Viele Gastronomen fürchten derzeit, nach dem Ende des Corona-bedingten Lockdowns als Verlierer dazustehen. Die Infektionsschutzmaßnahmen, unter denen die Restaurants nun schrittweise wieder öffnen dürfen, bedeuten weniger Umsatz, höhere Kosten und für manche düstere Perspektiven. Doch es gibt auch andere Stimmen. Die beiden Gastro-Expertinnen Julia Butz (JB) und Lena Weibel (LW) sagen: Mit der richtigen Strategie kann man die Krise nicht nur als Finisher, sondern sogar als Winner durchstehen. Wir haben exklusiv mit ihnen über die mangelnde Leidenschaft von Gastronomen für Zahlen, den Wert von Mitarbeitern und kluge Maßnahmen, auch mit weniger Umsatz ausreichend Geld zu verdienen, gesprochen.  

Frau Weibel, Sie sind selbst Gastro-Unternehmerin und spüren die Corona-Krise als Geschäftsführerin eines Event-Caterers am eigenen Leibe. Wie gehen Sie selbst damit um und was raten Sie anderen Gastronomen?

LW: Ich habe analysiert, zu welchen Mitteln ich selbst greife, um mein Unternehmen Talking Tables durch die Krise zu steuern, und wollte diese Werkzeuge gerne anderen Gastronomen zur Verfügung stellen. Denn wir alle stehen ja plötzlich vor einer Situation, in der Krisenmanagement gefragt ist. Spätestens jetzt gilt es, einen Überblick zu bekommen, wie das Unternehmen dasteht, welche Kosten man hat – nicht nur monatlich, sondern ganzjährig. Wieviel Liquidität ist vorhanden? Und was soll ich tun, um längerfristig liquide zu bleiben? Dazu muss ich mein langfristiges Kostenmanagement überdenken, mit Vermietern und der Berufsgenossenschaft sprechen und so weiter. Aus meinen persönlichen Erfahrungen bei Talking Tables heraus helfe ich den Kunden, ihren Betrieb auf den Prüfstand zu stellen.

JB: Kosten und Liquidität sind nur eines unserer sechs Webinar-Themen. Das ganze Programm ist aufgeteilt in Einzelchoachings und Live-Webinare in Kleinstgruppen zu maximal fünf Personen. Uns ist wichtig, dass ein Austausch unter den Teilnehmern stattfinden kann, bei dem Erfahrungen und Best Practice-Beispiele erörtert werden. Vorher unterziehen wir jeden Gastronomen einem ‚Quick Check‘, bei dem die wichtigsten Kennzahlen des vergangenen Geschäftsjahrs abgefragt werden, damit wir wissen, wie der Betrieb aufgestellt ist.

Julia Butz
Lena Weibel
Gemeinsam für eine schönere Gastgeberkultur – unter diesem Motto haben sich die beiden Gastro-Beraterinnen Julia Butz (l.) und Lena Weibel zur gastgeber akademie zusammengeschlossen. Beide verfügen über langjährige Erfahrungen in den unterschiedlichsten gastronomischen Formaten und Unternehmen. Weibel führt außerdem den Caterer Talking Tables, das mit zwölf festen Mitarbeitern und rund 40 Aushilfen vor allem bei mittelgroßen Events im Rhein-Main-Gebiet aktiv ist. Hier setzt sie die theoretischen Konzepte des New Work und vorbildlichen Gastgebertums erfolgreich in die Praxis um.

Julia Butz ist Gründerin des Stuttgarter Gastronomie-Beratungsunternehmens Foodvisions, das Gastronomen in puncto Strategien und Analysen unterstützt. „Wir möchten aus tollen Gastgebern Unternehmer machen, die ihre Betriebe profitabel führen“, lautet das Credo der beiden Gründerinnen. Dazu analysieren die beiden Beraterinnen den Status Quo des Unternehmens und erarbeiten gemeinsam mit dem jeweiligen Gastronomen einen erfolgreichen Weg, nicht nur aus der aktuellen Krise.

Mit welchen Herausforderungen sehen sich die Gastronomen durch Corona ganz konkret konfrontiert?

LW: Am Anfang der Krise stand das Thema Kosten ganz oben auf der Liste. Es ist leider ganz normal, dass viele Gastronomen da keinen wirklichen Überblick haben. Das detaillierte Analysieren von Zahlen ist naturgemäß nicht immer ihre Leidenschaft. Inzwischen richtet sich bei vielen der Blick auf die Wiedereröffnung. Aber es wird ja nicht sofort alles wieder so sein wie vor Corona. Und es wird nicht reichen, nur Hygienekonzepte zu entwickeln und die Tische auseinanderzurücken.

