Um den Klimawandel einzudämmen, müssen wir weniger tierische, dafür mehr pflanzliche Produkte essen. Dieser Glaubenssatz hat sich in den vergangenen Jahren in weiten Teilen der Food-Szene verfestigt, pauschal werden vegetarische und vegane Gerichte als „gut“, solche mit Fleisch als „klimaschädlich“ postuliert. Dass die Sache etwas komplizierter ist, weist der Ernährungswissenschaftler Dr. Malte Rubach in seinem Buch „Warum es uns kümmern sollte, wenn in China ein Sack Reis umfällt“ anhand der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und auf Basis wissenschaftlicher Fakten eindrucksvoll nach. Seine Botschaft: Es wird den Planeten und die Menschheit nicht retten, wenn plötzlich niemand mehr tierische Produkte zu sich nimmt. Im Gegenteil.

In die aufgeregte Debatte um die klimafreundliche Ernährung der Zukunft mischt sich Rubach mit Tatsachen ein, die manch Verfechter der veganen Ernährung vermutlich nicht so gerne lesen möchte. Scheinbar einfache Lösungen wie Fleischverzicht kontert der Ernährungswissenschaftler auf mehr als 200 Seiten mit einer differenzierten Betrachtung des globalen Lebensmittelsystems basierend auf der Grundannahme, dass die Regionen und Bedingungen auf der Welt unterschiedlich sind, während alle Menschen das gleiche Bedürfnis nach einer ausreichenden Versorgung mit den benötigten Nährstoffen haben, um gesund zu leben. Die Zukunft der Ernährung kann deshalb nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller organisiert werden.

Pflanzliche Proteine reichen nicht aus

Rubach zeigt, dass das, was wir in den westlichen Überflussgesellschaften für uns als „gesund“ und auch nachhaltig definieren, nicht selten auf Kosten der Bevölkerung ärmerer Länder geht, wenn beispielsweise unser Appetit auf Gemüse, Hülsenfrüchte & Co. mit Produkten aus Weltgegenden gestillt wird, in denen große Mengen Trinkwasser eingesetzt werden müssen, um diese wachsen zu lassen. Denn die landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland reichen Rubach zufolge nicht aus, um den Proteinbedarf von 83 Mio. Einwohnern mit pflanzlichen Produkten zu decken. „Bereits jetzt ist der Frischwasser-Fußbadruck der Deutschen (…) zu über 80 Prozent dem pflanzlichen Lebensmittelverzehr geschuldet“, schreibt Rubach, was daran liege, dass mit den importierten Lebensmitteln buchstäblich auch Wasser nach Deutschland gebracht wird, das dann in den Erzeugerregionen fehlt.

Dr. Malte Rubach

Dr. Malte Rubach beschäftigt sich als Referent und Buchautor seit mehr als 15 Jahren mit den Themen Ernährung, Gesundheit, Nachhaltigkeit und Innovation. Seine Arbeiten wurden in internationalen Fachzeitschriften und Fachbüchern veröffentlicht, zum Beispiel The New York Times und der Folha de S.Paulo. 2020 erschien vom ihm im Hirzel Verlag »Die Ökobilanz auf dem Teller«.

„Die öffentliche Debatte erweckt oft den Eindruck, mit pflanzenbasierter  oder sogar veganer Ernährung könnten bald 10 Mrd. Menschen ernährt werden. Fakt ist, dass es den Menschen in Afrika und Asien heute schon an hochwertigen tierischen Lebensmitteln und vor allem Protein mangelt. Die Zielkonflikte, um diesen wachsenden Bedarf zu decken, sind die größten Herausforderungen der zukünftigen Welternährung.“

Nur noch Rot- und Weißkohl auf dem Teller?

