Gefühlt schwebte eine große „7“ über dem 31. Forum Systemgastronomie des Dehoga, das in dieser Woche wieder im Rahmen der Anuga stattfand. Die 7 als Sinnbild für die Forderung nach Beibehaltung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes von 7 Prozent für Speisen in der Gastronomie und die „sieben Wahrheiten“, mit denen der Dehoga in diesen Wochen für die Entfristung des anlässlich der Härten während der Corona-Pandemie gesenkten Steuersatzes trommelt. Auch die eingeladenen Redner wie Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, und Jochen Pinsker vom Marktforschungsinstitut Circana, attestierten der Gastro-Branche weiterhin große Herausforderungen angesichts schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, Mitarbeitermangels sowie Kostensteigerungen und Konsumzurückhaltung.
Stephan von Bülow, Vorsitzender der Fachabteilung Systemgastronomie im Dehoga, wiederholte in seinem „Bericht aus Berlin“ deshalb nachdrücklich die Argumente für eine Beibehaltung der 7 Prozent: „Wir stehen vor Herausforderungen, die selten so groß waren, wie im Moment. Die Zeit ist geprägt von existenziellen Zukunftsfragen insbesondere für unsere Branche. Noch immer liegen die realen Umsätze unter dem Vorkrisenniveau von 2019. Damit steuert die Gastronomie auf das vierte Verlustjahr in Folge zu. Die Zahl der offenen Stellen – insbesondere für Mini-Jobber und Studenten – ist hoch. Mit 51.500 Auszubildenden gehören wir zu den größten Ausbildungsbranchen des Landes und wollen anknüpfen an unsere vorpandemische Rolle als wichtiger Job- und Ausbildungsmotor“, zählte von Bülow auf. „Wir sind die Branche der Chancen und der Integration, in der 38 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten eine ausländische Staatsbürgerschaft haben. In keiner anderen Branche ist der Anteil höher!“
Probleme lösen statt verschärfen
Damit die Branche ihre Potenziale entfalten könne, brauche es eine Politik, die die richtigen Rahmenbedingungen schafft, fuhr von Bülow fort und appellierte an die Verantwortlichen: „Schaffen Sie keine weitere Verunsicherung! Setzen Sie jetzt die richtigen Impulse für diejenigen, die arbeiten, und Anreize zur Arbeitsaufnahme.“ Einem gesetzlichen Mindestlohn von 15 Euro, der 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich und einem Anspruch auf Home Office erteilte der Geschäftsführer der Block Gruppe dagegen eine klare Absage: „Damit lösen Sie keine Probleme, sondern verschärfen sie.“ Stattdessen gelte es, mehr Wertschätzung für praktische Tätigkeiten und eine Offensive für die duale Ausbildung zu erreichen.
Die Politik müsse die Branche entlasten und ihr Perspektiven geben, so von Bülow. „Dazu gehören definitiv nicht verpflichtende Bio-Quoten oder neue Kennzeichnungspflichten für Herkunft und Nährwerte. „Speisekarten müssen lesbar bleiben.“ Als Gastgeber stelle man sich darauf ein, den hohen Ansprüchen der jungen Generaton gerecht zu werden. „Neue Reglementierungen führen jedoch nicht weiter“, betonte von Bülow. „Essen ist höchstpersönlich, es muss schmecken und bezahlbar bleiben: Am Ende entscheiden die Gäste.“
„Eine rein fiskalische Bewertung verbietet sich: Die Verluste für den Staat und die Gesellschaft werden bei einer Rückkehr zu 19 Prozent weit größer sein als die prognostizierten Steuermindereinnahmen von 3,4 Mrd. Euro. Geschlossene Betriebe zahlen keine Steuern!“
Sieben Wahrheiten für 7 Prozent
Wichtigstes Thema jedoch bleibe die Beibehaltung der 7 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen, kam von Bülow zum Kern seiner Botschaft: Seit dem Frühjahr trommelt der Dehoga mit der Sieben-Wahrheiten-Kampagne für die entsprechende Entscheidung – unter anderem wurden 85.000 Exemplare einer Broschüre mit den Argumenten für eine Entfristung gedruckt. Diese lauten unter anderem, dass die kulinarische Vielfalt und Lebensqualität in den Innenstädten erhalten und die ohnehin weniger werdenden gastronomischen Treffpunkte im ländlichen Raum überlebensfähig bleiben müssen. Zudem soll der Restaurantbesuch auch für Normal- und Geringverdiener möglich bleiben, ohne dass die enormen Kostensteigerungen für gastronomische Betriebe noch mehr als bisher an die Gäste weitergegeben werden müssen.
