Mit 33 Jahren geht Anja Hirschberger, älteste Tochter der Hans im Glück-Gründer Gunilla und Thomas Hirschberger, ihren Weg in der Gastro-Branche: Neben den Fußstapfen der Eltern hinterlässt sie dabei selbstbewusst ihre eigenen Spuren. Dieses Porträt entstand im Auftrag und erschien erstmals in der Fachzeitschrift Fizzz.
Wenn es um Herausforderungen geht, hält es Anja Hirschberger mit ihrer schwedischen Landsfrau Pippi Langstrumpf: „Das habe ich noch nie versucht, deswegen bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe!“ So sagte sie beispielsweise sofort zu, als Frank Buchheister sie fragte, ob sie im Aufsichtsrat des Leaders Clubs mitmachen wolle. „Erst hinterher habe ich überlegt, was ich da tun muss und ob ich das überhaupt kann“, erinnert sich die Tochter des schwedisch-bayrischen Power-Paars Gunilla und Thomas Hirschberger an den Moment, als sie der Anruf des Vorstandsvorsitzenden des Gastronomie-Netzwerks beim Wandern erreichte. Doch Pippis Mutmacher-Motto überzeugte sie schnell: Natürlich kann ich das!
„Schließlich war ich die Tochter vom Chef, dabei wollte ich einfach nur die Anja sein. Ich musste von Anfang an performen, damit keiner denkt, ich würde bevorzugt.“
Erst nachdenken, dann entscheiden
Was nicht heißt, dass die Gastronomin und Unternehmerin immer spontan vorprescht oder gerne im Mittelpunkt steht. „Eigentlich bin ich ein eher ruhiger Mensch, der sich Dinge erst einmal anhört und darüber nachdenkt, dann erst entscheidet“, beschreibt die 33-Jährige sich selbst. Dabei beweist das älteste von drei Hirschberger-Geschwistern schon seit einiger Zeit als Head of Investment und Konzeptentwicklerin in der Familien-Holding AML Invest, was sie kann. Parallel führt sie ihre eigene Firma, mit der sie unter anderem das Startup Tintale’s beim Aufbau und Vertrieb einer Range von Ready-to-Drink-Cocktails in Dosen unterstützt.
Ihr Weg in die Gastro- und F&B-Branche war allerdings längst nicht so vorgezeichnet, wie man es denken könnte, wenn man die Geschichte ihrer Eltern, Gründer der systemgastronomischen Ikonen Sausalitos und Hans im Glück, kennt. Zunächst war da ein ganz anderer Berufswunsch: „Anja wollte immer Ärztin werden, lief zum Fasching mit weißem Röckchen und Arztkoffer herum, mit dem sie ihren Bruder von oben bis unten verpflasterte“, plaudert Gunilla Hirschberger im Mutter-Tochter-Interview aus dem Nähkästchen.
Den eigenen Weg gehen
Erwartungsdruck, dass die nächste Generation das Werk der Eltern weiterführt, gab es im Hause Hirschberger anders als bei vielen anderen Münchner Wirtefamilien nie. „Uns war wichtig, dass Anja, Mathias und Lina ihren eigenen Weg gehen, nicht den unseren fortsetzen“, betont Gunilla. Und so zog es die Älteste zwar schon zu Schulzeiten als Aushilfe ins Münchner Sausalitos, nach dem Abi dann aber schnurstracks zum Medizinstudium nach Ungarn. „Ich wollte raus aus München, mal was anderes sehen, etwas alleine schaffen.“ Fünf Jahre kämpfte sie sich durch die „sehr eigene“ Medizinwelt, bis nicht mehr zu leugnen war: „Das passt nicht zu mir. Es soll nicht sein.“
Also stand ein beruflicher Neustart an, verbunden mit der Frage: Was kann ich? Was macht mir Spaß? Die – letztendlich wenig überraschende – Antwort lautete: Gastronomie! Just zu diesem Zeitpunkt eröffnete die Familie in München den ersten Standort ihres neuen Projekts Hans im Glück – eines der ersten und bis heute erfolgreichsten Better-Burger-Konzepte der Republik.
