Rohstoffe, Energie, Personal – die Gastronomie ächzt unter steigendem Kostendruck. Ganz besonders jetzt, wo nach den monatelangen Corona-Lockdowns dringend wieder Geld in die Kasse muss. Doch wie lassen sich die höheren Einkaufspreise auf der Speisekarte abbilden, ohne dass die Gäste wegbleiben? Schließlich schrumpft deren verfügbares Einkommen ebenfalls bei jedem Tankstopp oder Gang zum Supermarkt. „Preiserhöhungen sollte man nicht übereilt, sondern strategisch angehen“, sagt Philipp Laqué, Managing Director des Beratungsunternehmens Revenue Management Solutions. Er verspricht: „Wir finden gemeinsam mit unseren Kunden Preise, die die Profitabilität erhöhen, ohne dass sie dabei einen Gästeverlust erleiden oder die Marke Schaden nimmt. Dabei schauen wir nicht nur auf den Wareneinsatz, sondern stellen uns zu allererst die Frage: Was ist der Konsument bereit, für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu bezahlen?“ 

Philipp Laque

Philipp Laqué ist Managing Director von Revenue Management Solutions in London. Seit mehr als 25 Jahren berät das Unternehmen Kunden aus der Systemgastronomie weltweit dabei, auch unter Kostendruck Preise so festzulegen, dass ihre Gäste sie akzeptieren und ihr Geschäft profitabel ist. RMS identifiziert über die Auswertung von POS-Daten und Konsumentenbefragungen, bei welchen Produkten oder Kategorien Verbraucher besonders preissensibel reagieren und wo Gastronomen mehr Spielraum haben, höhere Margen zu erzielen. Anschließend tarieren die Experten aus, welche Kosteneinsparungen und Preisanpassungen möglich sind, ohne dass die Gästefrequenz nachlässt. 

Herr Laqué, die Inflation steigt, viele Lebensmittel und Energieträger werden massiv teurer, der Mindestlohn klettert demnächst auf 12 Euro – mit welchen großen Herausforderungen bezüglich der Preisgestaltung ist die Gastronomie aus Ihrer Sicht derzeit besonders konfrontiert? 

Philipp Laqué: Das drängendste Thema sind sicherlich die steigenden Wareneinsätze: Auf allen Kanälen gehen derzeit die Preise hoch, angefangen von der Warenverfügbarkeit bis hin zu den Energiekosten. Jetzt setzt auch noch der Ukraine-Krieg die weltweite Versorgung mit Weizen und anderen Ackerprodukten unter Druck. Steigende Öl- und Gaspreise wirken sich ebenfalls direkt auf die Food & Paper-Kosten aus, da ja alles produziert und transportiert werden muss. Da ist eine richtige Kettenreaktion in Gang gesetzt worden, die die Gastronomen massiv zu spüren bekommen. 

Erwarten Sie, dass die Preise langfristig so hoch bleiben?

PL: Das ist schwierig zu sagen. Da spielen so viele Faktoren mit hinein, dass Prognosen kaum möglich sind. Früher wurden Einkaufspreise in der Regel für ein Jahr festgelegt. Heute wird beinahe monatlich neu verhandelt. Die Zeitspannen werden immer kürzer, mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Planbarkeit. In den nächsten 12 bis 24 Monaten dürfen wir wohl keine signifikante Verbesserung der Situation erwarten. Möglicherweise steigen die Preise zwar nicht mehr so ruckartig und schnell, aber das generell hohe Niveau der Kosten wird uns wohl noch eine Weile erhalten bleiben.

RMS

Heißt das, dass Gastronomen ihre Preise auf der Speisekarte auch monatlich anpassen müssen?

PL: Ganz so weit würde ich nicht gehen. Denn natürlich darf man die Problematik nicht nur aus der Gastronomen-Perspektive betrachten, sondern muss auch die Gast-Seite sehen. Die Konsumenten erleben ja ebenfalls eine signifikante Steigerungen ihrer Lebenshaltungskosten, hinter denen das Lohnplus häufig deutlich zurück bleibt. Damit sinkt das verfügbare Einkommen vieler Menschen, die dann entweder ihre Ersparnisse angreifen oder ihr Verhalten ändern müssen. Wie genau die Verbraucher darauf reagieren, lässt sich derzeit noch nicht genau vorhersagen. Steigt die Sparquote oder kehrt die Lust am Genuss – und am Geldausgeben – nach zwei Jahren Pandemie geballt zurück? Findet aufgrund der nach wie vor unsicheren Lage ein Downtrading statt? Da sind gerade viele Bälle in der Luft. 

Welche Spielräume haben Gastronomen derzeit, ihre Preise zu erhöhen?