Faire Verhältnisse
Auch faire Löhne für die Mitarbeiter – und damit eine Linderung des ohnehin schon eklatanten Mitarbeitermangels – seien nur möglich, wenn es dank der Absenkung der Mehrwertssteuer auf 7 prozent finanzielle Spielräume gebe, die Personalkostensteigerungen der vergangenen Jahre abzufedern. Auch der Einkauf von und die Investition in nachhaltige Produkte und Techniklösungen würden beim Auslaufen der Befristung des reduzierten Satzes zum Jahresende ausgebremst. Lange schon beklagt die Branche außerdem die Ungleichbehandlung von Restaurantessen mit Speisen im LEH, Take-away und Lieferservice. Desweiteren befürchtet der Dehoga bei einer Rückkehr des 19-prozentigen Mehrwertsteuersatzes auf Speisen eine Verteuerung von gesundem Kita- und Schulessen. Last but not least gehe es um Wertschätzung für eine Branche, die einen essentiellen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leiste – wie sie in den meisten europäischen Nachbarländern bereits durch einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz zum Ausdruck komme.
Planungsunsicherheit bleibt
Die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner, über den zukünftigen Mehrwertsteuersatz erst nach der Steuerschätzung im November getroffen werde, sorge für große Herausforderungen für alle Unternehmen, die jetzt ihre Angebote für 2024 kalkulieren müssen, erklärte von Bülow.
„Den reduzierten Mehrwertssteuersatz von 7 Prozent als Subvention anzuprangern, ist völlig inakzeptabel.“
„Die guten Gründe für dauerhaft 7 Prozent liegen auf dem Tisch. Sie sind nicht fair und ökologisch. Wir wollen, dass Essen auch nach dem 1. Januar einheitlich mit 7 Prozent besteuert wird egal, wie und wo es zubereitet und verzehrt wird! Dies als Subvention anzuprangern, ist inakzeptabel!“
Es gelte jetzt, gemeinsam mit dem Dehoga zusammenzustehen, schloss von Bülow, und die Herausforderungen mit vereinten Kräften anzugehen. „Besinnen wir uns auf unsere Stärke und bleiben selbstbewusst und zuversichtlich. Wir sind systemrelevant!“
Freie Brauer gegen Rückkehr zu 19 %
Die Freien Brauer befürchten, dass eine Mehrwertsteuererhöhung von aktuell sieben auf 19 Prozent in der Gastronomie ab Januar 2024 nicht nur die Restaurants und Kneipen, sondern auch die Brauereien schwer treffen wird. Die angespannte finanzielle Lage bei Verbrauchern werde dazu führen, dass diese weiter sparen müssen und daher bei Besuchen in der Gastronomie den roten Stift ansetzen werden, so der Branchenverband in einer Pressemitteilung.
„Die Rechnung ist ganz einfach. Die Gastronomie wird und muss die Erhöhung in Form von Preissteigerungen bei den Speisen an die Gäste weitergeben. Die Restaurantbesuche werden in der Frequenz weniger werden und damit sinkt nachhaltig auch der Getränkeumsatz. Und das trifft nach der Gastronomie auch unsere Gesellschafterbrauereien in hohem Maße. Wir sind der Überzeugung, dass die Mehrwertsteueranhebung ein gänzlich falsches Zeichen setzt, und appellieren eindringlich an die Regierung, den Schritt nicht zu gehen“, erwartet Geschäftsführer Jürgen Keipp. Es sei daher auch im Interesse der Freien Brauer, den niedrigen Mehrwertsteuersatz im Gastgewerbe dauerhaft beizubehalten und im besten Fall auch auf Getränke auszuweiten.
Hoher Transformationsdruck
Im Anschluss an von Bülows Plädoyer analysierte Prof. Michael Hüther die „schwierige Gesamtlage“ der deutschen Wirtschaft. „Die Geopolitik dominiert die Weltwirtschaft. Viele Machträume konkurrieren miteinander – dabei dachten wir doch, dass wir inzwischen mehr gemeinsam erreichen könnten.“ Alles, was Deutschland wirtschaftlich tue, sei nur die Hälfte wert, so lange es keinen selbstverständlichen und souveränen sicherheitspolitischen Rahmen gebe. „Wir brauchen knallharte Interessenvertretungen in der Außenpolitik. Es fehlt die konkrete Umsetzung.“ Auch der demographische Wandel und die aktuell hohen Energiepreise erzeugten einen hohen Transformationsdruck für alle Branchen und die Infrastruktur.
