Auf Borkum ist sie die Geeske: Dabei heißt sie eigentlich Frieda – noch eigentlicher Friederike, aber das erfährt nur, wer auf der Website von „Geeske & der swarte Roelf” ins Impressum schaut. Doch egal, ob unter ihrem friesischen Alias oder unter ihrem Geburtsnamen – Frieda Lekscha und das nach einer Piratenlegende benannte Restaurant an der Promenade des Borkumer Weststrands gehören seit fünf Jahren zum gastronomischen Inventar der ostfriesischen Insel. Die Location – vollgestellt mit Vintagemöbeln und maritimen Erinnerungsstücken aus dem Borkumer Heimatmuseum – ist ein Traum: in der historischen Wandelhalle direkt am Musikpavillon, die XXL-Fenster mit Blick auf die berühmte Seehundsandbank, dahinter die endlose Nordsee. Hier kommt wirklich jeder Borkum-Urlauber vorbei, die Restaurants reihen sich aneinander, die Flanierenden haben die Auswahl. An warmen Sommertagen ist jeder Platz besetzt. 

Für Frieda ein Sehnsuchtsort, den sie bereits ihr ganzes Leben lang kennt und liebt. „Schon als Kind habe ich jeden Sommer drei Wochen mit meinen Eltern auf Borkum verbracht”, erzählt die 33-Jährige beim Sundowner auf der Terrasse. Aufgewachsen im nordrhein-westfälischen Remscheid, war der Inselurlaub in Ostfriesland hier, rund vier Autostunden vom Fähranleger in Emden entfernt, eine Frage der Tradition: „Bei uns gibt es nicht nur die Rivalität zwischen Schalke und dem BVB, sondern auch zwischen den Familien, die seit Generationen nach Borkum reisten, und denjenigen, die es jedes Jahr nach Norderney zog. Ein Besuch auf der jeweils anderen Insel kam nicht in Frage.”

Geseke

Hinter der Bar, mit Blick aufs Meer: Das ist Frieda Lekschas Lieblingsplatz auf Borkum.

Zweite Heimat Borkum

Auch Frieda hat Borkum nie losgelassen, wurde zur zweiten Heimat mit großem Freundeskreis, die sie auch während des Studiums des Tourismus-, Hotel- und Eventmanagements in Iserlohn regelmäßig besuchte. Später führten sie ihre gastronomischen Wanderjahre je nach Saison auch nach Spanien, in die Schweiz zum Après-Ski oder auf das Oktoberfest. „Es zieht mich meistens dorthin, wo viele Leute gemeinsam Spaß haben. Wenn Druck auf dem Kessel ist, laufe ich zur Hochform auf. Ich liebe es, zu improvisieren. Und irgendein Problem gibt es immer zu lösen”, beschreibt die Unternehmerin sich selbst. „Dann gehe ich abends glücklich ins Bett.”

Wenn Druck auf dem Kessel ist, laufe ich zur Hochform auf.

Frieda Lekscha

Gastronomin, Geeske und der swarte Roelf

Bis mitten ihren den turbulenten Alltag der Anruf eines Freundes platzte, der ihr vor der freiwerdenden Gastronomiefläche an der Borkumer Promenade erzählte. Die Stadt als Verpächterin wünsche sich ein junges Konzept, das nachwachsende Urlaubergenerationen ansprechen und diese an die Insel binden solle. Ob sie nicht Lust habe …? Sie hatte – trotz einiger Zweifel: Kann ich das? Ist das nicht zu groß? „Aber ich mag Wettbewerb, schrieb also ein Konzept und bewarb mich ohne Erwartungen”, blickt sie zurück. Als dann im Januar 2019 völlig überraschend die Zusage kam, rief sie erst einmal ihren Vater an. „Er sagte: Genieße den Moment, die nächsten Jahre werden furchtbar!” So schlimm kam es dann glücklicherweise nicht, „aber es gab schon Situationen, in denen ich Panik hatte. Vieles ist auf einer Insel eben doch komplizierter als in der Großstadt.” 

Geeske & der swarte Roelf

Standort Borkum, Strandpromenade

Inhaberin Frieda Lekscha

Konzept Restaurant, Café, Weinbar

Sitzplätze 100 innen, 200 außen

Mitarbeiter Sommer 8 plus 4-5 Aushilfen, Winter 5

F:B Verhältnis ca. 30% Food, 70% Drinks

https://www.diegeeske.de/

Coole Beats und Drinks zum Start

Tatsächlich forderte der Start ihr viel Improvisationstalent ab: Zusammen mit ihrem besten Freund zog sie nach Borkum und eröffnete aus der Not heraus zunächst ein Pop-up. Statt ihres Konzepts gab es erst einmal nur coole Beats und Drinks. „Ich hatte 20.000 Euro auf dem Konto. Dafür wollte mir die Brauerei des Vorpächters das Inventar nicht überlassen. Wir mussten also in einem leeren Laden mit vereinten Kräften irgendwie eine provisorische Bar bauen, um einfach mal anzufangen.” 

