Herr Till, warum tun sich viele – auch die ehrlichen – Gastronomen so schwer mit dem Thema manipulationssichere Kasse?
Dr. Mirco Till: „Weil es dabei um ein sehr technisches Thema geht, mit dem eine emotionsbetonte Branche wie die Gastronomie nicht viel anfangen kann. Viele haben einfach keinen Bezug dazu und haben sich bis heute nicht darum gekümmert.“
Aber das Thema steht doch schon seit Jahren im Raum?
Dr. Mirco Till: „Die gesetzliche Grundlage für die nun in Kraft getretene Verordnung wurde schon 2016 geschaffen. Seitdem konnte jeder wissen, was am 1. Januar 2020 passieren sollte. Aber das war mit der Vorgängerverordnung GoBD nicht anders. Auch damals dachten alle, dass die Welt mit ihrem Inkrafttreten untergehen würde, obwohl die Änderungen gar nicht so gravierend waren.
Dass alle bis zum letzten Moment warten, hat aber nicht nur mit der Branche zu tun, sondern auch mit den Verbänden, die immer wieder auf die Übergangsfristen hinweisen und damit suggerieren: Ihr habt noch jede Menge Zeit. Das Problem: Alle Kassenhersteller Deutschlands werden nicht ausreichen, um im September bundesweit 2 Mio. Kassen aufzurüsten. Auch die Hardware wird im Sommer voraussichtlich knapp werden. Auf unseren Service-Lines ist jetzt schon der Teufel los, weil plötzlich viele aufwachen.“
Und die Kassen-hersteller selbst? Hätten sie nicht mehr Druck machen können?
Dr. Mirco Till: „Wir tun unser Bestes, aber auch viele Kassenhersteller haben offenbar gehofft, dass das Ganze verschoben werden wird. Es gab ja sogar aufmerksamkeitsstarke Kampagnen, um die gesamte Kassensicherungs-verordnung im letzten Moment zu verhindern, was glücklicherweise nicht funktioniert hat.
Dr. Mirco Till ist Geschäftsführer des Kassensystemspezialisten Gastro-MIS. Zu den Kunden des Unternehmens zählen führende Gastronomen wie die Enchilada-Gruppe und Sausalitos. Foto: Gastro-MIS
Sie vertreiben Ihre gemeinsam mit einem Schweizer Unternehmen entwickelte TSE-Lösung auch an andere Kassenhersteller. Warum?
Dr. Mirco Till: „Es stimmt: Ein bisschen helfen wir damit der Konkurrenz über die Straße. Aber wir haben auch ein Interesse daran, die Branche bei der Umsetzung der Kassensicherungsverordnung zu unterstützen. Denn wenn wir es nicht geschafft hätten, 160 der deutschlandweit rund 500 kleinen Kassensystemhersteller mit TSEs auszustatten, damit sie pünktlich für die Umsetzung bereit sind, hätten wir der Kritik an der Verordnung natürlich Vorschub geleistet und sie wäre vermutlich noch einmal um zwei Jahre verschoben, wenn nicht ganz beerdigt worden.“
Als Mitglied des Fachverbands DFKA konnten Sie bei der Gestaltung des Anwendungserlasses und der DSFinV-K mitarbeiten …
Dr. Mirco Till: „Ja, aber man hat uns tatsächlich erst im Herbst 2018 gefragt, wie sich die Pläne der Politik denn nun konkret umsetzen lassen. Wir haben beinahe ein Dreivierteljahr mit der Finanzverwaltung daran gearbeitet. Vorher galten die Kassenhersteller als Teil des Problems, dabei sehen wir uns als Teil der Lösung.“
Schließlich ist der Hersteller des Kassensystems mit dran, wenn einem Gastronom Manipulation nachgewiesen wird, wie kürzlich in Göttingen.
Dr. Mirco Till: „Gerade deshalb sind wir froh, wenn die Systeme nun manipulationssicher werden müssen. Das schützt auch uns Kassenhersteller.“
Was genau hat der Verband in die nun in Kraft tretende Lösung eingebracht?
Dr. Mirco Till: „Das TSE muss jetzt als Sicherheitsmodul in jede Kasse integriert werden. Das ist im Grunde ein großer Container, in den Sie alles hineinpacken können. Wir haben gemeinsam mit der Finanzverwaltung definiert, was wann und wie ausführlich hineingeschrieben werden muss.“
Kassensicherungs-verordnung
Bis Ende 2022 müssen dann auch die letzten Registrierkassen nachgerüstet sein. Die Sicherheitseinrichtung muss als zusätzliche Hardware angebunden werden oder wird als Cloud-Lösung bezogen.
