Zur Internorga trifft sich die Außer-Haus-Markt-Branche in dieser Woche in Hamburg. Zu den wichtigsten Themen zählen aktuell die Digitalisierung, der Fachkräftemangel und ressourcenschonendere Ernährung. Foto: Hamburg Messe.

Mit der Leitmesse Internorga steht in dieser Woche eines der wichtigsten Ereignisse im Jahreskalender der deutschen Gastronomie bevor. Ein guter Zeitpunkt für eine kleine Bestandsaufnahme der Entwicklungen und Herausforderungen, mit denen sich die Branche aktuell konfrontiert sieht. Vor allem folgende fünf Einflüsse prägen aktuell die Diskussion:

Internorga Digitalisierung

Mit dem Handy im Restaurant bezahlen? Die Deutschen sind hier zurückhaltender als andere Nationen. Statt umfassender Digitalisierung wünschen sie sich in der Gastronomie vor allem herzlichen menschlichen Kontakt. Foto: Apple Pay

1. Digitalisierung

Was die mediale Aufmerksamkeit und die Lautstärke der Diskussion angeht, ist die Digitalisierung tatsächlich eines der herausragenden Themen der Gastronomie im Jahr 2019. Allerdings sieht die Realität häufig noch ganz anders aus. Restaurants, in denen digital bestellt oder bezahlt werden kann, sind nach wie vor die große Ausnahme. Und selbst wenn, ist es ein Investment in die Zukunft. Denn noch sieht es so aus, als ob den Verbrauchern an den neuen Optionen vorerst weniger gelegen ist als alle möglichen Zukunftsforscher der Branche insgesamt so dringend nahelegen.

Gerade für die großen Ketten – die im Gegensatz zu vielen kleinen Unternehmen über die Mittel verfügen, die notwendig sind, digitale Prozesse flächendeckend und auf das Konzept zugeschnitten zu implementieren – gilt: In der Theorie klingt Digitalisierung  toll, verspricht sie doch ein reibungsloseres Kundenerlebnis und schnellere Abläufe. Allein: Es scheitert oftmals an der Umsetzung. Selbst Vapiano beispielsweise -jüngst unter Erfolgsdruck geratenes Vorzeigeformat im Fast-Casual-Sektor – schafft es trotz aller Ankündigungen noch nicht, die systemimmanenten Schwächen des Konzepts durch den Einsatz digitaler Helfer Gast-freundlicher zu gestalten, weil sowohl die Technik als auch die Mitarbeiter mitunter überfordert sind.

Die meisten anderen Systemer sind beim Thema Digitalisierung ohnehin zurückhaltend. Alex experimentiert mit Alexa – die Nutzerzahlen lagen einige Wochen nach dem Start nach Angaben des Unternehmens gerade einmal im dreistelligen Bereich. Ein Gimmick, nicht mehr. Bis digitale Tische mit eingebauten Touchscreens und Roboter-Kellner flächendeckend in Restaurants Einzug halten, dürfte es ebenfalls noch dauern.

Essen und Trinken bleiben analog

Aus gutem Grund: Allen technischen Spielereien und Erleichterungen zum Trotz – der Gast bevorzugt den persönlichen Kontakt zu Menschen, wenn er in ein Restaurant geht. Das wird voraussichtlich auch so bleiben, sich möglicherweise sogar verstärken, je mehr die Digitalisierung andere, weniger emotionale Branchen umkrempelt, auf den ersten Blick praktischer, auf den zweiten aber ein Stück kälter macht. Gastronomie kann und sollte hier sogar ein Gegengewicht bieten als kuscheliger Wohlfühlort in einer durchautomatisierten Welt. Und sie kann – anders als andere Wirtschaftszweige wie der Handel oder das Musikhören – niemals komplett ins Internet abwandern, denn: Essen und Trinken bleiben analog!