PL: Die aktuell hohe Inflation hilft tatsächlich, weil die Verbraucher gerade überall mit Preissteigerungen konfrontiert sind und daher häufig auch im Restaurant erwarten, dass sie mehr bezahlen müssen als früher. Wir arbeiten allerdings normalerweise auf der Grundlage, dass  höhere Kosten nicht der Grund für Preiserhöhungen sein sollten, sondern immer die Zahlungsbereitschaft des Gastes ausschlaggebend ist, ob und wie stark ich meine Preise anhebe. 

Momentan stößt dieser Ansatz allerdings an seine Grenzen. Denn viele Gastronomen haben einerseits aufgrund des Kostendrucks gar keine andere Wahl als ihre Preise anzupassen, können aber andererseits die Reaktionen der Gäste darauf noch schwerer einschätzen als bisher. Deswegen ist es heute wichtiger denn je zu verstehen, was die Gäste tatsächlich bereit sind, für ein Produkt zu bezahlen.

„Viele Gastronomen haben aufgrund des Kostendrucks gar keine andere Wahl, als ihre Preise zu erhöhen. Deswegen ist es heute wichtiger denn je zu verstehen, was die Gäste tatsächlich bereit sind, für ein Produkt zu bezahlen.“

Philipp Laqué

Managing Director, Revenue Management Solutions

Denn wenn ich die Preise erhöhe, die Gäste das aber nicht mittragen, habe ich ein Problem, weil ich Frequenz verliere und das Preis-Leistungs-Verhältnis meiner Marke in Frage gestellt wird.

Wie hoch können Preiserhöhungen in der aktuellen Lage ausfallen? Welche Fehler sollte man dabei vermeiden? 

PL: Das ist sehr unterschiedlich und muss individuell abgewogen werden. Die allgemeine Inflation ist oft ein guter Maßstab. In Zeiten wie diesen, wenn die Verbraucher überall hören, dass Preiserhöhungen aufgrund von äußeren Gegebenheiten unumgänglich sind, kann der Wert auch einmal darüber liegen. Man sollte das Thema in jedem Fall behutsam und strategisch in Angriff nehmen und aus der Gästeperspektive betrachten, denn eine unüberlegte Preissteigerung kann dem Geschäft wirklich schaden. Umgekehrt können schon kleine Änderungen große Auswirkungen auf die Profitabilität haben, wenn man es richtig macht. 

Typischerweise gehen Unternehmen so vor, dass sie entweder einmal im Jahr die Preise gleichmäßig über alle oder auch nur in einigen Angebotsgruppen anheben, weil beispielsweise ein Rohstoff teurer geworden ist. Oft schauen sie dabei mehr auf die Preise ihrer jeweiligen Wettbewerber als auf das eigene Angebot mit dem Ziel, günstiger zu sein.

Kostendruck Gastronomie

Wie mit dem Kostendruck umgehen? Bei Preiserhöhungen kommt es darauf an, die Gästefrequenz und das Markenimage zu schützen. 

Wir raten zu einer individuell auf das Produkt oder Gericht abgestimmten Preisstrategie, bei der notwendige Anpassungen vorausschauend auf zwei bis vier Stufen pro Jahr aufgeteilt werden. Man sollte aber immer berücksichtigen, wann die letzte Erhöhung stattfand und welche Auswirkungen sie auf das Preisniveau hatte. 

Wie genau sollte man vorgehen, wenn man die Preise produktspezifisch anpasst?

PL: Es reicht nicht, einfach einen oder zwei Euro auf den bisherigen Preis aufzuschlagen. Das ist keine nachhaltige Preisstrategie. Es geht vielmehr darum, das Verhalten der Gäste und Kunden zu beeinflussen und damit den Profit zu maximieren. Dazu gehört auch, Produkte zum Angebot hinzuzufügen oder sie von der Karte zu streichen, wenn man mit ihnen kein Geld verdient. Über geschickt geschnürte Bundles erhält der Gast einen Mehrwert, für den er bereit ist, mehr zu bezahlen. Eine weitere Möglichkeit, das Verhalten zu steuern, besteht auch beispielsweise darin, den Preis von wenig profitablen Produkten, bei denen die Verbraucher sehr preissensitiv sind, zu erhöhen und damit die Nachfrage hin zu Produkten mit besseren Margen zu verschieben. 

„Wenn man die Standardversion eines Produkts in der Wahrnehmung der Gäste übertrifft, sei es mit einer größeren Portion oder Premiumzutaten, kann man dafür auch einen höheren Preis verlangen.“

Philipp Laqué

Managing Director, Revenue Management Solutions

Dabei sollte man sein Bauchgefühl außen vor lassen, sondern stattdessen datenbasiert entscheiden – und zwar heruntergebrochen auf den einzelnen Artikel und den Standort. Ein bestimmtes Produkt kann in einer Stadt sehr gefragt sein, in einem anderen Restaurant aber überhaupt nicht gut laufen. Das muss bei der Preisfindung am jeweiligen Standort berücksichtigt werden. Auch verraten die Daten, welche Artikel in der Vergangenheit – zum Beispiel als Promotion – besonders gut funktioniert und die Frequenz gepusht haben. Diese Produkte muss man anders behandeln als solche, die weniger begehrt sind.  Zu berücksichtigen ist auch, welche Produkte häufig zusammen gekauft werden. Diese sollte man nicht unbedingt gleichzeitig erhöhen, weil sonst die Preissteigerung den einzelnen oder eine Familie zu hart trifft. Man braucht einen weiten und gleichzeitig sehr fokussierten Blick.

