Fünf Jahre naïv – wie fühlt sich das an?
SE: Gut! Weil wir ja wirklich einiges erreicht und erlebt haben in den vergangenen fünf Jahren. Nach der Restaurant kam irgendwann der Craft-Bier-Shop hinzu, in dem wir auch Tastings durchführen, und die Craft-Messe, die inzwischen jeweils einmal jährlich in Frankfurt und in Essen stattfindet. Das sind alles große ‚Kinder‘, die wir haben wachsen sehen. Das ist schon cool!
Inklusive der Bar hat das Restaurant 97 Plätze. Im Schnitt kommen täglich rund 150 Gäste, am Wochenende können es deutlich mehr sein. Demnächst vergrößert sich die naïv-Welt zwischen Konstablerwache und Main: In benachbarten Räumen entsteht in einer ehemaligen Galerie mehr Platz für Shop, Tastings und Events. Hier wird auch Wein ein Thema sein. Der ehemalige Shop/Tasting Room soll zu einer Pizzeria werden. Außerdem ist ein Event Space, das naiv Loft auf der Hanauer Landstraße geplant.
Was macht das naïv so besonders?
SE: Siebzehn Biere im Angebot – das war damals und ist auch heute noch außergewöhnlich in Frankfurt. Inzwischen haben wir inklusive der Flaschenbiere mehr als 150 Sorten im Restaurant und fast 200 im Shop. Da ist ständig Bewegung drin.
Wie sieht es denn mit eigenem Bier oder einer eigenen Brauerei aus?
SE: Anfangs wollten wir das natürlich unbedingt. Eine eigene Brauerei rechnet sich für uns aber nicht. Wir haben also einen Brauer gesucht, der für uns produziert. Leider waren wir irgendwann mit der Qualität nicht mehr zufrieden. Das passte dann leider nicht mehr zu der Bier-Kompetenz, die wir ausstrahlen wollen.
Wir haben dann die Zusammenarbeit beendet und in aller Ruhe nach einem Partner gesucht, bei dem alles passt. Irgendwann trafen wir Julian Menner von Glaabsbräu – für mich einer der fünf besten Brauer in Deutschland.
… er war der Richtige?
SE: Wir konnten ihn für unsere Braukurse gewinnen und irgendwann kam das Thema eigenes Bier wieder auf den Tisch. Wir wollten eines mit wenig „Trinkwiderstand“, das trotzdem als Craft-Bier erkennbar ist. So kamen wir auf das Lager und schenken seit gut einem Jahr mit ‚ï love lager‘ wieder naïv-Bier aus: schlank wie ein Pils und gleichzeitig fruchtig. Bisher nur vom Fass und anlässlich unserer Geburtstagsparty nun auch aus der Flasche. Die Nachfrage war sehr groß, auch von anderen Gastronomen, die es ausschenken möchten.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass Craft-Bier in Frankfurt – zumindest Gastronomisch – immer noch eine recht kleine Rolle Spielt, verglichen mit Hamburg und Berlin?
Sehen Sie, dass sich die Szene verändert hat in den vergangenen fünf Jahren?
SE: Ja, natürlich. Inzwischen sind wirkliche Kenner unterwegs. Wir arbeiten beispielsweise mit der App ‚Untappd‘, dort gibt es eine riesige Community rund um das Thema Craft-Bier. Der können wir in Echtzeit kommunizieren, wenn wir einen Hahn wechseln und merken das direkt an der Frequenz derer, die vorbei kommen, um das neue Bier zu probieren.
Wie viele Gäste nutzen die App?
SE: Wirklich erstaunlich viele. Wir wurden sogar angeschrieben von Untappd, dass wir in Deutschland zu den Top-3-Betrieben mit den meisten aktiven Nutzern gehören. Das hat uns sehr überrascht! Wir hatten das gar nicht so auf dem Schirm. Aber vor allem viele internationale Gäste sind damit vertraut.