Chancen nutzen, wo Technik sinnvoll ist

Natürlich wird und sollte auch die Gastronomie die Möglichkeiten der neuen Technologien nutzen – da, wo es sinnvoll und im Sinne des Gastes und der Mitarbeiter ist, was vor allem auf die Organisation des Back Offices zutrifft. Konzepte wie das Data Kitchen in Berlin zeigen, wohin der (Mittel-)Weg führen könnte: Hier eröffnen das digitale Bestellen, Bezahlen und Bedienen neue Möglichkeiten für das Personal, dem Gast besondere Fürsorge bei Getränke- und Wohlfühl-Service zukommen zu lassen. Interessant wäre zu sehen, wie solche Konzepte an anderen Standorten und ohne einen Weltkonzern wie SAP im Rücken funktionieren. 

2. Delivery

internorga Delivery

Das zweite große, für manche bedrohliche ‚D‘, dessen rasantes Wachstum in den vergangenen Jahren ohne die Digitalisierung kaum denkbar wäre. Ein disruptives Geschäftsmodell, das der Gastronomie einerseits neue Absatzkanäle erschließt, sie aber andererseits unter Druck setzt, Umsatz absaugt und in eine immer stärkere Machtposition hineinwächst. Kann es sich ein Restaurant in Zukunft noch leisten, nicht auf einer der großen Lieferdienst-Plattformen vertreten zu sein, wenn alle Betriebe im Umfeld mitmachen? Wenn der Gast zunehmend lernt, die Annehmlichkeiten der Nach-Hause-Lieferung von Essen zu schätzen? Zumal die Qualität des Gelieferten immer besser, die Wartezeiten immer kürzer werden Und wem ‚gehört‘ der Gast, wenn alle Daten über Bestellverhalten und Präferenzen nicht mehr beim Gastronomen, sondern bei der Lieferplattform auflaufen?

internorga delivery
Plattformen werden zu Gastronomen

Schon werden Befürchtungen laut, die Lieferplattformen könnten, sobald sie genügend Wissen und Daten angesammelt haben, ihre Ghost Kitchens, in denen heute schon nur noch Essen für Delivery zubereitet wird, einfach selbst betreiben. Das Geschäft wäre – auch dank ausgeklügelter Algorithmen – deutlich weniger komplex als das Betreiben eines Restaurants. Das Angebot könnte für den Standort maßgeschneidert werden, angepasst an Tageszeit und Wochentag.

Der Kunde wüsste zwar nicht mehr, wer da eigentlich für ihn kocht. Es wäre ihm aber vermutlich auch egal, solange Preis und Qualität stimmen. Und ein noch größerer Teil der gastronomischen Umsätze würde zu den Plattformen wandern, die in den Augen der Verbraucher – und de facto! – selbst zu Gastronomen würden. Gastronomen, die keine teuren Lagen brauchen und dank etlicher Millioneninvestments noch dazu über finanzielle Mittel für Marketing und Expansion verfügen, von denen Restaurantbetreiber nur träumen können.

Einzigartige Erlebnisse im Restaurant

Wie gegensteuern? Es gilt das Gleiche wie bei der Digitalisierung: Delivery geht nicht wieder weg, im Gegenteil. Mit der Übernahme des Deutschland-Geschäfts von Delivery Hero durch Takeaway.com konsolidiert sich der Markt, entsteht ein übermächtiger Akteur, der möglicherweise den letzten ernstzunehmenden Konkurrenten Deliveroo bald zum Aufgeben zwingen wird. Und seinen gastronomischen Partnern mehr denn je die Bedingungen diktieren kann.

Diese sind deshalb gefordert, ihren Gästen im Restaurant einzigartige Erlebnisse zu bescheren, sie herauszulocken aus den heimischen vier Wänden, mehr zu sein als eine Versorgungsstation für Essen und Trinken. Letztere Funktion wird mit dem Aufstieg der Lieferplattformen sicher an Relevanz verlieren.  Aber Gasthäuser waren immer schon mehr als das, nämlich Orte der sozialen Interaktion, die eben überwiegend nicht zu Hause stattfindet; eine Gesellschaft, die nur noch per WhatsApp kommuniziert, braucht mehr denn je Gastronomie als emotionale Tankstellen!

