No politics at the bar? Für immer mehr Gastronomen ist diese Parole spätestens seit den Enthüllungen der Rechercheplattform Correctiv zu Geheimtreffen rechter Akteure in Potsdam nicht mehr tragbar. Sie fordern eine Gastronomie mit Haltung und hoffen gleichzeitig, dass Kollegen, die – online wie offline – ins Visier rechter Pöbler geraten mehr Unterstützung erhalten. Denn es droht längst nicht mehr nur wirtschaftlicher Schaden, die Meinungsunterschiede innerhalb der Gesellschaft werden bekanntlich zunehmend auch körperlich ausgetragen. Höchste Zeit, aktiv zu werden, dachte sich eine Gruppe von Branchenvertretern um die Barbetreiber Dominique Simon und Susanne Baró Fernandez sowie die Journalisten Stefan Adrian und Jan-Peter Wulf. Ihr neu gegründeter Verein Hosting Tomorrow will betroffenen Unternehmern im Umgang mit demokratiefeindlichem Verhalten Hilfestellung leisten und gleichzeitig demokratiefördernde Maßnahmen in der Gastronomie umsetzen.

Dominique, ihr seid in der Gründungsphase des Vereins Hosting Tomorrow. Worum geht es dabei? 

Dominique Simon: Die Initialzündung war ein Anruf des stellvertretenden Mixology-Chefredakteurs Stefan Adrian im Februar 2024. Er erzählte mir, dass er gerne aktiv werden würde, weil er auf einen Artikel sehr viel Resonanz bekommen hatte. Thema war die Frage, ob Bars vor dem Hintergrund der Veröffentlichungen von Correctiv über das Geheimtreffen von rechten Kräften in Potsdam heute politisch sein sollen oder sogar müssen. Wir waren uns einig, dass wir etwas unternehmen wollen. Ich selbst war ohnehin noch nie der weit verbreiteten Meinung, dass Politik in einer Bar nichts zu suchen hat.

Hosting Tomorrow
Der Stuttgarter Dominique Simon arbeitet seit 1993 in der Gastronomie und ist seit 2009 mit der Kölner Bar Spirits selbständig. 2015 eröffnete er mit Felix Engels die Sudermanbar. 2018 folgte die Gründung des Bar Symposium Cologne zusammen mit Felix Engels und Dominik Mohr.

 

Was genau soll der Verein für die Branche leisten?

Dominique Simon: Wir sind noch in der Findung. Die Vereinsgründung dient dazu, endlich ins Tun zu kommen. 

Jan-Peter Wulf: Nur verbal Flagge zu zeigen, dass die Zeiten von No Politics in der Bar beziehungsweise in der Gastronomie vorbei sind, ist uns zu wenig. In einem ersten Schritt wollen wir zusammentragen, welche Initiativen gegen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit es im Markt bereits gibt – und das sind schon einige. Die Botschaft soll lauten: Wenn es irgendwo ein Problem gibt, findet ihr bei uns die Kontaktdaten der passenden Ansprechpartner. 

Was ist der Vorteil der Organisationsform Verein für Hosting Tomorrow?

Susanne Baró Fernandez: Eine Vereinsgründung ist wichtig, weil sie das, was wir vorhaben, in geregelte und legitimierte Bahnen lenkt. Mit der Anerkennung als gemeinnnütziger Verein, der keine Profite erwirtschaftet, haben wir auch die Möglichkeit, Ausgaben zu tätigen, wie beispielsweise eine Website zu bauen oder Workshops und Events zu veranstalten. All das ist notwendig, wenn man ein bisschen mehr machen möchte als einfach nur reden. Networking ist der erste Schritt. Aktion der zweite. 

Das heißt, ihr finanziert euch über Mitgliedsgebühren?

Susanne Baró Fernandez: Ja, es gibt einen Jahresbeitrag für die Mitglieder. Zusätzlich ist natürlich Sponsoring denkbar, wobei wir uns da genau ansehen müssen, wer uns unterstützt und aus welcher Motivation heraus.  

Ich selbst war ohnehin noch nie der weit verbreiteten Meinung, dass Politik in einer Bar nichts zu suchen hat
Dominique Simon

Unternehmer, Spirits, Sudermanbar, Köln

Es gibt ja bereits Initiativen in der Gastronomie, die in dieselbe Richtung gehen, bei denen sich auch die großen Branchenverbände – zumindest mit ihren Logos – engagieren. Warum braucht es einen weiteren Verein?