Deutschland sei nunmal eine Gunstregion für die Erzeugung von (Schweine- und Hühner-)Fleisch, Milch, Eiern, aber auch Futtermitteln – die Produktion sei hierbei vergleichsweise ökoeffizient. Der Selbstversorgungsgrad bei Obst liege hingegen hierzulande bei gerade einmal 20 Prozent, bei Gemüse sehe es mit 37 Prozent etwas besser aus. „Das einzige Gemüse, mit dem wir uns in Deutschland (…) zu 100 Prozent selbst versorgen könnten, wären Rot- und Weißkohl“, erklärt Rubach. Zugegeben: eine ziemlich einseitige Diät, wollte man sich wirklich rein pflanzlich und gleichzeitig regional ernähren. Ein globaler Handel mit Lebensmitteln, die dort produziert werden, wo die Bedingungen günstig sind, ist deshalb für Rubach durchaus wünschenswert. Denn verzichte man auf Produkte, die in weit entfernten, trockenen Gegenden produziert werden, führe das nicht zu mehr Klimaschutz, sondern zu Preisverfall und zur Vernichtung der Existenzen von Bauern in diesen Ländern.

Tierisches bleibt unentbehrlich

Als wichtiges Argument gegen die Vision einer veganen Welt nennt Rubach auch die unterschiedliche Wertigkeit pflanzlicher und tierischer Proteine für die Nährstoffbilanz: „Würde man einen Ernährungsplan ausschließlich auf Basis des Klimafußabdrucks pro kg eines Lebensmittels erstellen, so bestünde dieser wahrscheinlich aus Wasser, Obst, Gemüse sowie Kartoffeln – und führte geradezu in die Mangelernährung.“ Berücksichtige man bei der Berechnung des Klimafußabdrucks jedoch auch den Nährstoffgehalt, ergeben sich demnach deutlich kleinere Werte für tierische Lebensmittel als in der üblichen Berechnung. Denn, so Rubach, je mehr Nährstoffe ein Lebensmittel enthält, desto weniger müssen wir davon essen und umso kleiner ist der reale Klimafußabdruck der Ernährung. 

Tierische Lebensmittel seien deshalb für die zukünftige Ernährungssicherheit – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit – unentbehrlich.

Fleisch: Bedarfsdeckung vor Tierwohl

Und das Tierwohl, das neben dem Klimaschutz viele Veganer und auch Flexitarier umtreibt? Ist die hocheffiziente, um nicht zu sagen industrielle, wenig artgerechte Lebensbedingungen für Nutztiere in Kauf nehmende Produktion von tierischen Lebensmitteln  für die Ernährung von 10 Mrd. Menschen tatsächlich unverzichtbar? Hier bleibt Rubach vage und sieht die entwickelten Länder in der Pflicht, die Lage der Tiere zu verbessern, bevor dies in Entwicklungsländern passieren könne, denn die wachsende Nachfrage nach Fleisch werde dort in erster Linie zu einer Deckung des Bedarfs und erst nachrangig zu tierethischen Überlegungen führen. „Fortschritte der industrialisierten Weltregionen, was Tierhaltung und Tierwohl betrifft, werden daher umso bedeutender.“ Aha.

Ansonsten kann man dem Autor nicht vorwerfen, dass er nicht einen Großteil der Aspekte des globalen Lebensmittelsystems vom Verkehr, über die Energieversorgung bis hin zu Bildung und Geschlechtergerechtigkeit analysiert. Anhand der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen erklärt er sachlich, ausführlich und verständlich die Grundlagen und Auswirkungen unserer Ernährung auf Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft in den verschiedenen Teilen der Welt und belegt sie mit einem umfangreichen Quellenverzeichnis. Damit liefert er viele Denkanstöße, hinterfragt Glaubenssätze, stellt vermeintliche Tatsachen im wissenschaftlichen Kontext richtig und entzaubert Utopien wie die regionale Selbstversorgung von Metropolen oder eine mehrheitliche Umstellung der Landwirtschaft auf Bio.

Dr. Malte Rubach: Warum es uns interessieren sollte, wenn in China ein Sack Reis umfällt, S. Hirzel Verlag, 1. Auflage 2024, 221 Seiten, ISBN 978-3-7776-3414-2

Malte Rubach

Esskultur im Wandel

Auch für Rubach steht fest: Die Zeit drängt, wir müssen ins Handeln kommen, denn „das Verharren im Status quo führt über kurz oder lang in die Krise.“ Sein Fazit: „Menschen wie auch Staaten werden sich zukünftig auf ein regional verändertes Nahrungsmittelangebot einstellen müssen, unsere Esskultur wird sich deshalb einem Wandel unterziehen. Es wird auch ein Prozess des ‚Trial-and-Error‘ sein – aus Fehlern lernen, so läuft es seit Anbeginn der Evolution.“ Die Globalisierung stehe an einem Wendepunkt, an dem eine neue Phase eintreten müsse, damit Mensch und Umwelt wieder in ein gesundes Gleichgewicht finden.