Wie wichtig ist die Abwechslung am Hahn?
SE: Sehr wichtig. Außer unserem eigenen Lager gibt es keine Konstante. Wir kaufen immer sechs Fässer einer Sorte, sobald die durch sind, kommt ein neues Bier dran. Natürlich braucht es auch eine Vielfalt der Bierstile. Wir würden nicht sieben verschiedene Stouts an den Hahn nehmen. Die Leute kommen gezielt, um neue Biere auszuprobieren.
Hat sich die Brauerszene selbst auch verändert?
SE: Früher waren alle Freunde und Zusammenarbeit wurde sehr groß geschrieben. Inzwischen hat sich aber doch ein gewisses Konkurrenzdenken eingeschlichen. Gerade diejenigen, die den Schritt zur eigenen Brauerei gewagt haben, stehen teilweise ordentlich unter Druck. Als Restaurant ohne eigene Brauerei sind wir zum Glück komplett unabhängig. Wenn uns ein Brauer etwas diktieren will, gibt es immer jede Menge andere, die auch gutes Bier haben, auf die wir ausweichen können.
Also gibt es Craft-Biere für den Handel und andere für die Gastronomie?
SE: Es ist sicher verlockend für Brauer, wenn sie ein gutes Angebot von den großen Supermarktketten bekommen, die ihre Biere deutschlandweit anbieten wollen. Aber wir können sie dann mit unserer gastronomischen Kalkulation nicht mehr auf die Karte setzen. Unsere Gäste wollen auch nicht das, was sie überall bekommen. Von einigen Brauern, die im Handel gelistet sind, nehmen wir aber gerne noch Probesude.
Gibt es aktuell Trend-Biere, die besonders gefragt sind?
SE: Ja, die gibt es immer mal wieder. Im letzten Jahren waren das Sauerbiere, jetzt im Winter laufen fassgelagerte, schwerere Biere wie Stouts oder Barley Wines sehr gut. Einen kurzen Hype gab es auch um Biere mit zugesetzter Champagnerhefe.
Kann man als Gastronom Einfluss nehmen auf Trends, indem man bestimmte Biere in den Vordergrund stellt? Oder folgt man eher der Nachfrage der Gäste?
SE: Das kann man sicherlich, aber wir versuchen in erster Linie, den Wünschen unserer Gäste gerecht zu werden. Meistens deckt sich das mit dem, was wir auch gerade gut finden. Wir gehen auch verrücktere Trends mit – wenn nicht im Lokal, dann wenigstens im Shop. Seit Kurzem haben wir einen neunten Hahn, von dem wir Nitro-Biere ausschenken. Die kosten bis zu 7,90 Euro das Glas! Aber es ist uns gelungen, bei unseren Gästen ein Preisbewusstsein zu geschaffen. Sie wissen, diese Biere kosten im Einkauf mehr und müssen deshalb auch teurer angeboten werden. Die Frankfurter sind zum Glück bereit, da mitzugehen.
Unterscheiden sich die Frankfurter darin von anderen?
SE: Durchaus. Wir müssen unseren Ableger in Mainz zum 1. Januar leider wieder abgeben, unter anderem, weil die Preise für unsere Biere vom dortigen Publikum nicht angenommen wurden. Klar gibt es auch noch andere Gründe, die gesamte Idee wurde nicht so gut verstanden. Aber wir haben dort deutlich häufiger als in Frankfurt gehört, dass es den Gästen zu teuer ist.
Also ist Craft-Bier nach wie vor ein Thema für die Metropolen?
SE: Ja, auf jeden Fall. Wir waren neulich in einem Dorfgasthof. Dort gab es eine riesige Weinkarte. Aber ansonsten nur Industrie-Bier. Ich meine das gar nicht negativ. Auch in Frankfurt interessiert sich ja nur ein Bruchteil der Bevölkerung für das Thema. Aber es reicht, dass unser Restaurant jeden Abend voll ist. Außerdem haben wir rund 50 Prozent internationale Gäste. Und auch in einer Großstadt muss man die Qualität hoch halten und darf nicht still stehen.