Susanne Baró Fernandez: Wir werden sicherlich Synergien mit anderen Akteuren nutzen. Es bleibt aber das Gefühl, dass die Stimmen, die sich gegen Rassismus und Ausgrenzung aussprechen, nicht so laut sind, wie sie es sein sollten. Die Gastronomie und auch ihre Gäste sind so bunt und divers aufgestellt, alle preisen die Inklusivität und Offenheit, aber bekommen es trotzdem selbst häufig nicht hin, diese sicherzustellen. Es wird immer noch oft weggesehen. Oder eben doch an Gruppen vermietet, für die Menschenrechte nur eine untergeordnete Rolle spielen. Wir wünschen uns, alle an einen Tisc

Geboren und aufgewachsen in Berlin, arbeitet Susanne Baró Fernandez seit 2006 in der Berliner Gastronomie. Sie absolvierte die Stufen von der einfachen Servicekraft bis zur 5*-Hotellerie, bevor sie sich selbstständig machte. Seit 2017 betreibt sie das Timber Doodle und wurde für ihr Engagement für die deutsche Barszene 2021 mit dem Mixology Community Preis „Leuchttum“ ausgezeichnet.

Hosting tomorrow

Wie viele Mitglieder hat Hosting Tomorrow aktuell – und wie viele sollen es werden?

Susanne Baró Fernandez: Die Mindestzahl von sieben, die für eine Vereinsgründung notwendig ist, haben wir zusammen. Aber natürlich sollen es viel mehr werden. Ein Verein lebt vom Mitmachen und von der Vielfalt. 

Dominique Simon: Definitiv wollen wir nicht klein und exklusiv bleiben. Die große Aufgabe lautet, die Branche zu sensibilisieren und mit ins Boot zu holen, um möglichst viel Reichweite zu erzielen. 

Hosting Tomorrow
Jan-Peter Wulf ist Fachjournalist mit Schwerpunkt Gastronomie und Gründer des Gastroblogs www.nomyblog.de.

Wie reagieren die Kollegen, wenn ihr sie darauf ansprecht? 

Dominique Simon: Wenn wir über die Bar-Branche reden, beziehen wir uns ja auf eine relativ kleine Nische. Von den circa 15 Bars in Köln, die auf unserem Niveau arbeiten, hat etwa die Hälfte schon Interesse signalisiert, sich aktiv zu beteiligen. Da rennen wir offene Türen ein. Das größere Problem wird es sein, die breite Masse zu erreichen. 

Jan-Peter Wulf: Ein urbanes Barkonzept blickt auf diese Fragen natürlich ganz anders als ein traditioneller Landgasthof in einer Region, in der Fremdenfeindlichkeit und Rassismus immer mehr zur Mainstream-Meinung werden. Wie deren Realität inzwischen aussieht, können wir uns teilweise gar nicht vorstellen. Aber gerade ihnen müssen wir Hilfestellung leisten, in diesem Umfeld Haltung zu bewahren. 

 

Was bedeutet das konkret?

Jan-Peter Wulf: Ob wir selbst eine Form der Rechtsberatung anbieten können, wird abhängig davon sein, welche Partner wir für das Projekt gewinnen können. Die Organisation HateAid beispielsweise berät und vertritt die Opfer von Online-Hetze und -Mobbing. Vermutlich wird es aber zunächst auf Präventions- und Kommunikations-Workshops hinauslaufen.

Damit macht ihr Hosting Tomorrow und eure Betriebe vermutlich selbst auch zur Zielscheibe für Shitstorms. Wie werdet ihr damit umgehen?

Dominique Simon: Entspannt. Ich hoffe, dass wir dadurch, dass wir uns in unserer urbanen Bubble bewegen, einigermaßen geschützt sind. Klar ist: Der Kampf gegen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist kein Sprint. Mit kurzfristigen Aktionen lässt sich das Ruder nicht herumreißen. Es muss sich jeder bewusst sein, dass es ein langwieriger, schwieriger Prozess ist und man eventuell auch durch den einen oder anderen Shitstorm hindurch muss. 

