Foto: Futurefoodstudio/Julietta Kunkel
„Die Zukunft ist nichts, das einfach so auf uns zukommt. Wir gestalten sie!“ Mit diesen Worten appellierte Hanni Rützler, Food-Trendforscherin vom Futurefoodstudio aus Wien, kürzlich beim 2. Online Exchange des Leaders Clubs an die mehr als 130 Zuhörer, in der Krise nicht in Schockstarre zu verfallen. „Viele Gastronomen sind so getrieben von ihrem täglichen Business, dass sie vergessen, ihre Situation einmal aus einer distanzierten, übergeordneten Perspektive zu sehen. Aber Zukunft ist immer auch eine Vorstellung, von einer Welt, die noch nicht existiert. Deshalb sollte man nicht immer nur überlegen: Was brauchen meine Gäste? Sondern auch mitzudenken: Was will ich? Beide Welten gilt es, zusammenzubringen.“
Kein Zurück zu „Vor-Corona“
Die Corona-Krise biete einen Anlass, sich auch die Gastronomie neu vorzustellen, erklärte die Expertin. „Dabei empfiehlt es sich, auch einmal zu fragen, was die Pandemie für unsere Gäste bedeutet. Wir sind im Grunde eine gekränkte Gesellschaft, die sich darüber empört, dass dieses Virus es wagt, uns anzugreifen.“ Eine verständliche Haltung – „aber sie darf uns nicht davon abhalten, unsere Zukunft in die Hand zu nehmen.“ Corona verschiebe nicht nur Werte, sondern nachhaltig und disruptiv auch die Mechanismen der Wertschöpfung, so Rützler. „Es gibt kein Zurück zur Vor-Corona-Situation.“
Food-Trends als Ausdruck eines Wandels der Esskultur können der Forscherin zufolge dabei helfen, die Zukunft im eigenen Sinne positiv zu gestalten. „Sie bieten Anworten auf aktuelle Probleme, Wünsche und Herausforderungen, sind ganz nah an den Bedürfnissen der Kunden. Sie haben Tiefe und Größe, spiegeln verschiedene Ebenen des Wandels wie die alternde Gesellschaft, neue Arbeitswelten, die Klimaveränderungen und auch die Verschiebungen beim Verhältnis der Geschlechter zueinander. Als soziokulturelle Trends fangen Food-Trends nicht nur den Zeitgeist ein, sondern führen uns auch weit in die Zukunft.“
Nachhaltigkeit beherrscht alles
Es sei deshalb aus gastronomischer Sicht ein Fehler, aktuelle Trends und Phänomene unhinterfragt zu übernehmen. „Viel wichtiger ist die Frage: Passt das zu mir? Will ich das überhaupt?“ Wer jeden Trend mitmache, werde schnell austauschbar, warnte die Expertin. Neben der Gesundheit – von Corona noch einmal verstärkt – wertet sie das Thema Nachhaltigkeit als den alles beherrschenden Trend dieser Tage. „Da muss heute jeder Position beziehen, auch wenn die darunter subsumierten Kategorien noch sehr kleinteilig sind.“ Eine davon ist der „Glokal“-Trend – das Spannungsfeld von lokaler und globaler Denkweise. Die Ansprüche der Gäste steigen immer weiter, wenn sie wissen wollen, woher das Gemüse auf ihrem Teller stammt und ob es das nicht auch nachhaltiger gibt. Und auch auf die Frage „Wie hältst du es mit dem Fleisch?“ gibt die Zukunft neue Antworten, sei es mit In-Vitro-Fleisch oder pflanzlichen Alternativen.