Doch dank ihres großen Freundeskreises, der Hilfe anderer Borkumer Gastronomen und eines ordentlichen Vertrauensvorschusses der Stadt wurde Frieda, die quirlige Job-Hopperin, zur Unternehmerin. Die mit großen Plänen für eine trendige Strandgastronomie antrat, wie sie auch auf Mykonos oder Bali erfolgreich wäre. 

Geeske lockt mit lokalen Produkten

Und die schnell merkte: Borkum ist nicht Ibiza. „Wir hatten die Ambition, hier am Strand die geilsten Cocktails zu machen.” Aber das zu weiten Teilen aus Familien und Senioren bestehende Publikum konnte mit schwarzteeinfusioniertem Korn, serviert in der Ostfriesentasse nicht viel anfangen. „Alle wollten nur Sex on the Beach oder Caipirinha.” Den Caipi dann wenigstens mit selbst gemachtem Kluntjessirup? Lokale Signature Produkte und so? „Wenn du täglich 15 mal gefragt wirst, warum da kein Rohrzucker drin ist, gibst du irgendwann auf”, seufzt Frieda. „Wer bin ich, dass ich meinen Gästen vorschreibe, was sie gut finden sollen?” 

Es ist einfach nicht mehr zeitgemäß, die Leute nach einer 7-Tage-die-Woche-Sommersaison monatelang in die Arbeitslosigkeit zu schicken.

Frieda Lekscha

Gastronomin, Geeske und der swarte Roelf

Nur der Korn, der sollte unbedingt bleiben, schließlich hat er gerade bei den Insulanern traditionell viele Fans. Und kann mehr als sein angestaubtes Image vermuten lässt, sodass Geeskes aktuelle Signature Drinks mit Namen wie „Sandkornpirinha”, „Geschlechtsverkehr im Wattenmeer” oder „Wachkoma” alles außer gewöhnlich sind. Je tiefer Frieda in die Thematik einstieg, desto mehr wuchs ihre Begeisterung – und die Korn-Sammlung in Geeskes Bar, angeblich die größte der Welt: „Korn ist der Champagner unter den Wodkas. Er wird zum Teil als Whisky ausgebaut, eignet sich als Grundlage für Liköre und ist alles in allem ein sehr vielseitiges, regional produziertes Getränk, das einem Reinheitsgebot unterliegt und mit dem wir jede Menge Spaß haben”, schwärmt die ausgebildete Sommelière von der Spirituose. 

Geeske

Mit viel Vintage-Charme lockt „Geeske und der swarte Roelf“ an der Borkumer Promenade ein junges Publikum an.

Bei Geeske ist es lauter und wilder

Spaß macht auf Borkum vor allem der Sommer, wenn die Insel voll ist. Ein Selbstläufer für die Strandgastronomie, sofern das Wetter mitspielt – was es erstaunlich oft tut. „Wir haben hier mit die meisten Sonnenstunden in Deutschland – wenn auch bei niedrigeren Temperaturen.” Dann kommen die Gäste fast von alleine – zu Geeske vor allem diejenigen, die es etwas lauter, bunter und wilder mögen oder nach dem Sundowner noch lange feiern wollen.

Im Winter dagegen kann es an der Nordsee dunkel und einsam werden. Dann geht es für Frieda darum, die rund 5.000 Borkumer zu einem Abstecher an die Promenade zu locken. Der Korn als traditioneller Inselschnaps bietet zahlreiche Möglichkeiten für Events und Tastings, Konzerte oder ein regelmäßiger Stammtisch lokaler Jungunternehmer stehen ebenfalls im Kalender. Rechnet sich der Betrieb in der kalten Jahreszeit fast ohne Touristen? „Wir sind nach dem Umbau im ersten Winter und den Lockdowns der Corona-Jahre jetzt bei einer schwarzen Null”, kommentiert die Gastronomin, die vor allem ihrem Personal zuliebe „durchzieht”: „Es ist einfach nicht mehr zeitgemäß, die Leute nach einer 7-Tage-die-Woche-Sommersaison monatelang in die Arbeitslosigkeit zu schicken.” 