Bürokratie

Foto: Dieter_G/Pixabay

3. Bürokratie 

Die Klagen aus der Branche werden immer lauter: Das Bürokratiemonster erstickt unternehmerische Kreativität und Freiheit, bindet zu viele Kräfte mit administrativen Aufgaben, kostet richtig Geld. Mindestlohn, Hygiene, vielfältige Dokumentationspflichten, rechtliche Vorschriften und behördliche Auflagen halten immer mehr Gastronomen davon ab, was sie eigentlich sein möchten: leidenschaftliche, dem Gast zugewandte Gastgeber. Es brodelt!

Gleichzeitig zeigen Fälle wie der eines 15-jährigen Mädchens, das nach dem Genuss eines möglicherweise nicht richtig gekennzeichneten Sandwiches der britischen Kette Pret A Manger an einem Allergieschock verstarb, wie wichtig scheinbar lästige Vorschriften und Hinweispflichten im Einzelfall sein können.  Es geht wie meistens um Interessensausgleich. Selbst gegen die geforderte Senkung der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent gibt es Gründe, zum Beispiel würden einige Milliarden Euro im Staatssäckel fehlen und schnell Begehrlichkeiten bei anderen Branchen geweckt.

Im Gespräch bleiben

Während sich die Gastronomen – teilweise sicher zu Recht! – von der Politik gegängelt fühlen und auf der anderen Seite oftmals das Verständnis dafür fehlt, was all die Regeln und Pflichten für ein Unternehmen bedeuten, lautet die Aufgabe, mit den Entscheidungsträgern im Gespräch zu bleiben, Wissen zu erzeugen, auf Probleme und mögliche Überforderung hinzuweisen und gemeinsam Lösungen zu suchen. Damit der Gast und sein Erlebnis auch weiterhin im Mittelpunkt der gastronomischen Aktivitäten stehen!

Internorga

1.300 Aussteller aus 25 Nationen und rund 95.000 Besucher: Von Freitag, 15. bis Dienstag, 19. März 2019 wird das Gelände der Hamburg Messe und Congress GmbH wieder zur Internorga-Town. Präsentiert werden die neuesten Trends und Innovationen für Gastronomie, Hotellerie, Bäckereien und Konditoreien. Zu den Highlights der Leitmesse für den gesamten Außer-Haus-Markt gehören diverse (Nachwuchs-)Wettbewerbe sowie die Newcomers Area, Craft Spirit Lounge und Craft Beer Arena. 

4. Fachkräftemangel

MitarbeiterGastro

Foto: BP Birnbaum-Proenen

So viel vorneweg: Die deutsche Gastronomie hat tolle Mitarbeiter! Leider nicht genug davon. Und leider bieten immer noch zu viele Betriebe den vorhandenen Talenten nicht das berufliche Umfeld, das sie sich wünschen. Es stimmt: Die Ansprüche auch junger Kräfte sind gewachsen. Die Leistungsbereitschaft und Fähigkeiten dagegen nicht unbedingt.

Gemeinsame Anstrengungen

Doch es hilft ja nichts: Die Branche muss als Arbeitgeber insgesamt attraktiver werden. Ob mit Azubi-Smarts oder vorübergehender Filialverantwortung – junge Leute, gerade die engagierten, wollen wertgeschätzt werden. Dazu bedarf es nicht nur der Anstrengung einzelner Unternehmen: Die ganze Branche muss gemeinsam an einem Strang ziehen, sei es durch konzertierte Aktionen des Dehoga oder auch aus der Branche selbst.

