Vielfalt, Technologieoffenheit, alte ebenso wie neue Nahrungsmittel aus regenerativer Produktion – und das alles abgestimmt auf das eigene unternehmerische Profil. Das sind für Trendforscherin Hanni Rützler die großen Food-Themen des kommenden Jahres, die sie jetzt in ihrem neuen Food Report der Öffentlichkeit vorstellte. Dabei beschäftigte sie sich in ihrer inzwischen elften Analyse stärker als bisher mit dem Wandel unseres Ernährungssystems und der Esskultur – mit der augenfälligsten Entwicklung weg vom hochwertigen Luxus- und auch Alltagsprodukt Fleisch hin zu einer weniger verzicht- als genussgeprägten pflanzlichen Küche. „Fleisch wird in der Wahrnehmung vieler zum Problemnahrungsmittel. Pflanzen sind die Zukunft“, fasste die Expertin im Digital Talk mit Harry Glatterer, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts, zusammen. „Sie erobern zunehmend den Platz als Leitsubstanz, den Fleisch lange innehatte.“ Gleichzeitig etablieren sich jedoch auch starke Gegentrends.

Hanni Rützler

Hanni Rützler beschreibt und interpretiert seit mehr als einem Vierteljahrhundert, wie sich die F&B-Branche und unsere Esskultur wandeln. In jedem ihrer bislang veröffentlichten elf Food Reports wirft Europas führende Food-Trend-Forscherin einen professionellen Rundumblick in die kulinarische Zukunft. Den Grundstein für ihren multidisziplinären Zugang zur Ess- und Trinkkultur legte sie mit dem Studium der Ernährungswissenschaften, der Psychologie, Soziologie und Ökologie. Schon seit Beginn widmet sie sich ihrem Herzensthema mit einer ausgeprägten Leidenschaft für Lebensmittel. 

Und so gehören zu den Food Trends, die Hanni Rützler im neuen Food Report 2024 vorstellt, unter anderem die neuen Verbrauchertypen der Vegourmets, Carneficionados und Real Omnivores als Antithese zum rein pflanzlichen Credo. „Neue Phänomene brauchen neue Begrifflichkeiten“, begründete die Expertin die Wortwahl. „Sie bilden einen starken Gegentrend zum Veganismus und Flexitarismus, der wiederum deren Kraft untermauert. Denn jeder starke Trend stößt früher oder später auf großen Widerstand.“

Nachhaltigkeit ist ein Muss

Allerdings gilt das nicht für den globalen Megatrend Nachhaltigkeit, den Bevölkerungswachstum, Klimakrise ebenso wie die abnehmend Artenvielfalt und Bodengesundheit diktieren. Und so steht für die Vegourmets ebenfalls das – kreativ und exzellent zubereitete – Gemüse im Fokus, während die Carneficionados neben der Fleischqualität auch Wert auf Tierhaltung, Fütterung und neue sensorische Erlebnisse legen. Beide Gruppen meiden Rützler zufolge Fleisch aus industrieller Produktion ebenso wie pflanzlichen Ersatz. „Die Real Omnivores sind dagegen überwiegend junge Leute, die sehr offen sind für neue Technologien und Lebensmittel“, führt Hanni Rützler aus. „Neugierig und aufgeschlossen, probieren und akzeptieren sie auch Kulturfleisch, Algen und Insekten.“

Der Ackerboden als Schlüssel

Um das große Label „klima- oder zumindest umwelt-, beziehungsweise tierfreundlich“ kommt in Zukunft also kein Trend mehr herum. Letzter Schrei und laut Hanni Rützler „ein schnell wachsender Trend im Schatten der Klimakrise“: Regenerative Food, das den Fokus auf den Ackerboden als entscheidenden Schlüssel für ein gesundes Ökosystem legt und den Einfluss der Landwirtschaft auf den Klimawandel zu minimieren, gleichzeitig die Biodiversität zu fördern will. Auch Kreislaufsysteme, Vermeidung von Lebensmittelverschwendung und Zero Waste gehören zu den Trends, die jeder im kommenden Jahr im Auge haben sollte. „Es sind jene Trends, die unter dem Überbegriff Nachhaltigkeit die nötige Verschiebung von linearer Produktivität zu zirkulärer Erneuerbarkeit anzeigen“, wie Hanni Rützler schreibt.

