Herbst 2020, die deutsche Gastronomie ist aus Gründen des Infektionsschutzes geschlossen, kein Gast kommt mehr durch die Tür. Wie können Gastronomen trotzdem mit ihrer Zielgruppe in Kontakt bleiben, auf sich aufmerksam machen und in Erinnerung rufen, wenn es denn hoffentlich bald wieder los geht mit dem Vor-Ort-Verzehr? Am besten eignen sich dazu die sozialen Medien, davon ist die die ehemalige Gastronomin und Social Media-Expertin Sonja Theile-Ochel überzeugt. Wir haben sie gefragt, warum sich viele Restaurantbetreiber immer noch so schwer tun, ihre Gäste nicht nur mit Speisen und Getränken, sondern auch mit ihrem Online-Auftritt zu begeistern.
Frau Theile-Ochel, wie steht es um das Social-Media-Wissen in der deutschen Gastronomie?
Sonja Theile-Ochel: Das ist tatsächlich sehr unterschiedlich. In der breiten Masse ist das Thema immer noch ein vernachlässigtes. Leider nutzen nach wie vor zu wenige Gastronomen die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke, um Kontakt zu potenziellen Zielgruppen aufzubauen, Stammgäste zu gewinnen und die Kommunikation mit ihnen aufrecht zu erhalten.
Woran liegt das? Soziale Netzwerke sind ja längst nichts Neues mehr …
Sonja Theile-Ochel: Ein Gastronom ist in den meisten Fällen eben Gastgeber und kein Social-Media-Manager. Viele sind mit ihren Restaurants vollkommen ausgelastet. Für Marketing bleibt da wenig Zeit, es steht oft weit hinten auf der To-do-Liste,wird oft als lästig empfunden. Wenn das Restaurant voll ist, sehen viele auch die Notwendigkeit nicht. Erst, wenn es nicht mehr läuft, beschäftigen sie sich mit den Möglichkeiten, die soziale Netzwerke heute bieten. Meistens steckt bei diesen Unternehmen aber auch schon in der Website wenig Liebe. Vom Social Media-Auftritt gar nicht zu reden…
Wie sieht denn eine „liebevolle“ Social-Media-Präsenz für Gastronomen idealerweise aus?
Sonja Theile-Ochel: Wichtig ist, zu allererst die Kunden- bzw. Gästebrille aufzusetzen und sich zu fragen: Was erwartet meine Zielgruppe von mir auf diesen Plattformen? Was wollen die Gäste von mir wissen? Wie kann ich sie nicht nur im Restaurant, sondern auch online glücklich machen? Ein Weg ist, sie zum Träumen zu bringen, Sehnsüchte zu wecken und sie zu verführen, sich mit dem Restaurant auseinanderzusetzen.
Bevor sich Sonja Theile-Ochel als Social Media-Expertin für das Gastgewerbe selbständig machte, arbeitete sie unter anderem als Journalistin und lange Jahre für die RTL Pressestelle. In ihrem eigenen Restaurant Rhein + Wiese in Köln servierte die studierte Agrarwissenschaftlerin Südtiroler Küche. Mit ihrer Agentur Rheinda berät sie Gastronomen auf ihrem Weg in die sozialen Medien. Foto: Carolin Schüten.
Wie stelle ich das als Gastronom an?
Sonja Theile-Ochel: Indem ich meinen USP erzähle: Warum kommen Gäste in mein Restaurant? Für welche Werte stehe ich als Gast- und auch als Arbeitgeber? Das verpacke ich in kleine Texte, Bilder und Geschichten. Für Gastronomen ist vor allem eine Präsenz bei Google MyBusiness, Facebook und Instagram wichtig.
Auch in Videos?
Sonja Theile-Ochel: Auf jeden Fall! Bewegtbilder sind in den Sozialen Netzwerken gefragter denn je! Aber es muss gar nicht immer Video sein. Die verschiedenen Plattformen setzen diesbezüglich unterschiedliche Schwerpunkte.
Ich empfehle meinen Kunden aus der Gastronomie, sich zu überlegen, wie sie die Produktion von Inhalten für Social Media in ihren Tagesablauf integrieren können.
Dabei muss die Qualität gar nicht immer Hochglanz-Niveau haben. Bloß nicht die Hürde zu hoch legen! Wer mit offenen Augen durch den eigenen Betrieb geht, findet immer etwas, das sich zu erzählen lohnt. Es muss nicht jeden Tag ein neuer Post sein.
Dennoch lohnt es sich, für jeden Monat oder jedes Quartal einen Themenplan zu entwerfen – inspiriert von meinem kulinarisches Programm, das ich als Gastronom ja ohnehin plane. Wenn ich für die saisonale Speisekarte Teller vorkoche, kann ich sie gleich fotografieren und später posten und ein bisschen drumherum erzählen. Oder ich stelle meine Produzenten und Lieferanten vor. Menschen und Food-Fotos funktionieren eigentlich immer gut.