Auch in einer schrumpfenden Gesellschaft gebe es keine Gewähr für Vollbeschäftigung, hobt Hüther hervor. Deshalb dürfe man sich nicht darauf ausruhen, dass schon keine Einkommensperspektiven verschwinden, weil niemand mehr arbeitslos wird. „Bis 2030 fehlen uns 3 Millionen Mitarbeiter, das sind 4,2 Mrd. Arbeitsstunden – deshalb ist jede Diskussion über eine 4-Tage-Woche oder weitere Arbeitszeitverkürzung volkswirtschaftlich völlig verfehlt.“ Zumal die Produktivität seit Jahren eher rückläufig sei.
Enorme Finanzierungslasten
Problematisch sieht Hüther die Überforderung der Industrie und Wirtschaft insgesamt beim Umbau zur Dekarbonisierung. „Politik muss aktuell die Angebots- und die Nachfragesituation gestalten – das ist einzigartig und bedeutet in der Übergangsphase enorme Finanzierungslasten.“
Jochen Pinsker, Industrial Advisor Foodservice Europe bei Circana, untermauerte die Forderung nach der Fortsetzung der 7 Prozent mit den jüngsten Marktforschungsdaten. „Die Entwicklung sieht auf den ersten Blick ganz gut aus – seit Februar positive Zahlen.“ Dies gelte jedoch nur nominal. „Die Besuchszahlen liegen leider immer um 1,5 Milliarden unter den Werten von 2019!“ Die Ausgaben pro Besuch seien um 16 Prozent gestiegen – wofür Pinsker auch Preiserhöhungen verantwortlich machte.
Verloren habe laut der Marktforschung vor allem das Segment Arbeit und Ausbildung – davon betroffen seien nicht nur Betriebsgastronomien, sondern auch Bäcker am Bahnhof oder das Fullservice-Restaurant, in dem geluncht wird. „Hier fehlen uns fast 1 Mrd. Besuche“, sagte Pinsker. Auf der Gewinnerseite: Der Verzehr zu Hause – geliefert oder von unterwegs mitgebracht.
Gäste lieben Digitalisierung
„Die emotionale Funktion der Gastronomie, Menschen zusammenzubringen, hat deutlich zugenommen, während die funktionale Versorgung unwichtiger wird“, interpretierte Pinsker die Zahlen. Großen Wandel bringt auch die Digitalisierung. „Die Gäste lieben sie“, kommentierte Pinsker, „sie bestellen digital teurer und sie bestellen mehr.“ Der Wunsch, Geld auszugeben, sei in schwierigen Zeiten allerdings tendenziell gering, das Konsumklima schlage aktuell wieder ins Negative um, was nicht zuletzt durch die gestiegenen Preise beeinflusst werde. Diese seien in der Gastronomie faktisch aber gar nicht so stark gestiegen wie im Handel, auch wenn die Wahrnehmung teilweise eine andere sei.
„Die emotionale Funktion der Gastronomie, Menschen zusammenzubringen, hat deutlich zugenommen, während die funktionale Versorgung unwichtiger wird.“
Gleichzeitig gebe es kaum grundlegenden Verzicht, der Preis entscheide nicht häufiger als früher über die Wahl des Restaurants und die Wiederbesuchswahrscheinlichkeit. „Es scheint, als würden die Gäste die höheren Preise akzeptieren, gleichzeitig sehen wir auf den zweiten Blick doch Trading-Down-Effekte wie den Verzicht auf das Dessert oder ein zweites Getränk“, erklärte Pinsker. Der Marktforscher ist trotzdem optimistisch, dass die Gastronomie bald wieder auf einem guten Weg sein wird: „Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Wertschätzung für die Branche ist gestiegen und die Sehnsucht nach Erlebnissen und Socialising ist groß. Dafür ist die Gastronomie der perfekte Ort!“
Die Broschüre zur 7-Prozent-Kampagne gibt es auf der Seite des Dehoga-Bundesverbands zum Download.
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.