Während deutsche Gastronomen noch diskutieren, wie sich digitale Tools nutzen lassen, um das Restauranterlebnis für den Gast zu verbessern und die operativen Abläufe zu erleichtern, zeigt die schwedische Kette Pincho Nation mit mehr als 60 Standorten bereits, wie es geht. Seit ein paar Wochen ist das Konzept von Koch Magnus Larsson auch in Berlin präsent. Das Besondere: Eingecheckt, bestellt und bezahlt wird hier in der Regel per App. Die Aufgabe der Mitarbeiter? Dafür zu sorgen, dass sich die Gäste trotz des hohen Technisierungsgrades so richtig wohlfühlen!
Viele Versuche, den Deutschen das Bestellen und Bezahlen per App, Order Kiosk oder Tablet im Restaurant schmackhaft zu machen, sind in früheren Jahren kläglich gescheitert: Wer erinnert sich noch an La Baracca oder Holyfields? Einzig das Burgerkonzept Burgerlich und die asiatische Formel Okinii konnten sich bisher eine ernstzunehmende Position im Markt erobern – jenseits von Fast-Food-Größen wie McDonald’s, bei denen das digitale Bestellen seit einiger Zeit ebenfalls im Einsatz ist. Im westfälischen Ahaus zeigt außerdem das Software-Unternehmen Tobit in seinem Showcase-Restaurant Sherlock, was es bedeutet, wenn ein Betrieb „so richtig digital“ durchorganisiert ist (siehe Kasten unten).
Ob die – nicht immer ausgefeilte – Technik der Grund für das Aus der Pioniere war oder ob es einfach noch zu früh war, darüber lässt sich streiten. Doch noch sind sich viele Gastronomen einig: Die Branche ist ein People Business, in dem Menschen mit Menschen kommunizieren möchten, nicht mit Handy, Tablet & Co.
App ist Teil der Inszenierung
Bei Pincho Nation steht deswegen das analoge Erlebnis ganz oben auf der Prioritätenliste. Das Restaurant erinnert an eine Manege: Am Eingang gibt es Popcorn, innen erwartet die Gäste ein knallbuntes Sammelsurium aus detailverliebter Dekoration und Anspielungen an die Zirkuswelt. „Es gibt immer wieder Neues zu entdecken“, erklärt Geschäftsführer Daniel Schartner. Die optische Reizüberflutung ist gewollt: Alles ist emotional und verspielt, sodass auch der Bestellvorgang als Teil der Inszenierung erscheint und nicht als unpersönlicher technischer Prozess.
Kleine Portionen zum Teilen und Ausprobieren gehören zum kulinarischen Konzept von Pincho Nation. Fotos: Pincho Nation
„Eine wichtige Rolle im Konzept spielen tatsächlich die Mitarbeiter“, erklärt Schartner. „Auch wenn – oder gerade weil – sich ihre Service-Aufgaben häufig auf das Erklären der App und das Abräumen der Tische beschränken, brauchen wir echter Gastgeber-Talente. Denn ihr Job ist viel mehr die Kommunikation als in anderen Restaurants.“
Identifikation per Tischcode
Wie funktioniert die App denn nun? Für diejenigen Gäste, die Pincho Nation bereits kennen, beginnt das Erlebnis schon vor dem Betreten des Restaurants. Sie laden die App auf ihr Handy und können gleich darüber einen Tisch reservieren. Wer seine Kontodaten hinterlegt, spart hinterher beim Bezahlen Zeit. Bei der Ankunft in der Berliner Meinekestraße – nur einen Steinwurf vom Kudamm entfernt – erhalten die Gäste einen Tischcode, den sie bei der Bestellung angeben müssen. Und dann kann es losgehen: In der App ist das komplette Speisen- und Getränkeangebot abrufbar: kleine Gerichte (‚Pinchos‘) unterschiedlichster Herkunft, vom Burger über Korean BBQ Ribs und Dumplings bis hin zu Steak, Kebab und Buffalo Wings zu sehr fairen Preisen zwischen 3 und 7 €. Sharing ist Teil der Idee – zum einen, weil kleine Portionen zum Mehrbestellen verführen, zum anderen, weil es die Kommunikation unter den Gästen anregt.
