist Alexander Scharf angekommen in seiner Rolle als Vollblut-Gastronom, der den Erfolg genießt und mit viel Einsatz für seine Leute und die Branche kämpft. „Ich spüre, wie die gewisse Getriebenheit mit den Jahren nachlässt. Ich rege mich immer noch gerne mal auf, aber registriere inzwischen im Rahmen meiner persönlichen Weiterentwicklung, dass zwischen Reiz und Reaktion auch ein kluger Gedanke passen kann“, kommentiert er augenzwinkernd. Selbst die Corona-Pandemie sieht er mittlerweile als Chance, auch wenn sie Nerven kostet. „Wir Gastronomen sind es doch gewohnt, uns in wirtschaftlich instabilen Verhältnissen zu bewegen. Insofern sollte uns der Lockdown nicht allzu sehr schocken. Angesichts der finanziellen Hilfen fühle ich mich privilegiert. Anderen Unternehmen und Branchen geht es viel schlechter.“
Raus aus dem Aufreger-Modus
Klar, anfangs hat auch er geschimpft, sogar öffentlichkeitswirksam auf Facebook, „aber irgendwann wollte ich raus aus diesem Aufreger-Modus.“ Dank seines Grund-Optimismus glaubt Scharf daran, dass es zu jedem Problem auch eine Lösung gibt. „Ich habe ein Vertrauen in das Leben an sich und konzentriere mich, statt zu jammern, lieber auf Dinge, die ich aktiv und produktiv beeinflussen kann.“ Dennoch: Die Arbeit für die Gäste und ihr Feedback, sie fehlen. „Wir merken jetzt, dass das, was wir tun und sogar alles, was sonst im Alltag nervt, eine ausgesprochen sinnhafte Tätigkeit ist. Damit meine ich nicht den Transport von Speisen und Getränken an den Tisch, sondern das positive Gefühl, das wir den Menschen geben.“
Tatsächlich ist Scharf sicher, dass unterm Strich sogar die Vorteile der aktuellen Krise überwiegen: „Der überfällige Strukturwandel der Gastronomie wird beschleunigt. Daraus entsteht viel Mehrwert für die Mitarbeiter und ehrlich arbeitende Unternehmen wie mehr Wertschätzung, bessere Bezahlung und weniger (Selbst-) Ausbeutung. Die Branche wird nachhaltiger und verliert hoffentlich den Ruf des Unseriösen. Ihre zentrale Rolle für das soziale Leben, gerade in den Innenstädten, wird dank Corona in Zukunft besser verstanden und gewürdigt als je zuvor.“
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.