Worauf kommt es beim Essen in Craft-Bier-Konzepten an?
SE: Wir wollten von Anfang an über das Thema Getränke polarisieren. Und überzeugen.
Welche Art Gast kommt ins naïv?
SE: Eigentlich alle Altersgruppen. Jeder, der Bier mag. Das war auch immer so gewollt. Wir wollten keine elitäre Community oder Szene aufbauen. Wenn ich Kritiken lese, dass wir ein Hipster-Laden sind, finde ich das total lächerlich. Waren die überhaupt hier? Wir sind ein Bier-Genuss-Ort, wo jeder willkommen ist. Wir haben auch viele Gäste aus der Generation 60+. In unseren Tastings sitzen junge neben älteren Menschen und – das ist das Tolle – alle verstehen sich! Das Thema Craft-Bier verbindet!
Wie kam es zur Gründung der Craft-Messe?
SE: Wir machen ja schon lange Events und wollten unsere Erfahrung darin auch mit dem Thema Craft ausprobieren. Das erste Jahr war ein kompletter Reinfall mit großem finanziellen Schaden: Die Location in der Jahrhunderthalle in Höchst war einfach zu weit draußen. Wir haben es nur wiederholt, weil wir für die erste Auflage so viele Gläser gekauft hatten. Im Casino der Uni hat es dann funktioniert! Unser Ziel ist es, auch für „Erwachsene“, also Leute, die sich zu alt für Clubs fühlen, einen unterhaltsamen Abend zu bieten. Wie viele Events gibt es denn für diese Zielgruppe noch? Die Stimmung ist immer toll, weil wir bewusste Genießer ansprechen. Die suchen auch nach ein paar Bier keinen Streit …. und eine Craft-Messe bringt uns mehr Umsatz im Restaurant und Laden, als wenn wir das ganze Jahr über Anzeigen schalten würden.
Wie könnte die Craft-Bier-Szene in Deutschland in fünf Jahren aussehen?
SE: Es wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Angesichts der Vielzahl der neuen Brauer werden nicht alle wirtschaftlich überleben können. Aber das Thema wird zunehmend in der Mitte der Gesellschaft ankommen, je mehr Restaurants ihren Gästen eine größere Bierauswahl anbieten. Und mehr und mehr Leute werden verstehen, dass diese Biere ihren Preis haben. Ähnlich wie beim Wein: den kauft man auch anlassgebunden und gibt zu besonderen Gelegenheiten mehr Geld aus.
Was würden Sie den Brauern raten, damit sie nicht zur Spreu gehören?
SE: Sie sollten sich nicht mit einem zu großen Sortiment zu verzetteln. Kein Gastronom möchte 16 Sorten von derselben Brauerei anbieten. Und: Geht auf die Messen! Nur dort kommt man mit den Konsumenten in Kontakt. Tap Takeovers bringen meiner Meinung nach nicht so viel, weil da der Fokus zu sehr auf einer einzigen Brauerei liegt. Das finden die Leute schnell langweilig.
Müsste die Industrie nicht auch umdenken?
SE: Sie denkt ja um, kauft kleine Brauereien auf oder kooperiert mit ihnen, um den Trend irgendwie mitzunehmen. Sie diktiert aber immer noch die Bedingungen, damit genug von ihrem eigenen Bier verkauft wird. Uns als brauereiunabhängigem Konzept kommt das im Grunde entgegen. Ein zweites naïv direkt gegenüber mit der gleichen Vielfalt würde uns nicht so gut tun.
Die großen internationalen Brauer wie Stone Brewing und Brew Dog haben ja angekündigt, dass sie in deutschen Großstädten expandieren wollen. Das wird die Konkurrenz sicher beleben. So lange es nicht in der direkten Nachbarschaft ist, freuen wir uns darüber.
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.
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