Bestellen bei Pincho Nation: Einfach durch die App scrollen, beim gewünschten Produkt auf ‚Plus‘ tippen und Bestellung abschicken. Screenshots: Barbara Schindler
„Dadurch, dass niemand mehr auf einen gestressten Kellner warten muss, entspannt sich das Erlebnis für die Gäste automatisch“, sagt Schartner. Gäste und Personal können sich auf die schönen Seiten des Essengehens konzentrieren. Teil des Eatertainments ist auch die offene Küche: Wer möchte, kann seine Bestellung am Tresen abholen und dort mit Köchen und Barkeepern ins Gespräch kommen. Vorteil: Es entfällt die Wartezeit auf den Service und kann zusehen, wie das Essen oder der Cocktail zubereitet wird. „Obwohl man seine Bestellung sehr schnell erhält, beträgt die Verweildauer im Restaurant rund 1,5 Stunden“, verrät Schartner.
Digital Natives und Senioren Ü60
Wer bezahlen möchte, teilt das über die App mit, bekommt die Rechnung aufs Handy geschickt, bezahlt mit einem Fingertipp und verlässt das Restaurant. Übrigens: Für Gäste, die kein Handy dabei haben, hält Pincho Nation eine Anzahl von bestellfähigen Geräten zum Ausleihen bereit. Digitalverweigerer können überdies auch ‚ganz normal‘ bestellen und bar bezahlen. „Aber die meisten nutzen die App“, berichtet Schartner, „darunter nicht nur viele junge Digital Natives, sondern erstaunlich viele Senioren über 60!“
Pincho Nation
Pincho Nation wurde 2012 vom schwedischen Koch Magnus Larsson, der sich ein Konzept wünschte, das schneller, effizienter und profitabler war als sein bisheriges Restaurant. Kulinarisch setzt Pincho Nation auf ‚Fun Food‘ mit internationalem, aber auch lokalem Einschlag. Inzwischen gibt es 65 Standorte in Schweden, Norwegen, Finnland und Dänemark. Die Marke will via Franchising weiter wachsen.
Bei 160 Sitzplätzen kommt das Berliner Pincho Nation derzeit mit gerade einmal drei Servicekräften plus einem, am Wochenende zwei Bartendern pro Schicht aus. Ein Host begrüßt die Gäste, erklärt das Konzept, weist die Tische zu.
Neben dem Essen spielen Getränke eine wichtigte Rolle. Klar: Muss man sich doch nicht erst an die Bar durchkämpfen, um einen weiteren Drink zu bestellen, sondern kann dies ganz unkompliziert per App erledigen. Die Spezialität sind ‚Candy-Cocktails‘ mit Süßigkeiten – besonders beliebt bei der jungen Zielgruppe zwischen 18 und 28 Jahren.
Nach rund vier Wochen ist Schartner sehr zufrieden mit dem Start in Berlin. Und natürlich soll es bei dem einen Standort nicht bleiben. „Wir wollen allerdings in Ruhe wachsen“, erklärt der Geschäftsführer. Die Kette ist ausdrücklich auf Franchising hin konzipiert. Neue Restaurants sind nicht aufwändiger als bei anderen Konzepten auch. „Die Technik wurde über sechs Jahre von Gründer Magnus Larsson, einem gelernten Koch, selbst entwickelt und ist nun leicht an neuen Standorten implementierbar“, erläutert Schartner. „Alles, was man braucht, ist ein kompatibles Kassensystem, das sich mit der App verknüpfen lässt.“
App-Restaurant Sherlock
Im Sherlock’s in Ahaus können sich die Mitarbeiter vor Ort genau darauf konzentrieren, worum es geht: Gutes Essen, toller Service und ein zufriedener Gast! Alle organisatorischen Schritte, von der Tischreservierung bis zur gesamten Personalplanung, übernimmt das Business Operating System chayns®. Und wenn er möchte, ist der Gast sogar mittendrin: Egal ob Getränkebestellung oder Tischreservierung, mit dem eigenen Smartphone kann der Gast sogar selbst steuern. Und wer am Ende in bar bezahlen möchte, kann auch das. Und trotzdem läuft alles zentral über ein System.
Seit dem 1. September 2017 betreibt Tobit.Software das Sherlock’s als Showcase für moderne Systemgastronomie. Während hinter den Kulissen die Software für den reibungslosen Ablauf sorgt, wird im Restaurant in edlem Ambiente gespeist und gefeiert. Auch ein Beachclub, ein Pub, eine Bar, ein Take-away und ein Hotel gehören zum gastronomischen Portfolio des Technikunternehmens.
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.