Hanni Rützler Food Trends
Hanni Rützler Food Trends

„Diese Food-Trends lösen aber nur dann einen fundamentalen Wandel aus, wenn die verschiedenen Akteure des Nahrungsmittelsystems, also Industrie, LEH, Gastronomie und Landwirtschaft, sie aufgreifen und vorantreiben – was oft auf Druck der Konsumenten geschieht“, fährt Hanni Rützler fort. „Wir erleben beispielsweise gerade eine grundlegende Veränderung der Verdelungsindustrie: Während wir früher Pflanzen zur Veredelung an Tiere verfüttert haben, verarbeiten wir nun die Pflanzen, damit sie tierischen Produkten möglichst ähnlich werden.“

„Um ‚die Welt zu retten‘, ist Plant-based Food nicht der einzige Weg. Auf der Roadmap für eine genussvolle, ausgewogene und nachhaltige Ernährung der Zukunft finden sich auch Food-Trends, die Fleisch und Fisch nicht ausschließen.“

Hanni Rützler

Trend-Forscherin, futurefoodstudio

Planzenfokussiertes Kochen statt Ersatzpropdukte

In der Gastronomie finde dieser Wandel auf einer anderen Ebene statt: „Zwar hat auch hier der Anteil veganer und vegetarischer Offerten deutlich zugenommen. Das heißt aber nicht, dass die meistens industriell hochverarbeiteten Produkte einen Siegeszug angetreten hätten“, erläutert Hanni Rützler. „Vielmehr geht es in der Plant Based Cuisine um einen neuen, liebevollen Blick auf die pflanzlichen Ausgangsprodukte.“ Das geschieht beispielsweise über die Veganisierung traditioneller Gerichte oder das Aufgreifen pflanzlich orientierter Esskulturen. „Wenn wir die mitteleuropäische Esskultur pflanzlich weiterentwickeln und Gemüse in den Fokus rücken, können wir neue Klassiker kreieren und die pflanzliche Küche massentauglich machen“, mahnte die Expertin die Individualgastronomie, diese Entwicklung nicht zu verschlafen, „Da ist bereits viel Innovation im Gang. Es gilt: Weniger ist mehr, aber das richtig gut.“ Ein entscheidender Schritt sei es, die pflanzlich Küche in die Ausbildung zu integrieren. 

Hanni Rützler Food Trends

Die Sorge um das Klima, die Umwelt, den Verlust der Biodiversität und die eigene Gesundheit sowie die wachsende ethische Sensibilisierung gegenüber der üblichen Praxis in der Viehzucht manifestieren sich in diversen Food-Trends wie „Veganmania“ und „Flexitarier“. Sie generieren in Verbindung mit neuen Technologien einen weiteren Trend, der vor allem von innovativen Foodtech-Start-ups, der Lebensmittelindustrie und dem Handel vorangetrieben wird. Erfolgreiche Trends lösen aber auch Gegentrends aus, die andere Lösungsvorschläge für die allseits anerkannten Probleme offerieren.

Hanni Rützler betont, dass ein Food-Trend keine One-fits-all-Lösung sein kann: „Jeden Trend einfach mitzumachen, führt früher oder später ins Aus. Angesichts der Vielfalt und neuen Möglichkeiten geht es mehr denn je darum, herauszufinden, welcher Trend zu meinem Profil und meiner Zukunftsstrategie passt, um diese authentisch voranzubringen. Dabei ist ein klarer Fokus vonnöten.“ Wichtig sei ein engerer Austausch zwischen allen am Food-System Beteiligten, um den Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit zu beschleunigen: „Die Zeit läuft uns davon. Leider verharren die Menschen gerne im Bekannten, Sicheren. Deshalb müssen wir die Probleme gemeinsam angehen.“ 

Hanni Rützler Food Trends

Damit Deutschland das 30-Prozent-Ziel bis 2030 erreicht, müssten jedes Jahr 12 Prozent mehr Öko-Fläche dazu kommen. Zuletzt (2021–2022) betrug der Anstieg an Öko Fläche aber nur 3,7 Prozent.