Brauche ich eine Profiausrüstung? Oder reicht ein Handy?
Sonja Theile-Ochel: Es sollte kein Uralt-Modell sein, aber auch mit älteren iPhones kann man schon gute Ergebnisse erzielen.
Sollte ich zunächst mit einfachen Posts anfangen? Oder gleich die sogenannten „Storys“ bauen, die nach wenigen Stunden wieder verschwinden?
Sonja Theile-Ochel: Beides! Auf Instagram gibt es inzwischen sogar drei Formate: den Feed, Storys und Reels, kurze Videosequenzen, die man aber mit den Videos bestücken kann, die man ohnehin für die Storys aufnimmt. Vieles kann man gleichzeitig erledigen, indem man beispielsweise die Inhalte für Instagram auch gleich auf Facebook teilt.
Der Feed ist das Schaufenster einer Instagram-Präsenz, die Posts dort bleiben – wenn man sie nicht löscht – unbegrenzt online. Sie sind das erste, was Besucher des Profils sehen und sollten möglichst attraktiv, sprich: gut fotografiert sein, damit die User auf den „Folgen“-Button klicken, der dafür sorgt, dass sie meine Inhalte in Zukunft automatisch sehen. Die Storys sind der ungeschminkte Blick hinter die Kulissen, können auch mal improvisiert und wackelig sein. Über die Funktion „Story Highlights“ kann man übrigens dafür sorgen, dass die Storys nicht gelöscht werden, sondern thematisch sortiert sichtbar bleiben. Hier kann man sein beispielsweise Team präsentieren.
50 Prozent der Nutzer schauen sich aktuell übrigens den Feed an, 50 Prozent nur noch die Storys. Um möglichst viele zu erreichen, muss man also beides bespielen.
Um bekannt zu machen, dass man einen Lieferservice anbietet, eignen sich die Sozialen Netzwerke hervorragend.
Muss ich mein Restaurant nun daraufhin (um-)bauen, damit es möglichst Instagram-tauglich wird?
Sonja Theile-Ochel: Beim Design neuer Läden würde ich tatsächlich darauf achten, dass es dort mindestens ein Teil gibt, das besonders aufmerksamkeitsstark und ausgefallen ist – ein tolles Gemälde, ein Schriftzug oder Leuchtelemente. Man sollte auch darauf achten, dass die Gäste einigermaßen gutes Licht haben, um Fotos davor zu machen.
Praktisch sind vor allem Influencer mit vielen Fans, die mein Restaurant loben … wie begeistere ich sie, ohne ihnen viel Geld zu bezahlen?
Sonja Theile-Ochel: Mit einem guten Angebot, das aus der Masse herausragt. Es reicht nicht, von einem Influencer in den höchsten Tönen gelobt zu werden, wenn man das abgegebene Versprechen nicht halten kann. In Köln gibt es beispielsweise ein Café, das zur Eröffnung eine gute Influencer-Kampagne organisiert hat. Dort stehen die Leute Schlange – einerseits, weil sie hoffen, dort eines ihrer Idole zu treffen, aber vor allem, weil dort richtig üppige, toll angerichtete Gerichte serviert werden. Und ich kenne einen anderen Fall, bei dem vor dem Start eines Konzepts Riesen-Wirbel auf allen Kanälen gemacht wurde, sodass man kaum anders konnte, als hinzugehen. Aber das Erlebnis war eine Vollkatastrophe. Man sollte sehr vorsichtig sein, einen neuen Laden intensiv zu bewerben, wenn das Team noch nicht eingespielt ist. Oft ist es besser, einen Monat zu warten, bis die Leistung stimmt.
Generell sollte man sich gut überlegen, ob und mit welchem Influencer man zusammenarbeitet. Es ist nicht notwendig, jedem, der 3.000 Follower hat, ein dreigängiges Abendessen zu schenken.
Wie kann ich entscheiden, welcher Influencer mir Mehrwert bringt?
Sonja Theile-Ochel: Das ist abhängig davon, was ich erreichen will. Wenn ich gerade erst eröffnet habe und die Bekanntheit steigern möchte, kann es beispielsweise sinnvoll sein, die fünf wichtigsten Influencer aus meiner Stadt einzuladen und eine persönliche Bindung zu ihnen aufzubauen. So kann ich das Bild kontrollieren, das sie von mir haben.
