Deutschlands Kult-Snack feiert in diesem Jahr Geburtstag – im September 2019 wird die Currywurst offiziell 70 Jahre alt. Einer, der dieses Jubiläum einerseits feiert, andererseits anzweifelt, ist Tim Koch, Gründer und Geschäftsführer der Currywurst-Kette Bobby&Fritz. Für den Hamburger mit Wohnsitz in Essen steht nämlich fest: Bevor Herta Heuwer in Berlin erstmals Ketchup und Currypulver auf die Wurst kippte, wurde die Delikatesse schon im Ruhrgebiet genossen. Deshalb will er jetzt aufräumen mit dem Mythos, die Currywurst sei an der Spree erfunden worden. Wie? Mit Deutschlands erstem Currywurst-Lexikon und einer Ausstellung auf dem Gelände der Zeche Zollverein.
Tim, du etablierst dich gerade als Deutschlands führender Currywurst-Fachmann. Was hat es mit eurem Buchprojekt auf sich?
Tim Koch: Ich mag es eigentlich nicht, wenn jemand sowas selbst über sich sagt, aber ich habe festgestellt, dass es rund um die Currywurst tatsächlich bisher sehr wenige Experten gibt. Anlässlich des anstehenden Jubiläums der Berliner Currywurst recherchieren jetzt viele, wie es angefangen hat. Alle, die Auskunft geben könnten, wie Herta Heuwer, sind lange tot. Im Ruhrgebiet war die Currywurst ohnehin nie mit einer Erfinder-Person verknüpft. Und Leute wie der Fürst von Schaumburg-Lippe, die nun behaupten, die Currywurst sei in ihrer Stadt entwickelt worden, sind für mich eher Trittbrettfahrer …
Ich sammele schon seit Jahrzehnten alle möglichen Informationen und Kuriositäten zur Currywurst und so entstand die Idee, zum 70. Geburtstag der Heuwer-Wurst ein Currywurst-Lexikon als Standard-Werk herauszugeben. Ein Freund von mir, der bekannte Illustrator Helge Jepsen, übernimmt die grafische Gestaltung. Wobei der Begriff ‚Lexikon‘ sicher nicht auf jeder Ebene ganz ernst gemeint ist.
Statistisch verspeist jeder Deutsche zehn Currywürste pro Jahr. Foto: Bobby&Fritz
Und wo ist nun die Heimat der Currywurst?
Tim Koch: Ich bin überzeugt, dass das nur im Ruhrgebiet sein kann. Der Legende nach brachten nach dem 2. Weltkrieg amerikanische GIs erstmals Ketchup mit in die Region, wo dann die Kombination mit Bratwurst und Currypulver vollzogen wurde.
Um das ein für alle mal klar zu stellen, haben wir Schilder für die Autobahnen entworfen, auf denen das Revier als ‚Heimat der Currywurst‘ deklariert wird.
Das fand die Stadt Essen ganz witzig und hat den Antrag an das Regierungspräsidium in Düsseldorf weitergeleitet. Dort war man zwar recht angetan von der Idee, aber für einen touristischen Hot Spot, sprich: eine Tafel an der Autobahn, reichte es ihnen nicht. Also haben wir die Sache weitergesponnen und behauptet, ein Currywurst-Skelett gefunden zu haben …
Und Ein Skelett gehört bekanntlich in ein Museum …
Tim Koch: Ja, natürlich! Aber wo sollte das sein? Die Zeche Zollverein erschien uns als Weltkulturerbe standesgemäß. Der Vorschlag wurde von lokalen Medien und dem WDR aufgegriffen. Daraufhin hat sich die Zeche Zollverein gemeldet und uns eingeladen, so kam der Kontakt zustande.
Es gab ja schon ein Currywurst-Museum in Berlin, das kürzlich geschlossen hat …
Tim Koch: Ja, schön blöd, ein Jahr vor dem 70. Jubiläum. Umso interessanter waren wir aber für Zollverein. Momentan arbeiten wir an einer Ausstellung zum Thema Currywurst. Ob eines Tages ein richtiges kleines Museum daraus wird – wer weiß?
Was wird in der Ausstellung zu sehen sein?
Tim Koch: Wir hätten gerne ein 20-Meter großes Currywurst-Skelett, das unter der Decke hängt. Vieles kann man auch mit neuen Medien oder Instagram machen. Mein Traum ist ein audiovisuelles Streitgespräch zwischen Herta Heuwer, Lena Brücker, angebliche Erfinderin der Hamburger Currywurst, und einem Vertreter des Ruhrgebiets, die darüber diskutieren, wer denn nun der oder die Erste war, die eine Currywurst zubereitet hat. Außerdem haben wir unter anderem auch bei Olli Dittrich angefragt, ob wir seinen Dittsche-Bademantel bekommen können. Das Original war leider nicht verfügbar, aber wir eine Kopie organisiert, die er demnächst ’segnen‘ wird, indem er ihn anzieht. Natürlich wird es auch viele der informativen Inhalte des Lexikons in der Ausstellung geben. Eine Online-Datenbank zu den Currywurst-Buden in Deutschland, bei deren Erstellung alle Currywurst-Fans mithelfen könnten, fände ich auch super.
Unterwegs im Namen der Currywurst: Tim Koch will dem Kult-Snack im Ruhrgebiet eine Heimat geben. Foto: privat
Ein ‚Dittsche‘-Bademantel – einmalig getragen von Olli Dittrich – ist Teil der Currywurst-Ausstellung, die Tim Koch organisiert. Foto: privat.
Gibt es für Buch und Ausstellung schon einen Termin?