Borkum ist nicht Sylt

Viele Herausforderungen für die Gastronomie sind auf einer Ferieninsel nicht anders als in der Großstadt. Trotz Ferienstimmung spürt man auch auf hier die wachsende Preissensibilität der Gäste. „Wir sind nicht Sylt oder Norderney. Wer sparen muss, kocht eben einmal mehr in der Ferienwohnung oder begnügt sich mit einem Fischbrötchen”, beobachtet Frieda. Um ein erschwingliches, familienfreundliches Angebot zu gewährleisten, hat sie die Karte so konzipiert, dass alle Speisen – vom hausgemachten Heringsdipp, der Waffel mit Sanddorn-Karamell oder Pulled Lachs-Brötchen über Trüffelpasta und Salzwiesensalat bis hin zur Sanddorn-Currywurst und Burger mit typisch ostfriesischem Snirtje-Fleisch – unter 20 Euro zu haben sind.

Geeske

Die Lage direkt am Musikpavillon und der Blick machen „die Geeske“ zum idealen Platz für einen Sundowner.

Die Zahl der verkauften Gerichte hat sich dadurch verdoppelt, wobei sicher die neue Möglichkeit half, das Essen digital vom Tisch aus zu bestellen und zu bezahlen. Denn grundsätzlich herrscht bei Geeske Selbstbedienung, was gerade im Sommer häufig zu langen Schlangen vor der mit maximal zwei Mitarbeitern besetzten kleinen Bar führt.

Da radele ich lieber morgens zehn Minuten am Strand entlang zur Geeske. Es kann mir keiner erzählen, dass es irgendetwas Schöneres gibt.

Frieda Lekscha

Gastronomin, Geeske und der swarte Roelf

Game Changer für Hochfrequenz-Gastronomie

Ein Problem, das Frieda Lekscha auf ihre ganz eigene Art zu lösen versuchte: Eine Zeit lang mixte sie jeden Morgen vorsorglich den Bestseller Aperol Spritz und füllte ihn in Flaschen ab. Mit mäßigem Erfolg. „Zwar ging die Ausgabe nun deutlich schneller, aber die Qualität der Drinks litt.” Da kam ihr Lebensgefährte Jonas zur Hilfe, der nicht nur selbst ein Limonaden-Startup betreibt, sondern auch erkannte, dass eine beschleunigte Vorab-Produktion von Spritz-Getränken ein Game Changer für alle Hochfrequenz-Standorte sein kann. 

Geeske

Vier Wochen später war das in Niedersachsen professionell abgefüllte Ready-to-Drink-„Spritzchen” mit Original-Aperol in der 0,33-l-Mehrwegflasche fertig. Inzwischen produziert und vertreibt Frieda unter der Marke „Mointz” fünf verschiedene alkoholische Drink-Varianten, die bereits in ersten Supermärkten erhältlich sind. Bei vielen Kollegen aus der Gastronomie stieß der Spritz in Flaschen allerdings auf Skepsis.

 „Also machen wir das jetzt auch im Fass für die normale Zapfanlage”, verkündet die Gründerin, die nach eigenen Angaben noch 1.000 weitere Ideen im Kopf und so unter anderem ganz nebenbei noch einen Kiosk auf Borkum eröffnet hat.

Morgens mit dem Fahrrad zur Geeske

Ist eine kleine Insel hoch oben im Nordwesten als Spielwiese überhaupt groß genug und bereit für so viel Tatendrang? „Für die nächsten Jahre bestimmt. Danach sehen wir weiter. Von manchen Träumen – wie zum Beispiel einem eigenen Laden in der Schweiz – kann ich mich noch nicht ganz verabschieden. Aber die Pendelei wäre wohl sehr anstrengend”, lacht Frieda. Grundsätzlich liebt sie das Inselleben. Jeden Tag stundenlang im Stau stehen, um zur Arbeit zu kommen? Ein Albtraum! „Da radele ich lieber morgens zehn Minuten am Strand entlang zur Geeske. Es kann mir keiner erzählen, dass es irgendetwas Schöneres gibt.” Klar reise sie gerne mal in die Großstadt – für Inspiration, um schick essen zu gehen oder in Konzerte. „Aber spätestens nach drei bis vier Tagen kriege ich einen Koller und muss zurück.” 

geeske

Die größte Kornauswahl im Universum? Ganz sicher die größte auf Borkum!

Dann steht Frieda wieder zufrieden hinter ihrer Bar, zapft Bier und mixt Cocktails. Und wenn dann noch chillige Musik aus den Boxen kommt, gut gelaunte Menschen auf der Terrasse feiern und die hinter den Robben auf der Sandbank untergehende Sonne ihr direkt ins Gesicht scheint, ja, dann fühlt sich Borkum doch ein wenig an wie Ibiza. 

Fotos: Geeske und der swarte Roelf

Dieser Artikel erschien zuerst in der Juli-Ausgabe 2024 der Zeitschrift fizzz