Enchilada, Sausalitos, Hans im Glück … Gunilla und Thomas Hirschberger haben mit ihren Erfolgskonzepten die deutsche Freizeitgastronomie geprägt wie wenige andere. Ihre drei Kinder Anja, Mathias und Lina treten in ihre Fußstapfen. Fotos: AML Invest/Leonhard Huber
Von Anfang an performen
Anja Hirschberger spürte sofort: Das ist genau meins – das kreative Chaos, die Abwechslung, die Menschen! Sie stieg Vollzeit im Service ein und stand bei der Betriebsleitung sofort unter besonderer Beobachtung. „Schließlich war ich die Tochter vom Chef, dabei wollte ich einfach nur die Anja sein. Ich musste von Anfang an performen, damit keiner denkt, ich würde bevorzugt“, erinnert sie sich an den nicht immer leichten Start. Dass andere vor ihr befördert wurden, spornte sie nur noch mehr an: „Ich wusste immer, dass ich auch Verantwortung übernehmen will.“
„Sowas hatte ich noch nie gemacht, aber ich wollte es versuchen. Dank meines wunderbaren Teams wurde es ein großer Erfolg!“
Ohne besondere Privilegien arbeitete sie sich bei Hans im Glück hoch: von der Service- über die Schicht- bis hin zur stellvertretenden Betriebsleitung. Als jemand für die Eröffnung des Hans im Glück-Restaurants in Starnberg gesucht wurde, war Anja Hirschberger – Pippi lässt grüßen – zur Stelle: „Sowas hatte ich noch nie gemacht, aber ich wollte es versuchen. Dank meines wunderbaren Teams wurde es ein großer Erfolg!“
Rollen gefunden
Ihr praktisches Know-how unterfütterte die Halb-Schwedin bis 2018 mit einem MBA-Studium an der Uni Göteborg, entwickelte parallel dazu gemeinsam mit Gunilla ihr erstes eigenes Gastrokonzept, das Café 48 in der Münchner Leopoldstraße. Eine Lernstrecke für Mutter und Tochter: „Ich musste mich ganz schön zusammenreißen, sie und ihr Team machen zu lassen, nachdem sie mich hinter der Bar nicht mehr sehen wollte“, räumt Gunilla augenzwinkernd ein. Mit Anja als Chefin und Gunilla als Gastgeberin fanden schließlich beide ihre Rollen. Inzwischen hat Anja bei mehreren Projekten der AML Holding die Führung übernommen, während Gunilla im Hintergrund bleibt. Beide sind sich einig: „Das funktioniert wunderbar!“
Gunilla Hirschberger gehört zu den bekanntesten Gesichtern der deutschen Gastro-Branche. Als Vorsitzende des Frauennetzwerks FOODSERVICE unterstützt sie Nachwuchs-Managerinnen auf ihrem Weg.
Zumal beide ganz unterschiedliche Stärken und Interessen haben. Gunilla ist die Kreative, die Feng Shui-Expertin, die es liebt, Wohlfühl-Räume zu gestalten. Ihre Idee, Birkenstämme in die Hans im Glück-Restaurants zu stellen, fand nicht nur in der Gastrobranche viele Nachahmer.
Anja dagegen mag Zahlen, gilt innerhalb der Familie als „Finanzministerin“ und denkt sehr analytisch. „Sie hat das Unternehmer-Gen“, lobt Gunilla, „ist zudem sehr zielstrebig und ehrgeizig.“
Eigentlich wollte Anja Hirschberger Ärztin werden. Doch die Foodservice-Branche ließ sie nicht los: Nach dem MBA-Studium übernahm sie die Position als Head of Investment in der Familien-Holding und investiert in Startups.
In den vergangenen Jahren hat die Tochter mehr und mehr die Position der Mutter im Familienunternehmen eingenommen. „Ich genieße das“, freut sich Gunilla darüber, dass sie dadurch die Zeit hat, mehr Design-Aufträge außerhalb des Hirschberger-Kosmos zu übernehmen.
Vater und Tochter ticken ähnlich
Funktioniert die Zusammenarbeit mit Vater Thomas auch so harmonisch? „Zu 90 Prozent ja“, sagt Anja Hirschberger. „Aber manchmal sind die Familienbande im Unternehmen auch herausfordernd. Mein Vater hat wahnsinnig viel Erfahrung. Er und ich ticken sehr ähnlich und wollen immer 1.000 Prozent geben. Wir pushen uns gegenseitig, aber es erhöht auch den Druck. Entscheidend ist, dass wir ehrlich miteinander umgehen – beruflich wie privat.“ Nach Feierabend oder am Wochenende steht die Familie ohnehin an erster Stelle, auch wenn die Gastronomie natürlich oft Gesprächsthema ist. Dann kocht Thomas Hirschberger für alle, man isst zusammen und schaut gemeinsam Fußball – früher ein sonntägliches Ritual, für das heute zum großen Bedauern aller nur noch wenig Gelegenheit ist, weil Bruder Mathias die im Familienbesitz verbliebenen Hans im Glück-Standorte in Singapur leitet und Schwester Lina in Bad Honnef Hospitality Management studiert.