Tim Koch: Nein, aber da wir überzeugt sind, dass die Currywurst ohnehin schon älter ist als 70 Jahre, spielt das Datum für uns auch nur eine untergeordnete Rolle.
Woher stammt eigentlich deine große Liebe zur Currywurst? Gab es ein Schlüsselerlebnis?
Tim Koch: Meine früheste Erinnerung ist tatsächlich, dass meine Mutter Currywurst und auch die Pommes selbst gemacht hat. Das war immer etwas Besonderes, eine Art Belohnung. Irgendwann kamen dann Besuche bei Imbiss-Buden hinzu. Das Thema hat mich zunehmend fasziniert. Später habe ich dann mit Freunden einen eigenen Curry-Ketchup kreiert und auf den Markt gebracht, den Körrisaft, und für Verlage Imbissbuden getestet. Das alles führte dann 2013 zur Gründung von Bobby&Fritz, dem heute größten Currywurst-Systemgastronomie-Konzept mit gut 35 Standorten in Deutschland.
Weil die Currywurst an anderen Buden nicht gut genug schmeckte?
Tim Koch: Einerseits ging es ums Selbermachen und mit dem Körrisaft und seinen Ablegern hatten wir ja schon eine Reihe eigener Saucen im Programm. Andererseits sind wir zu den Zeit sehr viel gereist und haben festgestellt, dass es trotz 800 Mio. verzehrter Currywürste im Jahr bis dahin kein einziges überregional aktives Franchise-System für Currywurst gab. Da haben wir Marktchancen gesehen.
Im Urlaub darf es auch mal anderes Fast-Food sein: Beruflich isst Tim Koch dagegen im Schnitt zwei Currywürste pro Woche. Foto: privat.
Wie viele von den 800 Mio. Würsten isst du selbst pro Jahr?
Tim Koch: Das werden schon an die Hundert sein. Einerseits muss ich bei Bobby&Fritz viel essen und in unseren eigenen Buden schmeckt es natürlich auch gut. Andererseits mag ich die Currywurst einfach immer noch sehr gerne. Und in fremden Städten probiere ich mit Begeisterung, weil es überall ein wenig anders schmeckt und man noch ein bisschen was lernen kann.
Rind oder Schwein? Mit Darm oder ohne? Eine Glaubens- oder Geschmacksfrage?
Tim Koch: Rind oder Schwein oder gemischt – beides schmeckt mir gut, genauso wie verschiedene Saucen. Ohne Darm ist mit die Wurst zu fluffig, das Knacken fehlt. Das war damals, soweit ich weiß, sowieso nur eine Notlösung, weil es nach dem Krieg keinen Naturdarm gab, und ist immer ein Ost-Berliner Phänomen geblieben.
Warum ist die Currywurst in Deutschland – und nur hier – Kult?
Tim Koch: Ich glaube, dass die Currywurst überall da gut funktioniert, wo die Wurst an sich hoch geschätzt und als Kulturgut gepflegt wird. Außerdem braucht es eine gewisse Fast-Food-Affinität. Dass es bisher mit den Versuchen deutscher Gastronomen in den USA meistens nicht geklappt hat, muss ja nicht unbedingt am Produkt liegen. Ich bin optimistisch, dass sich die Currywurst früher oder später auch dort durchsetzen wird.
Hier in Deutschland ist sie ja erfunden worden und wird schon allein deshalb geliebt. Sie war hierzulande immer schon ein Belohnungs-Essen. Allerdings bin ich skeptisch, ob das bei der kommenden Generation auch noch so wirkt. Es wird spannend zu sehen, ob sich die Currywurst mittelfristig neben Burgern und dem wachsenden Angebot an Fast-Food behaupten kann.
Currywurst mit System: Bobby&Fritz bringt das Kult-Produkt nach ganz Deutschland. Foto: Bobby&Fritz
Einerseits ist die Currywurst als kultiger Mitternachts-Snack inzwischen auch bei schicken Events beliebt, andererseits schließen immer mehr Imbiss-Buden. Tragt ihr mit Bobby& Fritz dazu bei?
Tim Koch: Das wird uns immer wieder vorgeworfen. Aber ich bin unbedingt dafür, dass die lokale Currywurst-Kultur erhalten bleibt. Wir können als System vor allem dort zur Vielfalt beitragen, wo das Kundenvertrauen möglicherweise sonst nicht so groß ist, wie beispielsweise an Autobahnraststätten. Die Heimatbude ist aber immer wichtiger als das System. Wenn ich irgendwo bin, wo ich mich nicht auskenne, dann ist das System eine gute Wahl.
Braucht ein Currywurstbuden-Betreiber heute eine vegane Wurst?
Tim Koch: Es gibt bestimmt Standorte, wo man das braucht. Wir haben es bei Bobby&Fritz versucht, aber es hat überhaupt nicht funktioniert. Das Problem ist, dass ich keine veganen Würste kenne, die schmecken. Es gibt wahnsinnig leckeres veganes Essen, aber man muss es nicht so vergewaltigen, dass es nach Wurst schmeckt. Mit Sauce funktioniert es dann meistens trotzdem einigermaßen. Aber ich finde nicht, dass es sowas geben muss.
Der Burger findet sich heute auf fast jeder Speisekarte, die Currywurst eher selten. Woran liegt das?
Tim Koch: Ich fürchte, sie ist weniger cool, vielleicht, weil sie nicht aus Amerika kommt. Burger bieten mehr Abwechslung und eine vermeintliche Frische, sind sogar in Teilen gesund. Das kann die Currywurst nicht. Und in Deutschland ist sie eben in der Wahrnehmung schon 70 Jahre alt.
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.