Die Herausforderungen sind viel komplexer, als dass wir nun Fleisch oder Milch durch diverse pflanzliche Analogprodukte ersetzen. Ursachen für Unter- und Mangelernährung kann man damit nicht bekämpfen, sondern Armut, soziale Ungleichheit, Mangel an Bildung und Innovation sowie die agrarökologischen Rahmenbedingungen sind entscheidend.

Dr. Malte Rubach

Ernährungswissenschaftler und Autor, www.mrexpert.de

Doch wenn sich mit Fleischverzicht, regionaler Erzeugung und Ökolandbau die Welt nicht retten lässt – wie können Verbraucher in den Industrieländern dann einen Beitrag leisten, um die Klimaauswirkungen der sicheren und ausreichenden Ernährung von bald 10 Mrd. Menschen so gering wie möglich zu halten? Spoiler: nicht mit pflanzlichen Ersatzprodukten oder Laborfleisch. Rubach plädiert stattdessen für einen globalen und kooperativen Ansatz, bei dem Lebensmittel in den für ihre Produktion günstigen Regionen effizient und maximal nachhaltig erzeugt und dann in der ganzen Welt verteilt werden.

Dreiklang der Nachhaltigkeit

Die vielfältigen, identitätsstiftenden Esskulturen sollen und müssen dafür bei aller Notwendigkeit zur Veränderung erhalten bleiben, gleichzeitig die Versorgungssicherheit für bis zu 10 Mrd. Menschen gewährleistet sein und dem „klassischen Dreiklang der Nachhaltigkeit aus Ökologie, Ökonomie“ und Gesellschaft entsprochen werden. Kein einfaches Unterfangen, wie auch der Autor einräumt. „Unter stabilen gesellschaftspolitischen, ökologischen und ökonomischen Bedingungen bei gleichzeitiger Reduktion der Lebensmittelverschwendung wäre dies ohne Probleme möglich. Doch die Realität sieht anders aus.“

https://www.presstaurant.de/veganuary-eine-vegane-welt-ist-voellig-abwegig

Hilfeleistungen statt Besserwisserei

Wollen wir trotzdem vorankommen und die Ernährung der Zukunft klimafreundlicher gestalten, müssen die Demokratien des globalen Nordens Vorbild für die sich entwickelnden Länder des Südens sein, ihr Wissen um effiziente und nachhaltige Landwirtschaft weitergeben, ohne Anspruch darauf zu erheben, den einzig möglichen und besten Weg in eine lebenswerte Zukunft für alle zu kennen. Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen sollten je nach Region und Gegebenheiten priorisiert werden, fordert Rubach, um diese an die teils unvermeidbaren Folgen des Klimawandels anzupassen. Größter Angriffspunkt im globalen Norden, um einen globalen Beitrag zur Abschwächung des Klimawandels zu leisten, sei allerdings nicht der Verzicht auf Fleisch und Milch, sondern der Ausbau nicht-fossiler Energieträger.

Der Fakten-Analyse hätten gerne noch ein paar Ideen für eine klima- und tierverträglichere Landwirtschaft folgen können, auch das Thema schwindende Biodiversität wird vernachlässigt, Menschen, die aufgrund einer Umstellung auf vegane Ernährung nachweislich gesünder wurden, als Einzelfälle abgetan. Doch in der emotionalen Debatte um Fleischverzicht oder eben nicht, liefert Rubachs Buch spannende Erkenntnisse für alle, die sich eine informiertere Meinung bilden wollen, und einige „Ent-Täuschungen“ für diejenigen, die dachten, mit Fleischverzicht könnten sie die Welt retten. Es bleibt eine Gewissheit: Die Lage ist deutlich komplexer als uns vielfach weisgemacht wird.

Fotos: Ingolf Hatz (M. Rubach), Barbara Schindler