Egal, ob Aushilfen, Service- und Küchenmitarbeiter, Fach- oder Führungskräfte: Der Arbeitsmarkt für gastronomisches Personal scheint vielerorts leergefegt. Spätestens seit die Branche in der Corona-Pandemie als besonders krisenanfällig und unsicher für Arbeitskräfte wahrgenommen wurde, haben ihr viele Menschen beruflich den Rücken gekehrt. Demografischer Wandel, Hürden bei der Zuwanderung sowie die Erwartungen der Gen Z an eine ausgewogene Work-Life-Balance und Sinnhaftigkeit im Beruf tun ihr Übriges, um die Suche nach Personal für gastronomische Betriebe zu erschweren. Immer mehr greifen deshalb auf die Hilfe von Agenturen zurück, die Mitarbeiter auch aus dem weit entfernten Ausland vermitteln. Für die Fizzz haben wir uns bei Gastronomen zu ihren Erfahrungen mit den Dienstleistern umgehört und Vermittlungsprofis befragt, worauf es bei der Zusammenarbeit mit Agenturen ankommt.
Wer in einer großen deutschen Stadt in den vergangenen Monaten versucht hat, sonntags- oder auch montagsabends einen Tisch in einem angesagten Restaurant zu reservieren, hat es womöglich schon am eigenen Leibe gespürt: Viele Gastronomen können Schichten trotz zeit- und ressourcenintensiver Suche nach Personal nicht mehr besetzen und führen Ruhetage ein. Abhilfe verspricht eine offenbar wachsende Zahl an Agenturen, die gezielt Mitarbeiter – auch aus dem Ausland – vermitteln oder als Personalberater Führungskräfte und Unternehmen passgenau zusammenbringen.
Sieben Mitarbeiter aus der Mongolei
Seit August gehören zum insgesamt rund achtzigköpfigen Team der beiden Restaurants von Yvonne und Alexander Tschebull in Hamburg auch sieben Mitarbeiter aus der Mongolei. „Vermittelt wurden sie von einer Agentur mit Sitz in Deutschland, die von sich aus auf uns zugekommen ist”, erzählt Yvonne Tschebull.
„Wir haben das Angebot gründlich geprüft und uns dann entschlossen, es zu versuchen – zumal das Risiko gering war: Kosten für die Vermittlung entstanden uns nämlich keine.” Das war dem Gastronomen-Ehepaar auch deshalb wichtig, weil es keinesfalls unseriöse Schlepperbanden finanziell unterstützen will.
Nach einigen per Video-Call geführten Vorstellungsgesprächen mit potenziellen Kandidaten aus dem ostasiatischen Land organisierte die Agentur alle für die Einreise notwendigen Modalitäten wie Visa, Steuernummer oder die Vorbereitungen für die Aufnahme in die Krankenkasse. „Es war wie beim Online Speed Dating”, berichtet Yvonne Tschebull. „Die Bewerber hatten bereits Deutschkurse absolviert, sodass wir uns verständigen konnten.” Größte Herausforderung war die Suche nach einer Unterkunft auf Hamburgs engem Wohnungsmarkt. „Schließlich haben wir auf Firmenkosten eine WG-taugliche Wohnung angemietet, in der nun die sechs männlichen Mongolen zusammenleben, was auch den Kulturschock etwas abmildert. Ihre weibliche Kollegin haben wir in einer anderen WG untergebracht”, verrät Tschebull.
„Die Vorstellungsgespräche per Video Call in die Mongolei waren wie Online-Speed Dating“
Willensstärke statt Erfahrung
Einige Monate später ist die Unternehmerin mehr als glücklich mit ihren neuen Teammitgliedern – drei angehenden Restaurantfachleuten und vier Koch-Azubis: „Das war wirklich ein Volltreffer. Sie haben zwar keine Erfahrung in der Gastronomie, zeichnen sich aber durch Willensstärke, Energie und Durchhaltevermögen aus. Schließlich haben sie ihre Heimat für eine ungewisse Zukunft in einem fremden Land verlassen und für die Ausbildung bei uns schon viele Hürden genommen. Sie wollen das unbedingt und beschweren sich nie.” Disziplin und eine schnelle Auffassungsgabe sind weitere Eigenschaften, die die Chefin an den Neuzugängen schätzt. „Wenn man ihnen Dinge in Ruhe erklärt und klare Anweisungen gibt, sind sie zügig in der Lage, Aufgaben selbständig zu übernehmen und freuen sich riesig über Erfolgserlebnisse.” Das ohnehin multikulturell aufgestellte Team in den Restaurants Tschebull und Rive unterstützt in herausfordernden Situationen gerne. Schwierigkeiten in der Berufsschule durch mangelnde Sprachkenntnisse begegnet man mit einer Nachhilfelehrerin, die fachspezifischen Deutschunterricht erteilt.