„Manchmal sind die Familienbande im Unternehmen auch herausfordernd. Mein Vater hat wahnsinnig viel Erfahrung. Er und ich ticken sehr ähnlich und wollen immer 1.000 Prozent geben. Wir pushen uns gegenseitig, aber es erhöht auch den Druck. Entscheidend ist, dass wir ehrlich miteinander umgehen – beruflich wie privat.“
Ihre Eltern sind für die junge Unternehmerin nach wie vor die wichtigsten Ratgeber, zu denen sie jederzeit mit Fragen kommen kann. „Dabei müssen wir uns manchmal zurücknehmen: nur beraten, nicht machen“, ist Gunilla streng mit sich selbst. Ist es eher ein Vor- oder Nachteil, wenn die Eltern in der gleichen Branche mehr oder weniger Legendenstatus haben? Teils, teils, sagt Anja: „Der Name Hirschberger hat es uns Kindern nicht immer nur leichter gemacht. Oftmals mussten wir Vorurteile überwinden, uns blöde Sprüche anhören und schmerzhaft lernen, wer unsere wirklichen Freunde sind.“
Wertschätzung für den Nachwuchs
Gleichzeitig profitieren die Drei von langjährigen guten Beziehungen und tatkräftiger Unterstützung innerhalb der Branche. „Den Leaders Club und viele seiner Mitglieder beispielsweise kenne ich schon mein ganzes Leben“, berichtet Anja Hirschberger. Dass sie dort selbst inzwischen erfolgreich mitarbeitet, empfindet sie als Ehre: „Es ist toll, dass diese verdienstvollen Persönlichkeiten und starken Charaktere den Nachwuchs wertschätzen und nach seiner Meinung fragen. Ich freue mich, etwas für die Branche tun zu können.“
Wertschätzung, Austausch und Talentförderung sind auch Kernthemen des Frauennetzwerks Foodservice, in dem Anja ebenfalls Mitglied und Teil des Mentee-Programms ist. Als Vorsitzende des Netzwerks weiß Gunilla Hirschberger, dass Frauen in der Branche sich heute nicht weniger, aber mitunter anderen Herausforderungen stellen müssen als vor 30 Jahren. „Als ich damals in der Gastronomie anfing, gab es keinerlei Community über die Grenzen der eigenen Stadt hinaus, alles war ausgesprochen maskulin geprägt. Wenn Thomas und ich irgendwo gemeinsam auftauchten, hieß es tatsächlich: Da kommt der Hirschberger mit seiner Handtasche! Dabei haben wir das Unternehmen immer gleichberechtigt geführt.“ Für die gebürtige Schwedin waren berufstätige Frauen Anfang der 90er Jahre viel selbstverständlicher als für den (west-)deutschen Durchschnitt: „Das typisch deutsche Wort ‚Rabenmutter’ gibt es im Schwedischen nicht!“, ist sie immer noch empört über die Bezeichnung.
Das gemeinsame Mutter-Tochter-Projekt Café & Bar 48 in München mussten die Betreiberinnen coronabedingt aufgeben.
Auch wenn heute mehr Männer sich Feministen nennen, gebe es immer noch viel zu tun. „Kürzlich hat mir jemand erzählt, dass er drei Frauen eingestellt hat, und dafür großes Lob erwartet“, schüttelt Gunilla schmunzelnd den Kopf. „Das ist ein toller Anfang, aber eben nur ein Anfang!“
Männer immer noch in der Mehrzahl
Auch für Tochter Anja ist der Weg zu mehr Teilhabe noch längst nicht abgeschlossen: „Klar ist die Branche heute weiblicher, bunter, diverser. Aber die weißen Männer sind nach wie vor in der Mehrzahl.“ Immer noch erlebe sie, dass es in Job-Interviews darum gehe, ob Frauen wegen Mutterschaft „ausfallen“ könnten. „Alter und Frausein haben doch nichts mit Kompetenz zu tun. Es liegt an uns, diese Wahrnehmung zu ändern.“
Weil Gleichberechtigung für alle mehr bedeutet, als nur mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, arbeiten Mutter und Tochter aktuell an einem neuen Projekt mit einem ganz besonderen Konzept: „Wir möchten in einem inklusiven Restaurant behinderten Menschen eine berufliche Perspektive bieten“, verrät Anja. Federführend bei diesem Projekt ist auch diesmal die Tochter, die außerdem von einer eigenen kleinen, aber feinen Gastro-Kette träumt. „Bis zu 20 Outlets traue ich mir zu.“ Mama Gunilla ist wie immer überzeugt, dass sie das schafft: „Ich habe vollstes Vertrauen ins sie. Ich weiß, dass sie das kann!“ Pippi Langstrumpf gefällt das.
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.