Eine TSE ist eine zertifizierte technische Sicherungseinrichtung für Registrierkassen, die aus drei Bestandteilen besteht: Zum ersten aus dem Sicherheitsmodul, das vom Kassensystem gelieferte Daten manipulationssicher signiert abspeichert. Zum zweiten aus dem Speichermedium, das die Einzelposten für die Dauer der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist speichert.
Schließlich noch aus der einheitlichen digitalen Schnittstelle, die eine reibungslose Datenübertragung für Prüfungszwecke sicherstellt.
Warum braucht es dafür unbedingt den Bon?
Dr. Mirco Till: „Das hat damit zu tun, dass zwei Zeitpunkte fälschungssicher festgehalten werden müssen: Wann hat der Gast begonnen, zu bestellen? Und wann hat er zum letzten Mal etwas bestellt?“ Diese Uhrzeit kann nicht über das Kassensystem manipuliert werden.
Muss das unbedingt ausgedruckt werden? Reicht es nicht, wenn beispielsweise auf einem Display an der Kasse für alle sichtbar wird, dass das Bestellte in die Kasse eingegeben wurde?
Dr. Mirco Till: „Es muss nicht ausgedruckt, aber erzeugt werden. Von mir aus auch digital. Zugegeben, angesichts der nun von einigen Gastronomen und Bäckern präsentierten Mengen an Bons ist das System dahinter nicht gleich zu verstehen. Aber wir müssen sicherstellen, dass der Bon in dem Moment erstellt wird, in dem auch die Daten in dem Sicherheitsmodul unwiderruflich abgelegt werden. Und zwar, ohne dass dies nur auf Anfrage geschieht!
Wenn der Vorgang auf einem Display erscheint, könnte ein mittelmäßig begabter Programmierer das Kassensystem umschreiben. Der Zeitpunkt, an dem der Umsatz generiert wird, ist entscheidend! Und dass der Kunde den Bon mitnehmen kann, wenn er denn will. Der muss ja auch nicht aus Thermopapier bestehen, kann als E-Mail verschickt oder heruntergeladen werden.“
Bäcker und Gastronomen machen mit gesammelten Bons auf der Ladentheke auf den zusätzlichen Papiermüll – vielfach nicht recyclebar – aufmerksam. Foto: Barbara Schindler
Wünschenswert wäre ja eine digitale Lösung, die das Papier – ob Thermo oder nicht – bald überflüssig macht …
Dr. Mirco Till: „Wir werden in ein paar Wochen den Nutzern unseres eigenen Kassensystems die Möglichkeit anbieten, auf ihren mobilen Kassen einen QR-Code zu erzeugen und anzeigen zu lassen. Der Gast kann diesen mit seinem Handy scannen und bekommt die Rechnung als pdf. Dazu muss er noch nicht einmal eine App herunterladen oder seine E-Mail-Adresse preisgeben. Der Beleg wird erzeugt, noch bevor der Gast danach fragt.“
Mancher fürchtet teure Investitionen in ein neues Kassensystem. Ist die Manipulationssicherheit wirklich so kostspielig?
Dr. Mirco Till: „Eigentlich gar nicht. Alle Software-basierten Kassen lassen sich unkompliziert mit einem Update aufrüsten, sofern der Hersteller noch am Markt ist. Da muss noch nicht mal ein Techniker in den Laden kommen. Und das Sicherheitsmodul ist ein USB-Stick, der an jede PC-Kasse passt. Auch für iPad-Kassen ohne USB-Anschluss wurde mittlerweile eine Lösung gefunden: Der TSE-Stick wird an den Netzwerkdrucker angeschlossen. Für nicht-aufrüstbare Kassen gilt eine Übergangsfrist bis 2022.
Könnte man die Daten direkt ans Finanzamt schicken, würde das übrigens viele Probleme lösen. Leider macht da häufig die nicht ausreichende Internetqualität in vielen deutschen Regionen einen Strich durch die Rechnung.“
Könnten Gastronomen oder Bäcker mit dem Willen zu manipulieren nicht auch einfach so weiter machen wie bisher – die meisten Kunden interessierten sich ja nicht für den Bon? Und die Chance, dass ein Finanzbeamter gerade das Brötchen gekauft hat und darauf achtet, ob der Bon oder ein QR-Code erzeugt wird, ist ja nicht so groß …
Dr. Mirco Till: „Die Kontrolle durch die Finanzbehörden muss engmaschiger werden. Wir haben erreicht, dass eine Kassennachschau jetzt in zehn Minuten durchführbar ist. Bisher dauerte so etwas zwei bis drei Stunden.