Die viel wichtigeren Fragen lauten: Wie kann ein Konzept wirtschaftlich sein, wenn ich nur rund 50 % meiner Umsätze habe? Wie passe ich meine Kostenstruktur daran an? Welche Mitarbeiter hole ich zuerst aus der Kurzarbeit? Da herrscht aktuell viel Ratlosigkeit, wie man einen Betrieb langsam wieder hochfährt.

„In den allermeisten Fällen kann man auch mit weniger Umsatz langfristig wirtschaftlich arbeiten.“

Lena Weibel

die gastgeber akademie

Wenn ein Gastronom zu dem Ergebnis kommt, dass er mit 50 % Umsatz nicht wirtschaftlich arbeiten kann, sollte er sein Restaurant dann lieber geschlossen lassen?

LW: Es ist schwierig, ohne einen Blick auf die konkreten Zahlen zu sagen: Mach den Laden auf! Aber die Erfahrung zeigt, dass man in den allermeisten Fällen auch mit weniger Umsatz langfristig wirtschaftlich arbeiten kann. Es geht nicht darum, schnell wieder Gewinne zu schreiben, sondern darum, das Konzept, das Team und die Gästestruktur aufrecht zu erhalten, um später wieder hochfahren zu können.

Das ist auch mit 50 % des Umsatzes möglich. Ein wichtiges Tool ist die Speisekarte: Brauche ich wirklich das gleiche Angebot wie vor der Krise, wenn ich dafür zu viel Ware vorhalten und alle Köche gleichzeitig zurückholen muss?

Einige Stimmen sagen, die Gastronomie in Deutschland müsse Corona nutzen, um sich grundsätzlich zu ändern: professioneller, profitabler und attraktiver für Mitarbeiter werden. Sehen Sie das auch so?

JB: Ich glaube schon, dass sich einiges verändern wird. Dabei würde ich nicht einmal von mangelnder Professionalität sprechen. Die Kernkompetenz der meisten Gastronomen ist eben das Gastgebersein. Das sollen sie auch in Zukunft zu 100 % leben. Aber ohne den Background geht es eben auch nicht. Dabei kann man sich aber Unterstützung holen.

Tatsächlich leiden jetzt vor allem diejenigen am meisten unter der Krise, die in der Vergangenheit trotz eines guten Konzepts von der Hand in den Mund gelebt haben. Sie verfügen natürlich über kein Polster, um eine monatelange Schließung problemlos zu überstehen.

Grundsätzlich werden neue Formate nach der Krise zu den Gewinnern zählen: Innovation, Digitalisierung und Lieferplattformen sind im Aufwind. Es gibt gerade einen Ruck, der sich sehr positiv auf die Branche auswirken wird.

thewinner
Das Programm mit dem Namen „The Winner“ kombiniert individuelle Beratung und systematische Wissensvermittlung in Form von Live-Webinaren. Die Beraterinnen Lena Weibel und Julia Butz vermitteln Gastronomen virtuell und in kleinen Gruppen Fachwissen mit sechs Themenschwerpunkten. Der entscheidende Mehrwert für die Teilnehmer: Dabei entsteht nach dem Motto ‚Share to Grow‘ eine Gastro-Community, in der Erfahrungen geteilt und Wissen vermehrt wird. Butz und Weibel sind überzeugt, dass ihr Beratungsangebot die Gastronomen gerade in dieser Zeit weiterbringt: „Die Zeit ist reif, für eine starke Gastro-Community, die voneinander lernt, miteinander gewinnt und gestärkt aus der Krise hervorgeht.“ Die Kosten für die Beratung übernimmt aktuell zu 100 % das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA).

In der Gesellschaft herrscht gerade viel Überraschung, dass auch größere Gastro-Unternehmen kaum Rücklagen haben, um einen längeren Lockdown zu überstehen. Stimmt da etwas mit dem ganzen System nicht? Steht die ganze Branche auf zu wackeligen Beinen?

LW: Bei einem Teil der Individualgastronomen ist das wohl tatsächlich so. Viele sind nicht selbstbewusst genug, die Preise zu nehmen, die sie bräuchten, um Rücklagen aufzubauen. Das gilt aber nicht nur für Gastronomen. Auch Ärzte zum Beispiel sind oft keine guten Unternehmer, obwohl sie wie die Gastronomen ihrem Beruf mit hoher fachlicher Kompetenz und Leidenschaft nachgehen. Die Leidenschaft erstreckt sich aber eben nicht unbedingt auf Zahlen und das Ziel, möglichst viel Geld zu verdienen.