„Wer jeden Trend mitmacht, wird schnell austauschbar.“
Essen habe in der Corona-Zeit wieder einmal sein innovatives Gesicht gezeigt, lobte Rützler. „Es hat geholfen, Strukturen aufrecht zu erhalten und in unberechenbaren Zeiten Menschen mit Genuss Halt zu geben. Essen ist ein Anker geworden. Die Deutschen haben das Kochen wieder für sich entdeckt!“ Allerdings, erläuterte Rützler, bestehe nun wieder ein großer Hunger nach Gastronomie und kulinarischem Support. Der müsse nicht immer im Restaurant stattfinden: „Kochenlernen macht Spaß, das erkennen immer mehr Menschen. Die Wertschätzung für die Ausgangsprodukte wächst und die Leute sind neugierig, einen Blick in andere Küchen zu werfen.“
Haltung, Know-how und Vernetzung
Die Konsumenten sind dank Corona vielfach bereit, mehr Geld für Qualität auszugeben, fordern aber gleichzeitig Transparenz und Nachhaltigkeit ein. Wer seinen Angebotsschwerpunkt darauf ausrichte, müsse aber unbedingt konsequent und glaubwürdig agieren, mit Haltung, Know-how und Vernetzung. „Machen Sie nicht alles auf einmal“, riet die Trend-Forscherin: „Starten Sie mit einer Kern-Kompetenz und entwickeln Sie sich dann weiter.“
Für die Gastronomie eröffnen sich mit dem Wandel im Verbraucherverhalten neue Vertriebskanäle, führte Rützler aus. „Take-away und Meal Kits erlauben Restaurants zu zeigen, was sie können – auch außerhalb der eigenen vier Wände. Dabei wächst vor allem in den Städten die Sehnsucht nach regionalen Lösungen – warum also nicht einmal mit lokalen Produzenten zusammenarbeiten und das entsprechend vermarkten? Die Menschen suchen Produkte, die ihre eigenen Werte unterstützen – diese kann die Gastronomie viel individueller anbieten als der Lebensmittelhandel.“
Regionale Lösungen und Netzwerke
Eine wesentliche Rolle werden in Zukunft Rützler zufolge auch die Lieferplattformen und ihre Ghost Kitchens spielen. „Sie sammeln die Daten der Kunden und setzen sie immer professioneller ein. Für Gastronomen stellt sich die Frage, mit wem sie kooperieren und welches Potenzial sie nutzen wollen.“ Stoßen Gastronomen beispielsweise mit ihren Kapazitäten an Grenzen und können deshalb ihren Lieferdienst nicht voll ausfahren, ergebe es durchaus Sinn, sich von externen Dienstleistern bei der Abwicklung des Angebots unterstützen zu lassen.
Der Markt werde emotionaler und moralischer. „Gut und Böse werden neu definiert. Ein gutes Beispiel ist das Fleisch – billig wird immer häufiger kritisch gesehen. Die neuen Werte der Konsumenten haben große disruptive Kräfte.“ Gastronomie als mächtiger Player in der Food-Branche dürfe sich nicht zurücklehnen, wenn die Potenziale neu verhandelt werden. Rützlers Rat: „Setzen Sie Ihre Stärken klug und bewusst ein, überlegen Sie, welche Trends Sie bedienen wollen und gestalten Sie bewusst!“
Hanni Rützlers Food Report 2021 ist der Food Report im Zeichen der Krise. Die Food&Beverage-Branche, insbesondere die Gastronomie, ist eine der von der Corona-Pandemie am heftigsten betroffenen Branchen. Zugleich zeigt sich die Krise auch als Beschleuniger von Entwicklungen. Der Lockdown bringt viele Akteure dazu, ihre Kreativität zu mobilisieren, Dinge einfach anzugehen, zu improvisieren, zu experimentieren. Die Krise macht zwangsläufig erfinderisch und setzt neue Kräfte frei, zukunftstaugliche Konzepte zu entwickeln, die sich auch nach der Krise bewähren werden. Sie lässt uns darüber nachdenken, was wir ändern wollen, um unser Ernährungssystem resilienter und unsere Esskultur nachhaltiger und genussvoller zu gestalten.
Autoren: Hanni Rützler, Wolfgang Reiter
ISBN 978-3-945647-70-7
Preis: 150,00 € inkl. USt. Online bestellen
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.