Im Idealfall geht der Kontrolleur unerkannt in den Laden, bestellt und bezahlt, sieht den Bon oder scannt den QR-Code und kann sofort feststellen, ob eine TSE verwendet wird und alle Bestellungen boniert sind. Damit ist gewährleistet, dass dieser Betrieb ordnungsgemäß arbeitet.
Ein Kontrolleur, der heute zwei Kassennachschauen am Tag macht, schafft dann 20 an einem Abend. Und er kann Unternehmen vernachlässigen, die bei der letzten Prüfung bereits mit einer TSE ausgerüstet waren, und sich stattdessen auf die anderen konzentrieren. Dadurch steigt das Entdeckungsrisiko für diejenigen, die manipulieren, enorm!“
TSE-Lösung für manipulationssichere Kassen
Für die Fiskalisierung in Deutschland hat Swissbit eine steckbare und damit schnell integrierbare Lösung entwickelt. Die TSE der Schweizer Storage- und Embedded IoT-Spezialisten gibt es als USB-, SD- oder microSD-Schnittstelle. Sie ist dadurch für Anbieter klassischer Kassensysteme, wie auch von Kassensoftware-Herstellern für PCs oder Tablets, flexibel nutzbar sowie einfach und kostengünstig skalierbar. Swissbit stellt dafür ein SDK (Software Development Kit), Treiber und Support für Windows, Linux, Android und Embedded-Systeme bereit.
Ließe sich die Bon-Flut reduzieren, wenn insgesamt in Deutschland mehr bargeldlos bezahlt würde?
Dr. Mirco Till: „Die Kassensicherungsverordnung und damit die Bon-Pflicht gelten für alle Betriebe, die Barzahlung anbieten. Wer das nicht möchte, muss komplett auf bargeldlosen Zahlungsverkehr umstellen. Da ist Deutschland mit Akzeptanzraten von 20-40 Prozent in der Gastronomie im Vergleich zu anderen Ländern wie beispielsweise in Skandinavien noch recht weit zurück. Das hat gesellschaftliche Ursachen und wird sich durch die Bon-Pflicht kaum ändern.
Allerdings könnte ich es mir gut vorstellen, dass ein Betrieb, der die QR-Codes nutzt, dies zu Marketingzwecken nutzen kann. Beispielsweise mit einem Schild an der Tür: Bei uns werden keine Bons gedruckt!“
Viele Gastronomen stöhnen über ausufernde Bürokratie und Doku-mentationspflichten. Nun auch noch die Kassensicherungs-verordnung.
Wird es nicht wirklich langsam zu viel, was der Staat den Unternehmen aufbürdet?
Dr. Mirco Till: „Im Gegenteil: Mit der Kassensicherungsverordnung haben Gastronomen ein Problem weniger, denn sie reduziert den Aufwand. Es reicht ja, den USB-Stick in die Kasse zu stecken und die Software zu aktualisieren, alles andere läuft automatisch ab. Im Betriebsablauf ändert sich nichts.
Übrigens gibt es auch bei der Kassennachschau weniger Stress – und keine Zuschätzungen mehr, weil der Prüfer die mit TSE ausgerüstete Kasse als nicht manipuliert ansieht! Und: Das Restaurant nebenan muss jetzt auch sauber arbeiten und kann nicht manipulieren, wodurch der Wettbewerb gerechter wird.
Gastro-MIS
Die Gastronomie-Branche fühlt sich ja mitunter generell unter Betrugsverdacht gestellt. Haben Sie Einblicke, wie hoch der Anteil derer ist, die manipulieren?
Dr. Mirco Till: „Ich kenne natürlich nicht die ganze Gastronomie. Aber vor der letzten Umstellung 2017 endeten rund 30 Prozent unserer Verkaufsgespräche dann, wenn wir gesagt haben, dass unser System manipulationssicher ist.
Die meisten haben trotzdem ihr Restaurant aufgemacht und betrieben. Da hat dann ein anderer Hersteller die Kasse geliefert. Deshalb bin ich durchaus gespannt, wie sich der Gesamtumsatz der Gastronomie in diesem Jahr entwickelt …“
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.