Kostendruck Gastronomie

Welche Daten sieht sich RMS genau an?

PL: Wir analysieren das Gästeverhalten anhand von POS-Daten und Konsumentenbefragungen, um zu verstehen, wie es sich verändert, wenn Preise erhöht werden. Was kauft der Gast? Wann verzichtet er auf Desserts oder Getränke? Ab wann kommt er weniger häufig? Bei welchen Produkten ist er besonders preissensitiv? Daran lässt sich die Preiselastizität von einzelnen Artikeln und Gerichten ablesen. Nur wenn ich diese Zusammenhänge kenne, kann ich eine Strategie entwickeln und die Produkte identifizieren, bei denen die Zahlungsbereitschaft hoch genug ist, um einen besseren Preis zu verlangen, und diejenigen, bei denen die Gäste zurückschrecken, wenn sie mehr bezahlen sollen. 

Wir analysieren nicht nur die Daten unserer Kunden, sondern auch deren Wettbewerb, denn der bestimmt mit, welche Preisvorstellungen die Verbraucher von einem Produkt haben. Wenn man die Standardversion dieses Produkts in der Wahrnehmung der Gäste übertrifft, sei es mit einer größeren Portion oder Premiumzutaten, kann man dafür auch einen höheren Preis verlangen.

Kostendruck Gastronomie

Welche Möglichkeiten gibt es, wenn die Zahlungs-bereitschaft der Kunden geringer ausfällt als die Kostensteigerungen? 

PL: Wir unterstützen unsere Kunden gezielt beim Menu Engineering, also der Analyse des Angebots und wie sich dieses profitabler gestalten lässt. Wie groß ist die Auswahl? Muss sie so groß sein? Wie umfangreich sind die Portionen?

Lassen sie sich eventuell anders zusammensetzen? Welche Bundles versprechen gute Margen? Nehme ich vielleicht den Salat aus dem Menüpaket? Mit den richtigen Antworten auf all diesen Fragestellungen lassen sich die Profite steigern, ohne dass die Preise über das ganze Sortiment erhöht werden müssen.

Inwiefern kann die Digitalisierung helfen, Kosten zu senken und Margen zu steigern? 

PL: Beim Menu Engineering können digitale Menu Boards genutzt werden, bestimmte Produkte und Gerichte mehr in den Fokus der Kunden zu rücken, mit denen man dann einen besseren Deckungsbeitrag erzielt, oder Zusatzverkäufe zu generieren. Wir haben gemeinsam mit der University of South Florida herausgefunden, dass die Wahrscheinlichkeit für Zusatzverkäufe bei Online-Bestellungen steigt, je früher im Bestellprozess sie suggeriert werden. Trotzdem erscheinen Vorschläge für zusätzliche Produkte bei den meisten Unternehmen erst kurz vor dem Bezahlen.

„Beim Liefergeschäft geht es darum, dass die Bestellung den Kunden in wirklich gutem Zustand erreicht und seine – finanzielle —  Wertschätzung als Restaurantessen verdient.“

Philipp Laqué

Managing Director, Revenue Management Solutions

Digitale Tools helfen außerdem dabei, Prozesse zu optimieren und Fehler zu vermeiden, was dann wiederum die Zahlungsbereitschaft der Gäste erhöht, weil sie zufriedener sind. Zufriedenheit ist die Grundvoraussetzung dafür, dass höhere Preise akzeptiert werden. Achtung: Steigt die Zahlungsbereitschaft, wachsen auch die Ansprüche an die gastronomische Leistung und müssen bestmöglich erfüllt werden.

Spannend ist das Thema Lieferservice. Für diese Dienstleistung sind die Verbraucher in vielen Ländern bereit, höhere Preise zu bezahlen. In Deutschland fällt diese Bereitschaft allerdings geringer aus. Hier messen die Kunden ihrem eigenen Gewinn an Bequemlichkeit weniger Stellenwert zu als dem aus ihrer Sicht reduzierten Aufwand des Gastronomen, der sie in diesem Moment schließlich nicht im Restaurant bewirtet. Umso mehr geht es beim Liefergeschäft darum, dass die Bestellung den Kunden in wirklich gutem Zustand erreicht und seine – finanzielle —  Wertschätzung als Restaurantessen verdient. Denn Delivery wird auch in Zukunft ein immer wichtigerer Frequenzbringer für die Gastronomie sein.