Schon suchen die Tschebulls zusätzlichen Wohnraum für weitere Azubis aus Fernost: „Wir möchten die Zusammenarbeit mit der Agentur gerne fortsetzen. Die nächsten Bewerber stehen schon bereit. In Deutschland finden wir keine Mitarbeiter mehr.”
Yvonne Tschebull hofft, dass die Mongolen ihnen auch nach der Ausbildung treu bleiben: „Dadurch dass sie bei uns wohnen und arbeiten, entsteht eine ganz besondere Bindung und auch Dankbarkeit.”
„Deutsche“ Tugenden
Die Qualitäten seiner Mitarbeiter aus Asien weiß auch Michael Pankow, Betreiber der Ganymed Brasserie sowie dreier weiterer Konzepte in Berlin, zu schätzen. Er beschäftigt seit etwa fünf Jahren ein gutes Dutzend Menschen aus Vietnam, die ebenfalls über eine Agentur nach Deutschland gekommen sind. „Visa, Verträge und Sprachkurse wurden im Vorfeld organisiert”, erklärt Pankow, der froh ist über die Entlastung und die Zeitersparnis bei der Personalsuche. Wie beim direkten Rekrutieren auch, wünscht er sich von der Agentur motivierte Mitarbeiter, die aufgeschlossen dafür sind, Neues zu lernen. Diese erhalten in Pankows Betrieben eine fundierte Ausbildung: „Angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt steht die Ausbildung von Fachkräften ganz oben auf unserer Prioritätenliste.”
Die ersten ehemaligen Azubis aus Vietnam gehören bereits fest ins Team, andere wollten Erfahrungen in anderen Betrieben sammeln und sind weitergezogen. Unterm Strich ist Pankow zufrieden: „Vietnamesen bringen vieles mit, was wir als ‚deutsche Tugenden’ bezeichnen: Fleiß, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit. Schwarze Schafe sind selten”, so sein Fazit.
Ganz anders beurteilt er übrigens Personaldienstleister, die vor allem kurzfristig Mitarbeiter aus Deutschland vermitteln. „Dort ist es mittlerweile fast unmöglich, gute Leute zu Preisen zu bekommen, die wir im A-la-carte-Geschäft abbilden können. Das geht hoch bis 65 Euro pro Stunde – was nur Veranstalter mit sehr großen Budgets bezahlen, die dann die Fachkräfte ‚abschöpfen’.” Nachhaltiges Team Building und Management seiner vorhandenen Mitarbeiter sind für Pankow deshalb erfolgsentscheidend: „Das spricht sich schnell herum – wir haben während der Corona-Zeit sogar Personal hinzugewonnen!”
„Bei Personaldienstleistern ist es mittlerweile fast unmöglich, gute Leute zu Preisen zu bekommen, die wir im A-la-carte-Geschäft abbilden können.“
Integration geflüchteter Ukrainer
Wegen der volatilen Situation beinahe selbst zur „Agentur” geworden ist der Kölner Gastronom Till Riekenbrauk. Als Vorsitzender der Interessengemeinschaft (IG) Kölner Gastro haben er und seine Mitstreiter eine Job-Vermittlung gegründet, die vor dem Krieg aus der Ukraine geflüchtete Menschen mit Unternehmen aus der Branche zusammenbringt. „Das lief sehr erfolgreich. Wir haben mehr als 100 Anfragen von Ukrainern bekommen”, berichtet Riekenbrauk, der selbst drei neue Team-Mitglieder aus der Ukraine eingestellt hat. Worüber er gar nicht so gerne spricht: „Das ist für uns kein Thema fürs Eigenmarketing, schließlich profitieren wir ebenso wie die Geflüchteten davon.”
Foto: pexels/Gary Barnes
Um den enormen Personalbedarf im Restaurant Brauhaus Johann Schäfer, vor allem aber in den beiden im Sommer geöffneten Biergärten mit rund 750 Sitzplätzen schnell zu decken, hat Riekenbrauk in der Restart-Phase nach dem Lockdown einen Personaldienstleister in Anspruch genommen. „Dabei ging es aber überwiegend um ungelernte Kräfte, für die wir sogar unser klassisches Service-System auf die Arbeit mit Kellnern und Runnern umstellen mussten.”
Was müssen wir bieten?