Für Startup-Gründer wird schon einiges getan, es gibt Wettbewerbe für Jung-Köche, für ReFas, HoFas und Systemgastronomen. Wegen solcher Wettbewerbe wird aber niemand eine Ausbildung im Gastgewerbe beginnen. Da muss man früher ansetzen. Kochen finden viele junge Leute cool. Bedienen und Bettenmachen vielleicht weniger. Aber Begeisterung für den Beruf lässt sich wecken. Auch mit der Aussicht auf ordentliche Bezahlung und faire Arbeitszeiten. Sie darf nur nicht im Arbeitsalltag wieder sterben. Die vom Dehoga Bundesverband gerade angekündigte geplante Modernisierung der gastronomischen Ausbildungsberufe könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein.

Erfolgsgeschichten mit Zuwanderern

Und auch die Zuwanderung eröffnet Chancen, gerade wenn die potenziellen Arbeitskräfte aus Kulturen kommen, in denen Gastfreundschaft einen sehr hohen Stellenwert hat. Ja, beim Thema Flüchtlinge kann manch Gastronom von Enttäuschungen berichten. Aber es gibt eben auch sehr viele Erfolgsgeschichten zu erzählen! 

5. Veggie und vegan

Auf den ersten Blick scheinen sich der anhaltende Better-Burger-Trend und die Bewegung hin zu mehr pflanzlicher Kost zu widersprechen. Doch gerade diese beiden Entwicklungen gehen aktuell eine Liaison ein, die spannend ist zu beobachten. Ermöglicht wird sie durch die Einführung von fleischfreien Burger-Alternativen oder gar solchen, die teilweise aus Insekten bestehen (und damit natürlich streng genommen nicht vegetarisch sind, aber dennoch dem Wunsch der Gäste nach mehr Nachhaltigkeit auf dem Teller entgegenkommen). Auf immer mehr Speisekarten tauchen aktuell vegane Burger auf, begleitet von viel medialem Interesse.

Veggie-Welle 2.0

Anscheinend läuft gerade die Veggie-Welle 2.0 an: Statt bekannter Fleisch-Alternativen wie Gemüse, Hülsenfrüchten und Soja kommen nun vermehrt Proteine aus Erbsen, Lupinen, Reis, Jackfruit und Hanf zum Einsatz. Oder für die Mutigen Mehlwurm und Co. Das Ziel: ein möglichst authentisches Mundgefühl, am besten mit fleischähnlichem Geschmack. Ob sie die Gäste tatsächlich über die erste Neugier hinaus zu weniger Fleischverzehr animieren können, bleibt wohl abzuwarten.

Die Stimmen, die eine Reduktion unseres Fleischkonsums, sowohl der Umwelt als auch der persönlichen Gesundheit zuliebe, fordern werden derzeit immer lauter. Weniger, dafür besseres Fleisch und mehr Tierwohl, diese Formel findet immer mehr Anhänger, auch innerhalb der Branche. Restaurants, auch und gerade fleischlastigen Konzepten, kommt eine wichtige Rolle dabei zu, dieses Anliegen in der Bevölkerung noch populärer zu machen. Hier marschiert übrigens die Gemeinschaftsgastronomie vorbildlich vorweg!

Gesellschaftliche Aufgabe

Ein Wirtschaftszweig als Weltverbesserer? Warum denn nicht? Unsere Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen zu bewahren, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln und der Frage, welche Produkte wir konsumieren, kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Allerdings besteht Aufklärungsbedarf, denn die Verbraucher wollen wissen, was sie da essen und warum es für sie und die Umwelt besser ist. Da muss auch die Gastronomie Antworten geben, die die junge Generation – die Gäste der Zukunft! – gerade jeden Freitag einfordert.

Auf nach Hamburg!

Fünf komplexe Themen, die hier nur kurz angerissen werden können. Fünf von zahlreichen Herausforderungen, für die in den kommenden Jahren Lösungen gefunden werden müssen. Das Branchentreffen zur Internorga wird auch in diesem Jahr nachhaltige Impulse für die Zukunft des Außer-Haus-Marktes liefern. Wer diese mitgestalten will, für den heißt es dieser Tage: Auf nach Hamburg!

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