Jan-Peter Wulf: Es gibt Initiativen, die für solche Fälle wirklich gute Tools zur Kommunikation anbieten – bis hin zu einzelnen Satzbausteinen, mit denen man einem Shitstorm die Wucht nehmen kann. Irgendwie ist doch derzeit die ganze Gegenwart ein einziger Shitstorm. Wir wollen etwas dagegensetzen, damit es vielleicht bald mal wieder ein bisschen mehr Candystorms gibt.

Wir kämpfen den Kampf schon lange – warum sollten wir ausgerechnet jetzt aufhören, Grenzen zu setzen? Meinungsfreiheit endet da, wo jemand meine Mitarbeiter beleidigt.
Susanne Baró Fernandez

Unternehmerin, Timber Doodle, Berlin

Was, wenn Umsatzeinbußen drohen? 

Dominique Simon: Ich habe mir dazu Gedanken für meine eigenen Läden gemacht und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich trotz dieses Risikos Haltung zeigen will. Und das hat ja auch Positives: Gerade unsere jungen Mitarbeiter fordern Haltung explizit ein, sie wollen für etwas einstehen und fragen nach, wie sich das Unternehmen, für das sie arbeiten, positioniert. Aber die diesbezüglichen Herausforderung ist in den schon angesprochenen ländlichen Räumen sicher deutlich größer als bei uns in der Großstadt Köln. 

Susanne Baró Fernandez: Der einzige Weg, derzeit nicht zur Zielscheibe zu werden, ist sich überall rauszuhalten und sich nirgendwo zu positionieren. Und das ist unserer Meinung nach zurzeit genau der falsche Weg. Damit kommen wir nicht weiter. Ein Gast, der damit ein Problem hat, wird mir nicht fehlen. 

Hosting Tomorrow

Könnte das nicht die allgemein beklagte Spaltung der Gesellschaft weiter vorantreiben, wenn man Gästen mit anderer Meinung signalisiert: Wir brauchen euch nicht? 

Dominique Simon: Das hat mit Spaltung nichts zu tun. Haltung einzunehmen, heißt noch lang nicht, keine Diskussion zuzulassen. Im Gegenteil: Ich finde es super-wichtig, dass wir in unseren Betrieben diesen überfälligen Austausch anschieben und die entsprechende Kultur schaffen. Das bedeutet auch, die Gegenmeinung auszuhalten. Es geht nur mit Überzeugungsarbeit. Lass uns gerne bei einem leckeren Manhattan darüber reden! Als in Deutschland geborene Person of Colour und zweifacher Vater führe ich diese Diskussionen ohnehin jeden Tag. 

Susanne Baró Fernandez: Ich bin alleinerziehende Mutter zweier Kinder mit lateinamerikanischen Wurzeln und erlebe ebenfalls oft, wie sich Ausgrenzung in Deutschland anfühlt. Wir kämpfen den Kampf schon lange – warum sollten wir ausgerechnet jetzt aufhören, Grenzen zu setzen? Meinungsfreiheit endet da, wo jemand meine Mitarbeiter beleidigt. 

SIP Podcast

von Katharina Rittinger und Jan-Peter Wulf

Jan-Peter Wulf spricht mit Katharina Rittinger im aktuellen SIP Podcast über die Ziele des neuen Vereins Hosting Tomorrow (ab Minute 16.50)

Also ist Haltung zu zeigen auch ein Teil erfolgreichen Employer Brandings?

Dominique Simon: Ja, natürlich. Es geht längst nicht nur um die Beziehung zu den Gästen, sondern auch um das Verhältnis der Teammitglieder untereinander. Gastronomie rühmt sich ihrer Vielfalt, gleichzeitig herrschen vielerorts extrem rassistische Strukturen. 

Wie geht es jetzt mit Hosting Tomorrow weiter?

Jan-Peter Wulf: Wir suchen weitere Mitstreiter: Gastronomen, Fachmedien und auch die Industrie sind herzlich eingeladen, sich zu engagieren. So fragmentiert die Branche auch ist: Wenn es darum geht, die Demokratie zu verteidigen, sollten wirklich einmal alle zusammenstehen und ihren Beitrag leisten. Denn Vielfalt lebt von der Vielfalt der Ideen.  

Fotos: Jim McIntosh, CC0, via Wikimedia Commons, cogdogblog, CC0, via Wikimedia Commons, privat