Gleichzeitig hat er zusammen mit seinem Geschäftspartner Thomas Borninkhof die eigene Mitarbeitersuche in den vergangenen zwei Jahren intensiviert und professionalisiert: „Corona zwang uns zu einem Crash-Kurs in Sachen Headhunting. Die entscheidende Frage lautete: Was müssen wir bieten, damit die Leute sich für uns interessieren? Und wo schalten wir am effektivsten Anzeigen?”
Es bringt nichts, sich ausschließlich auf Social Media zu verlassen, so Riekenbrauks Erfahrung. „Und schon gar nicht, nur einen Kanal für alle Positionen zu nutzen!” Denn jede Zielgruppe tummelt sich auf anderen Plattformen, weiß der Gastronom. „Nur dort kann man sie erreichen.” Über das Portal join.com erzielt er inzwischen eine große Reichweite und bekommt viele Rückläufe. „In der Regel genügt es, wenn wir dort drei Anzeigen gleichzeitig schalten – das ist kostenlos.” Riekenbrauks Tipp bei der Personalsuche: „Man muss sorgfältig formulieren und sich von der Masse abheben. Führungskräfte erwarten detaillierte Angaben zur Position und zum Unternehmen. Auf dem Service-Level reicht es dagegen, relativ allgemeine Informationen zu kommunizieren.”
„Corona zwang uns zu einem Crash-Kurs in Sachen Headhunting.“
Viele Akteure strömen auf den Markt
Wenn also eine Personal-Agentur helfen soll – wie findet man die richtige? Laut Matthias Wirth sollten ein zuverlässiger persönlicher Kontakt, die umfassende Kenntnis der Branche, vorbildlicher Datenschutz und transparente Verträge maßgeblich für die Entscheidung sein: „Aktuell strömen sehr viele Akteure auf den Markt, die zum Teil darauf aus sind, die Not der Gastronomen auszunutzen. Viele kennen die Branche und ihre vielfältigen Anforderungen an die Mitarbeiter aber gar nicht. Man muss die richtigen Fragen stellen, um die seriösen Agenturen zu finden”, empfiehlt der Geschäftsführende Gesellschafter der Personalberatung Konen & Lorenzen Recruitment Consultants aus Düsseldorf.
Spezialisiert auf die Vermittlung von Führungskräften in der Hospitality-Branche, verfügt die Agentur mit weltweit fünf Büros über eine sorgfältig gepflegte Datenbank mit mehr als 130.000 Bewerbern von potenziellen Kandidaten für alle Positionen in Hotellerie und (System-)Gastronomie vom Abteilungsleiter aufwärts. „Aber selbst das reicht mitunter nicht mehr aus, um die passenden Leute zu finden. Der Aufwand, den wir betreiben – und den wir den Kunden abnehmen –, um eine Stelle zu besetzen, wird immer größer”, beschreibt Wirth die dramatische Lage.
Seriöse Agenturen bauen Vertrauen auf
Zum wichtigsten Kanal für die Rekrutierung von Bewerbern haben sich Social Media-Plattformen entwickelt – „aber die zielgruppengerechte Präsenz und das Netzwerken mit den Bewerbern dort ist ein extremer Zeitfresser”, kommentiert Wirth. Zudem halten seiner Erfahrung nach Misstrauen und Unverbindlichkeit potenzielle Kandidaten davon ab, auf direkte Ansprache dort überhaupt zu reagieren. Deshalb sei es für eine seriöse Agentur wichtig, sich einen Namen zu machen und Vertrauen aufzubauen – bei Bewerbern ebenso wie bei den Auftraggebern aus der Branche.
„Mit der schwierigen Situation auf dem Arbeitsmarkt sinken die Vorbehalte gegenüber Agenturen. Mehr und mehr Gastronomen sind am Ende mit ihrem Latein und daher bereit, Geld in die Hand zu nehmen, um sich von der Last der Suche zu befreien.” Schließlich seien Spezialisten in ihrem Fach nunmal oft erfolgreicher: „Dank unseres großen Netzwerks, fundierter Marktkenntnis und relevantem Hintergrundwissen finden wir eher die passende Person für eine Position. „Wichtig dabei ist aber vor allem der offene sowie konstruktive Austausch mit den Unternehmen bei der Besprechung von Suchaufträgen und dass sich die Unternehmen auf die veränderten Gegebenheiten des Arbeitsmarkts einstellen”, betont Wirth. „Die Unternehmen sind gut beraten, die spezifischen Marktkenntnisse von Experten zu nutzen, die richtigen Kandidaten zu finden.“
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.