Nicht zu unterschätzen ist auch der Einfluss von ganz normalen Gästen, die gut vernetzt sind und regelmäßig posten, dass sie in meinem Restaurant essen. Sie sind oft viel authentischer. leidenschaftlicher und deshalb glaubwürdiger als die Profi-Influencer, die nur Geld verdienen wollen. Auch mit ihnen kann man Kontakt aufnehmen und ihre Reichweite nutzen.
Wie ermutige ich meine Gäste dazu, ihren Freunden und Follower mitzuteilen, dass sie bei mir im Restaurant sind?
Sonja Theile-Ochel: Ich muss sie darauf aufmerksam machen, auf welchen sozialen Netzwerken das Restaurant präsent ist: Über die Website, aber gerne auch über QR-Codes auf den Tischen. Noch besser ist, sie zu animieren, meiner Präsenz zu folgen und sie zu erwähnen. Das funktioniert am besten, wenn man ihnen einen Mehrwert verspricht. Und im Gegenzug erwähne ich dann wieder den Gast in meiner Story … und wertschätze damit seinen Post über mich.
Auf Facebook gibt es übrigens eine Check-in-Funktion, mit der ich meinen Freunden zeigen kann, wo beziehungsweise in welchem Restaurant ich gerade bin. Am nächsten Tag bekomme ich automatisch eine Anfrage, ob ich diesen Ort bewerten möchte. Bewertungen sind das A und O.
Was tue ich, wenn ich eine schlechte Bewertung bekomme?
Sonja Theile-Ochel: Auf jeden Fall erst einmal tief durchatmen, auch wenn die Kritik wehtut. Dann überlegen, ob sie gerechtfertigt ist. Wenn sich jemand die Mühe macht, mich mit einer ausführlichen Bewertung auf Dinge hinzuweisen, die nicht gut gelaufen sind, sollte ich das wertschätzen. Denn es gibt mir die Möglichkeit, meine eigenen Prozesse zu überdenken. Die Reaktion sollte dann selbstbewusst sein: Es ist wichtig, die Kommunikation aufzunehmen, aber sachlich und entgegenkommend. Denn eine schlechte Bewertung und ein ungeschickter Umgang damit können noch monatelang das Gesamt-Rating bei Google beeinflussen. Das sollte übrigens wenn möglich bei einem Schnitt von mindestens 4,5 von 5 Sternen liegen.
Viele ältere Menschen finden keinen richtigen Zugang zu dem Thema Social Media – ist es sinnvoll, jungen Mitarbeitern – den Digital Natives – die Verantwortung für den Auftritt dort zu übertragen?
Sonja Theile-Ochel: Die Verantwortung komplett abzugeben, halte ich für einen Fehler. Man weiß nie, was dieser Mitarbeiter mit dem Account anstellt. Ein Unternehmer sollte seine Social Media-Accounts genauso im Griff haben wie seine Buchhaltung. Nur weil jemand jung ist, heißt es noch lange nicht, dass er sich mit Marketing auskennt.
Sollten Gastronomen auch WhatsApp oder TikTok nutzen, um mit ihren Gästen zu kommunizieren?
Sonja Theile-Ochel: Bei WhatsApp sehe ich derzeit leider keine datenschutzkonforme Möglichkeit, mit Gästen direkt in Kontakt zu treten. Außerdem braucht man dazu eine Handynummer, was auf viele Gäste wenig seriös wirkt. Man erwartet bei einem Restaurant natürlich einen Festnetzanschluss. TikTok kann sinnvoll sein, wenn die Zielgruppe sehr jung ist. Dabei kommt es auch auf den Standort an: In der Großstadt hat man damit sicher eher Erfolg als auf dem Dorf.
Hat sich der Stellenwert von Social Media in der Corona-Krise noch einmal erhöht?
Sonja Theile-Ochel: Der Lockdown hat viele Gastronomen von der direkten Kommunikation mit ihren Gästen abgeschnitten. Um bekannt zu machen, dass man einen Lieferservice anbietet, eignen sich die Sozialen Netzwerke hervorragend.
Man kann wirklich beobachten, dass diejenigen, die vor Corona schon einen starken Auftritt auf Social Media hatten, besser durch die Krise kommen, weil sie präsenter bei ihren Gästen sind.
Welche Inhalte sollte man gerade jetzt posten?
Sonja Theile-Ochel: Es geht darum, die eigene Community zu aktivieren und einzubinden, beispielsweise bei der Neugestaltung der Speisekarte. Der Lockdown ermöglicht auch, mal nach links und rechts zu schauen: Was macht mein Nachbar? Kann man sich vielleicht zusammenschließen, um gemeinsam Mehrwerte für die Kunden zu schaffen? Es herrscht im Grunde gerade eine große Freiheit, Dinge auszuprobieren. Auch mal was Verrücktes, das in Erinnerung bleibt.
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.