Ernährung ist längst eine Glaubensfrage, es wird emotionsgeladen darüber diskutiert, mitunter sogar missioniert. Was werden wir in Zukunft essen? Und wie werden wir das Thema kommunizieren? Vier Lebensmittelproduzenten geben Auskunft, wie sie mit dem immer größeren Stellenwert von Essen für den Lifestyle der Verbraucher umgehen und was das für die Kommunikation mit den Kunden bedeutet. Allgemeines Fazit: Das Sprechen über Lebensmittel muss authentisch sein und darf nichts verklären. Denn Natürlichkeit steht ganz oben im Kurs, so der gemeinsame Tenor der Befragten. Was bedeutet das konkret für die Food-Trends von heute und morgen? Spannende Statements zum Essen der Zukunft von Unilever, Hermanns, iglo und Hermanns.
Alfred Jansen, Leiter der Unternehmens-, Marken- und Nachhaltigkeitskommunikation bei iglo:
„Die zentralen Treiber im Food-Sektor sind Einfachheit, Mehrwert, Emotionalität. Einfachheit steht dabei sowohl für Convenience als auch für die Zusammensetzung der Lebensmittel. Die Menschen haben innerhalb der Arbeitswoche weniger Zeit zum Kochen oder keine Lust für sich alleine den Kochaufwand auf sich zu nehmen. In der Woche muss es also praktisch und schnell gehen, am Wochenende wird dagegen die Mahlzeit in Gemeinschaft mit anderen intensiv zelebriert.
Das heißt: Für den Verzehr in der Woche steigt die Nachfrage nach bereits vorbereiteten Lebensmitteln. Die damit verbundene Portionierbarkeit hat den positiven Nebeneffekt, dass kein halber Blumenkohl vergammelt oder weggeschmissen werden muss. Auf der anderen Seite erwarten die Verbraucher Klarheit bei den Zutaten. Während der Verzicht auf Zusatzstoffe, künstliche Aromen und Konservierungsstoffe längst Alltag ist, wird die Reduktion anderer Elemente wie Zucker, Salz oder Fetten zunehmend erwartet.
Der Aspekt Mehrwert spiegelt den Trend zur Optimierung des Lebens wider. Ob „mit“ (Vitamine, Eiweiß, etc.) oder „frei von“ (Laktose, Gluten, vegan) – die bewusste Ernährung ist heute schon in der Nische etabliert, wird aber zukünftig auch den Massenmarkt erreichen. Spezifische Veränderungen der Essgewohnheiten, beispielsweise Insekten als Eiweißlieferant, werden an Bedeutung gewinnen. Im Massenmarkt ist jedoch weniger zu erwarten, dass die Insekten wie in Asien üblich auf dem Teller kommen, sondern vielmehr als Eiweißpulver im Rahmen der gewohnten und kulturell verankerten Speisen.
Auch die Emotionen dienen als Mehrwert. Die sogenannten „Foodporns“ zeigen bereits heute, dass Essen nicht nur der Ernährung dient, sondern das Lebensmittel vielmehr Teil einer sozialen Interaktion ist und in diesem Kontext eine Haltung zum Leben vermittelt. Food is the new religion. Für die Markenpositionierung ist ein emotionaler Identifikationspunkt unabdingbar. Dies beginnt bereits mit einem attraktiven Verpackungsdesign und reicht bis zu Markenikonen.“
Verena Bahlsen, Founding Partner Hermanns
„Das Label ’nachhaltig‘ auf Produkten wird neu gebranded auf ‚planet-friendly‘, wird damit zeitgemäß und relevant für eine neue, hochpolitische Popkultur, und beeinflusst damit Kaufentscheidungen einer neuen Generation. Daraus wachsend werden wir neue Rohstoffe sehen. „Superfoods“ wie zum Beispiel Goji Beeren oder Acaí werden ersetzt durch eine neue Riege an noch funktionelleren Rohstoffen, sogenannte Nootropika. Das sind zum Beispiel Four Sigmatic Mushroom Coffee, Algae Shots oder Moon Juice enhancing powders.
Außerdem werden wir in der Lebensmittelindustrie in Zukunft nicht mehr über das Minimieren von Schlechtem sprechen (mein Kuchen ist glutenfrei), vielmehr werden wir neue Produkte und Markenangebote sehen, die über das Maximieren des Positiven sprechen (mein Kuchen ist reich an Eiweiß, Eisen, Ballaststoffen). Diese Bewegung wird maßgeblich von einer neuen Generation an Innovatoren befüttert, die nicht an den Fahrtabhängigkeiten der bestehenden Industrie hängen.“
Konstantin Bark, Media Relations Director bei Unilever
„Clean Label ist ein anhaltender Trend, auch ist das Interesse an vegetarischer und veganer Ernährung ungebrochen groß. Wir sehen eine wachsende Zahl von Flexitariern und Vegetariern. Ebenfalls unverändert ist der Trend zum sogenannten Snacking,
also der kleinen Mahlzeit zwischendurch. Ein weiterer, stark wachsender Bereich ist Streetfood. Dieser Trend findet längst nicht mehr nur außerhalb der eigenen vier Wände statt, denn beliebte „Street-food“-Gerichte, wie Burger oder Hot-Dogs, werden immer häufiger zu Hause zubereitet.“
Jörg Schillinger, Leiter Hauptabteilung Öffentlichkeitsarbeit bei Dr. Oetker Deutschland
„Wir beobachten vor allem zwei gegenläufige Trends, die einander nicht widersprechen müssen: gesünder essen versus genussvoller essen. Während sich eine große Zielgruppe vermehrt für Produkte mit reduziertem Nährwertprofil interessiert, steigt bei vielen Verbrauchern gleichzeitig der Wunsch nach noch mehr Genuss.
Seit einiger Zeit sind beim Verbraucher auch verstärkt natürliche Zutaten und möglichst naturbelassene Lebensmittel gefragt. So werden die Zutatenlisten zum Beispiel von Tiefkühlpizzen immer kürzer, da auf Zusatzstoffe zunehmend verzichtet werden kann.
Auch der demographische Wandel ist spürbar und wird sich weiter ausprägen. So gibt es immer mehr ältere Menschen und Single-Haushalte, aber dafür weniger Familien. Jede Gruppe hat eigene Bedürfnisse und Anforderungen an ihre Lebensmittel. Ebenso haben die aktuellen Trends wie die Individualisierung des Essens und der steigenden Außer-Haus-Verzehr Einfluss auf die wandelnden Verzehrgewohnheiten. Zugleich ist das Bewusstsein für Lebensmittelqualität und der Wunsch nach Transparenz gestiegen, wobei die Bereitschaft einen hierfür angemessenen Preis zu zahlen tendenziell nicht vorhanden ist.
Darüber hinaus sehen wir Trends wie Snacking und Ein-Personen-Portionen. Kleinere Verpackungsgrößen für den flexibleren Verzehr tragen zudem der gesellschaftlichen Entwicklung mit kleiner werdenden Haushalten / Single-Haushalten Rechnung.“
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.