Sie haben getanzt, Tische gedeckt, Betten gemacht, grünes Licht angeschaltet und symbolisch den Löffel abgegeben. Vergeblich. Auch nach der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin ist die Hoffnung der Gastronomie auf eine Öffnungsperspektive wieder einmal geräuschlos verpufft. Denn das, was da gestern in Berlin bzw. an den Bildschirmen in Hannover, Kiel, Düsseldorf, München und Stuttgart beschlossen wurde, ist keine Perspektive für die Gastro, sondern eher eine Art Trugbild, ein Leckerli, mit dem die Branche hingehalten wird und das dann doch wieder in weite Ferne rückt: Öffnung der Gastronomie bei einer Inzidenz unter 50 – oder doch 100? – , aber nur draußen und nur, wenn der Wert zuvor 14 Tage lang unterschritten wurde, und sowieso frühestens vom 22. März an, möglicherweise aber nur für wenige Tage, bis die Inzidenz wieder steigt. Geht’s noch?
Wer sich so etwas ausdenkt und es dann auch noch beschließt, beweist damit nur, dass er oder sie auch nach einem Jahr nicht zugehört und nicht verstanden hat, wie die Gastronomie funktioniert, unter welchen Voraussetzungen dort Geld verdient wird und was sie an Sicherheit gewährleisten kann. Dabei bemühen sich Gastronomen und Hoteliers aller Couleur seit Monaten darum, den Berufspolitikern in den Land- und Bundestagen genau das erklären. Immer wieder traf man sich zu Gesprächen, zeigte – angeblich – Verständnis, bedauerte. Aber anscheinend ist die Botschaft immer noch nicht angekommen. Wie kann das sein?
Betriebe brauchen Vorlauf
Seit Beginn des Shutdowns weisen Branchenvertreter darauf hin, dass sie im Falle einer Öffnung mindestens zwei Wochen Vorlauf brauchen, um sich auf den Restart vorzubereiten: Waren müssen eingekauft, die Technik nach Monaten der Nichtbenutzung wieder in Gang gebracht und vor allem die vielerorts deutlich dezimierten Teams neu aufgebaut und geschult werden. Wann damit anfangen? Sofort – dort, wo die Inzidienz bereits unter 50 liegt? Aber ob das in zwei Wochen angesichts der sich schnell ausbreitenden Mutationen immer noch gilt? Keiner weiß es.
Die Beschlüsse der MPK vom 3. März. Vorbehaltlich der zu erwartenden individuellen Auslegungen der einzelnen Bundesländer. Wer es versteht, bitte die Hand heben!
Die Alternative lautet: abwarten, wie sich die Zahlen in der eigenen Umgebung entwickeln. Dann wird die Politik nach 14 Tagen unter dem Grenzwert von einem Tag auf den anderen die Öffnung erlauben, während die Kühlhäuser leer, die Service-Positionen unbesetzt sind und die Kaffeemaschine nach vier Monaten im Lockdown gerade streikt. Immer mit dem Risiko, dass nach drei Tagen mit höherer Inzidenz ganz schnell alles wieder dicht ist. Sowas nennt sich Perspektive? Wer soll unter diesen Umständen auch nur annähernd profitabel arbeiten?
Verwirrung bei den Gästen
Und die Gäste? Sie sollen bei einer Inzidenz zwischen 50 und 100 ihre Plätze in der Außengastronomie vorab buchen und einen tagesaktuellen Schnelltest mitbringen, sofern der Gastronom das nicht selbst organisiert und anbietet. Nicht sehr realistisch, gerade auch bei den unsicheren Wetterbedingungen im April. Zu erwarten ist eher, dass allgemeine Verwirrung herrschen wird, wo welcher Biergarten denn gerade geöffnet hat. Spontanes Einkehren – mit Abstand und AHA – bei Ausflügen im Freien? Nicht erlaubt.
Vergeblich getanzt, appelliert, gehofft: Weiterhin gibt es keine konkrete Perspektive für das Gastgewerbe, aus dem Lockdown herauszukommen. Foto: Leaders Club
Kaum Ansteckungen im Freien
Das Ganze ist umso absurder, da Forscher immer wieder betonen, dass im Freien so gut wie keine Übertragungen des Virus stattfinden. Warum also nicht wenigstens für die Außengastronomie mit Abstands- und Hygiene-Konzepten eine echte Perspektive – sprich: ein konkretes Datum und nachvollziehbare Auflagen – festschreiben? Aus dem guten Grund, dass die Ansteckungsgefahr dort aller Voraussicht nach deutlich geringer ist, als wenn man jetzt wieder mehr Treffen im privaten Rahmen zulässt – auch in Innenräumen, wo das Risiko nachweislich höher ist. A propos Innenräume: Auch die sind dank längst installierter, teurer Hygiene- und Luftfiltermaßnahmen in Restaurants deutlich sicherer als die heimischen vier Wände, wo demnächst wieder bis zu zehn Menschen nah beieinander sitzen dürfen, ohne dass jemand die Einhaltung der AHA+L-Regeln kontrolliert. Wer das nicht glaubt, kann ja ein verpflichtendes TÜV-Siegel, wie es bereits angeboten wird, zur Voraussetzung für eine Öffnung der gastronomischen Innenräume machen.
Die Esel der Nation
Seien wir realistisch: Alles spricht dafür, dass sich mit den Lockerungen in anderen Branchen und vor allem im privaten Bereich – wo Zweifel angebracht sind, ob die strengen Vorgaben der vergangenen Wochen und in Zukunft überhaupt eingehalten wurden bzw. werden – und angesichts der ansteckenderen Mutationen die Inzidenzwerte nur in wenigen Regionen unterhalb der 50 halten werden. Für die Gastro bedeutet das: Die in Aussicht gestellte Öffnung bleibt vermutlich weitestgehend eine unerreichbare Mohrrübe, die der Branche hingehalten und dann immer wieder weggezogen wird. Und die dort, wo man sie fressen darf, noch dazu eher bitter denn süß schmeckt. Kein Wunder also, dass sich viele Gastronomen wie die Esel der Nation fühlen!
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.