Hanni Rützler Food Trends

Bio gerät unter Druck

Angesichts der Nachhaltigkeitsdebatte geht Rützler im Food Report 2024 außerdem der Frage nach der Zukunft der Bio-Landwirtschaft nach. „Dem Boom während Corona folgte ein deutlicher Absturz zu Beginn des Kriegs in der Ukraine und der Inflation“, berichtet die Forscherin und gibt zu bedenken: „Es gibt Kriterien, die heute vielen noch wichtiger erscheinen als die biologische Erzeugung. Sie lauten: natürlich, vegan oder vegetarisch, regional, nachhaltig.“ Zudem erwachse in Form der Regenerativen Landwirtschaft Konkurrenz im eigenen Hause. „Auf die Branche warten Herausforderungen an mindestens sieben Fronten“, so Rützler. Zumal die ohnehin geringeren Erträge auch durch den Klimawandel in Zukunft geringer ausfallen könnten. „Deshalb wird es entscheidend sein, ob sich die Bio-Branche modernen Technologien wie Grüner Gentechnik öffnet und traditionelle Anbaumethoden mit innovativen Möglichkeiten in Einklang bringt.“ Dann könne Bio angesichts des Klimawandels und mit Blick auf die globale Ernährungssicherheit nicht die, aber ein wichtiger Teil der Lösung sein.

„Resilienz zu entwickeln wird uns nur gelingen, wenn wir auch die technologischen und mikrobiologischen Innovationen nutzen, die von der Wissenschaft und von kreativen Start-ups auf der ganzen Welt vorangetrieben werden.“

Hanni Rützler

Trend-Forscherin, futurefoodstudio

Das kleine und das große Bild

„Wenn man einen konsistenten Ausblick wagt, in welche Richtung sich die Food-Welt entwickeln könnte oder sollte, überlagern sich zwei Wahrnehmungen“, kommentiert Hanni Rützler ihre Ergebnisse: „das kleine Bild, der volatile Bio-Umsatz in Deutschland, und das große Bild, die Nahrungsmittelknappheit im globalen Süden. Resilienz lautet das wichtigste Stichwort dazu. Gemeint ist die Abkehr von einer Agrar- und Lebensmittelwirtschaft, in der Effizienz den Takt vorgibt, und zugleich das Hin zu einer Transformation unseres Ernährungssystems, bei der die Anpassungsfähigkeit im Mittelpunkt steht. Es handelt sich dabei um eine Transformation, die sich in zahlreichen Food-Trends schon seit Längerem ankündigt, aber noch viel zu wenig in Gang gekommen ist. Nach unserer Definition zeigen sich in diesen Trends immer auch Lösungen für aktuelle oder sich abzeichnende Probleme in unserer Esskultur und im Ernährungssystem.“

Hanni Rützler Food Report

Der Food Report 2024 beleuchtet die Esskultur von morgen aus verschiedenen Perspektiven und stellt Lösungsansätze für die Herausforderungen der Food- & Beverage-Branche in den Fokus. Food-Trend-Forscherin Hanni Rützler gibt mit ihren Ausblicken Orientierung für all jene Player, deren Business davon abhängt, was und wie Menschen essen, um neue Ernährungskonzepte, Essbedürfnisse und Produktionsstrategien sowie ihre Auswirkungen auf die Zukunft zu verstehen. Food Report 2024 | Hanni Rützler, Wolfgang Reiter | Juni 2023 | 156 Seiten | ISBN 978-3-9825375-0-4 | 175,00 € inkl. USt. (7%) zzgl Versand. 

Erhältlich im Shop des Zukunftsinstituts: https://shop.zukunftsinstitut.de/Food-Report-2024-p561191688