Wie steht es um die Digitalisierung in der Gastronomie? Gibt es Fortschritte oder hält sich die Branche nach wie vor zurück?
Michael Kuriat: Insgesamt sehe ich die Gastronomie im Vergleich zu anderen Branchen eher im hinteren Drittel, was die Nutzung digitaler Möglichkeiten und den Stellenwert des Themas betrifft. Das ist erstaunlich, weil die Digitalisierung der Branche in vielen Problembereichen, die uns tagtäglich beschäftigen, sehr helfen kann.
Gerade das Internet bietet viele Marketing-Chancen. Warum sind viele Gastronomen so zurückhaltend, sie zu ergreifen?
Michael Kuriat: Die Branche sieht sich heutzutage mit enormen Herausforderungen konfrontiert, da hat die Digitalisierung für viele einfach keine Priorität. Bürokratie und Personalmangel kosten häufig zu viel Zeit. Größere Gastronomen tun sich leichter: Sie haben die Mittel, Fachleute einzustellen, die sich um die digitalen Themen kümmern. Die meisten von ihnen haben die Wichtigkeit der Digitalisierung längst erkannt. Das verschafft ihnen gegenüber den Kleinen einen Vorsprung.
Haben die Ketten also einen Vorteil, weil die Digitalisierung eines Betriebs teuer ist?
Michael Kuriat: Das ist nicht der entscheidende Punkt. Digitalisierung muss in jedem Unternehmen von oben geschehen: Die Geschäftsführung muss ihren Nutzen erkennen, sie vorantreiben und natürlich auch Geld dafür ausgeben. Es reicht nicht, seinen Mitarbeitern zu sagen: Digitalisiert mal! Die meisten Investitionen sparen außerdem später bares Geld.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Michael Kuriat: Wenn ein Tool zum Beispiel die Dienstplangestaltung in einem Drittel der Zeit erledigt und der Algorithmus dabei alle Wünsche des Teams und äußeren Gegebenheiten, die den Betrieb im Restaurant beeinflussen – vom Wetter bis zu Events oder Messen in der Nähe – berücksichtigt. Das hilft sogar gegen den Personalmangel, weil die Mitarbeiter zufriedener sind. Künstliche Intelligenz und Machine Learning werden deshalb immer wichtiger. Unternehmen, die das für sich zu nutzen wissen, haben in Zukunft klar die Nase vorn.
Wo gibt es zurzeit die spannendsten Neuerungen?
Michael Kuriat: Die digitale Kommunikation entwickelt sich gerade sehr rasant weiter. Gastronomen sind gut beraten, für ihre Gäste auf allen digitalen Kanälen ansprechbar zu sein. Ja, ihnen sogar aktiv zu begegnen, indem beispielsweise Push-Nachrichten mit Angeboten auf dem Handy aufploppen, wenn sie in der Nähe des Restaurants sind.
Auch die Warenwirtschaft lässt sich mittlerweile vollständig digitalisieren. Dort entstehen dank der Technik ganz neue Möglichkeiten und Geschäftsmodelle, von denen Gastronomen profitieren können.
Weil sie dabei helfen, zu geringeren Kosten ein besseres Erlebnis für den Gast zu schaffen?
Michael Kuriat: Ja, und das zieht sich durch die komplette ‚Customer Journey‘, von der Buchung über den Aufenthalt im Restaurant bis hin zur – hoffentlich positiven – Bewertung des Besuchs im Nachhinein. Letztere ist wichtig, damit die digitale Mundpropaganda in Gang gesetzt wird, die dann neue Gäste anlockt.
Wollen die Gäste denn, dass Restaurants digitaler werden?
Michael Kuriat: Die Digitalisierung verändert die Ansprüche der Menschen – auch wenn es vielen nicht bewusst ist. Jeder erledigt heute so viel mit dem Smartphone – angefangen von der Bordkarte beim Fliegen bis hin zur Fahrkartenkontrolle im Zug.
Diese Entwicklung findet überall statt, da kann die Gastronomie schlecht aussen vor bleiben.
Im westfälischen Ahaus funktioniert die Gastronomie digital. Mehr zu lesen Sie hier. Foto: Tobit Software
Werden wir denn in Zukunft vermehrt von Robotern bedient werden? Erste Vorbilder gibt es ja schon …
Michael Kuriat: Das sind extreme Beispiele, die sich nicht so schnell flächendeckend durchsetzen werden. In der Bar in Las Vegas, in der Roboter die Cocktails mixen, werden zwar viele Fotos und Selfies gemacht, aber am nächsten Abend gehen die Leute wieder dahin, wo sie mit dem Barkeeper plaudern können. Spannender als Roboter, die kochen oder bedienen, sind aus meiner Sicht Self-Ordering-Systeme, bei denen der Gast bestimmte Prozesse selbst übernimmt und nicht warten muss, bis der Kellner Zeit hat.
Sie forschen mit der Universität Leipzig am Restaurant der Zukunft. Worum geht es da genau?
Michael Kuriat: Wir bringen Gastronomen, Industrie, Großhändler, Programmierer und Startups in einem Think Tank zusammen und überlegen gemeinsam, wohin die Reise gehen kann: Was brauchen wir in Zukunft? Was wollen die Gäste? Ist das technisch möglich? Was dürfen wir? Und dann heißt es, das auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.
Wie werden denn Restaurants in circa fünf Jahren aussehen?
Michael Kuriat: Ich persönlich hoffe, dass Gastronomie das ‚Soziale Lagerfeuer‘ bleibt, also, dass sich die Grundidee von Gastgebertum und Authentizität nicht komplett verändert. Wahrscheinlich werden Menschlichkeit und Emotion als Gegentrend zur Digitalisierung sogar gefragter sein denn je. Aber: Diejenigen, die glauben, weiterhin alles analog machen zu können, verlieren früher oder später den Anschluss. Digitalisierung ist ein Zug, bei dem wir das Ziel nicht kennen. Aber wir sollten ihn nicht verpassen.
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.