Den von Julia beschriebenen Ruck erhoffe ich mir vor allem für das Thema Preisgestaltung. Es muss aufhören, dass viele Angebote in der Gastronomie zu günstig sind, weil sich der Betreiber nicht traut, mehr zu verlangen und hofft, dass es sich irgendwie rechnet. Denn es ist ja nicht so, dass Gastronomen das verdiente Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen. Vielmehr schauen sie auf den Mitbewerber nebenan, sehen dessen ebenfalls zu niedrige Preise und glauben, dass sie auch nicht mehr verlangen können.

Helfen denn die staatlichen Unterstützungsgelder zu überleben?

LW: Die Zahlungen können auf jeden Fall einen Beitrag leisten, das Unternehmen durch die Krise zu bringen. Wenn die Gastronomen jetzt verstehen, dass sie die Knackpunkte in ihrer Betriebsführung nun endlich angehen müssen, damit sie nach Corona auf einem solideren Fundament stehen.

Das heißt, die vom Dehoga prognostizierten 70.000 Insolvenzen erwarten Sie nicht?

„Wer seinen Gast immer schon als höchstes Gut behandelt hat, bekommt jetzt viel zurück.“

Julia Butz

die gastgeber akademie

LW: Ich finde sowas schwer vorherzusagen. Klar antworten viele Gastronomen in einer Situation, in der sie plötzlich ohne Umsatz und mit hohen Kosten dastehen, dass sie das nicht lange schaffen werden. Einige schaffen es aus verschiedenen Gründen vielleicht tatsächlich nicht, aber grundsätzlich geht es.

Haben moderne, urbane Konzepte bessere Chancen zu überleben als beispielsweise der Landgasthof in der Provinz?

JB: Die Konzepte mit einem guten USP und Stärken wie gutem Essen und gutem Gastgebertum werden auch nach der Krise fortbestehen. Man sieht ja jetzt schon, wie sie ihre Fan-Base aktivieren und zu Bestellern und Take-away- oder Gutschein-Kunden machen. Es gibt Beispiele, dass sich ganze Freundeskreise zum Bestellen verabreden und dann – jeder bei sich zu Hause – gemeinsam über Videochat „in ihrem Restaurant“ essen. Solche Fans hat man, wenn man seinen Betrieb mit Leidenschaft führt – egal, ob als Dönerladen in der Stadt oder als Gasthof auf dem Land. Wer seinen Gast immer schon als höchstes Gut behandelt hat, bekommt jetzt viel zurück.

thewinner

LW: Gastronomie ist und bleibt People Business, daran wird Corona nichts ändern. Wenn die Chemie zwischen Kunden und Mitarbeitern stimmt und man den ‚Flow‘ schnell wieder herstellen kann, spielt das jeweilige Konzept keine Rolle.

JB: Corona wird dafür sorgen, dass noch mehr Kunden und Gäste vermehrt auf Nachhaltigkeit und Regionalität achten werden. Auch die Ansprüche an die Hygiene dürften massiv steigen – Hygiene wird zum neuen Marketinginstrument! Und damit lassen sich dann hoffentlich auch höhere Preise durchsetzen, weil die Gäste zum einen gemerkt haben, wie wichtig Gastronomie ist, und zum anderen, welche Leistung dahintersteht.

thewinner

Wird sich die Frage guter Mitarbeiter – eines der bisher drängendsten Themen – nach Corona auch entspannen?

LW: Wir sind überzeugt, dass schon vor der Krise ein riesiges Potenzial in dem Thema Fachkräfte lag, das einfach nicht ausgeschöpft wurde. Dass viele gute Leute in andere Branche abgewandert sind, ist doch kein Wunder – was haben wir denn für sie getan? Dabei ist die Situation mit relativ wenigen Maßnahmen zu ändern, wenn man sich an den Prinzipien des New Work orientiert. Dabei ist der Faktor Mitarbeiter entscheidend für den Erfolg der Branche. Es müssen mehr Gastronomen verstehen: New Work ist machbar und ergibt sehr viel Sinn!

JB: Es hilft, wenn man sich als Unternehmer auch mal aus dem operativen Stress herausnimmt und die Dinge ‚von oben‘ betrachtet. Raus aus dem Krisenmodus und eine langfristige Vision für den Betrieb entwickeln! Und die macht ihm selbst vielleicht auch mehr Freude als das, was vor Corona war! 

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