Die Gastronomie ist und bleibt im Lockdown, Insolvenzen und dauerhafte Schließungen häufen sich, ebenso wie Frust und Verzweiflung in der Branche. Dennoch gibt es sie, die Unternehmen, die trotz der Corona-Krise an ihren Wachstumsplänen festhalten und neue Standorte eröffnen. Mit ihrem 2016 in Berlin gestarteten Konzept „Beets & Roots“ gehören Max Kochen und Andreas Tuffentsammer zu diesen Mutigen: Drei neue Stores in Düsseldorf, Frankfurt und Berlin stehen für die kommenden Monate auf ihrer Agenda. 

Bis zum Frühjahr 2020 war die Welt von Beets & Roots mehr als in Ordnung: Das junge Gastro-Startup, gegründet von Sternekoch Andi Tuffentsammer und Betriebswirtschaftler Max Kochen, traf mit seinem Angebot an kulinarisch anspruchsvollen, ansonsten aber unkomplizierten Bowls, Salaten und Wraps sofort den Nerv der Healthy-Casual-Klientel in der Hauptstadt. Das innovative Konzept war außerdem ein branchenweit viel beachteter Vorreiter in puncto gesundes Lieferessen in Deutschland. Erfolgreich aktiv in den vier Vertriebswegen Restaurants, Take-away, Delivery und Catering, wuchs die Marke zügig und zählt aktuell sechs Standorte in Berlin und Hamburg.

Corona änderte auch für das junge Unternehmen alles: „Mit dem ersten Lockdown brach nicht nur das Restaurant-, sondern auch das zuvor starke Event- und Office Catering-Geschäft von einem Tag auf den anderen komplett weg“, erzählt Tuffentsammer. Die Unsicherheit war groß: Was ist zu tun? Welche Hilfen bekommen wir? Wie können wir weiterhin Umsatz machen? „Als Startup sind wir glücklicherweise seit der Gründung gewohnt, mehr oder weniger im Krisemodus zu operieren. Deshalb haben wir uns relativ schnell in der neuen Situation zurechtgefunden.“

Kochen Tuffentsammer

Die Köpfe hinter Beets & Roots: Als Andi Tuffentsammer (rechts) 2011 als Küchenchef der Ole Deele in Großburgwedel für seine strikt regionale Küche einen Michelin-Stern erhielt, war er mit 25 Jahren der jüngste Sternekoch Deutschlands. Mitgründer Max Kochen studierte Betriebswirtschaft in London und arbeitete unter anderem für Groupon und Quandoo. Fotos: Beets & Roots/Food-Fotos: © Barbara Cilliers

Lieferdienst auf eigene Fahrer umgestellt

Eine besondere Herausforderung war die Kommunikation mit den 125 Mitarbeitern. „Auch wenn wir persönlich Rücklagen hatten, tragen wir doch Verantwortung für unsere Teams“, sagt Tuffentsammer. „Zum Glück konnten wir gemeinsam für alle eine gute Lösung finden und mussten niemanden entlassen.“ Unter anderem auch, weil tatsächlich alle Kräfte nach wie vor gebraucht werden: „Im Lockdown haben wir begonnen, unseren Lieferdienst statt mit Lieferando mit eigenen Fahrern zu organisieren.“ Ein Glücksfall, dass die Gerichte ohnehin auf den Außer-Haus-Verzehr zugeschnitten und der eigene Online-Shop für das Pick-up-Geschäft bereits vor Corona fix und fertig waren.

Seither sind die Mitarbeiter aus den Restaurants und dem Catering per E-Bike in Berlin und Hamburg unterwegs. „Im Sommer fanden die meisten das prima, jetzt im Winter halten sie tapfer durch“, lobt der Chef. Größere Lieferungen gehen auch mal mit dem Auto raus. Lockdown und Home Office führten zu einem Boom des Delivery-Kanals und so konnte Beets & Roots das weggefallene Catering-Geschäft mit seinem Lieferdienst kompensieren. „Allerdings“, gibt Tuffentsammer zu bedenken, „sind die Warenkörbe pro Bestellung im Catering natürlich in der Regel deutlich größer als beim Liefergeschäft, wo oft ein Fahrer mit einer Bowl unterwegs zum Kunden ist. Das ähnlich profitabel zu gestalten, war eine große Herausforderung!“

„Als Startup sind wir glücklicherweise seit der Gründung gewohnt, mehr oder weniger im Krisemodus zu operieren. Deshalb haben wir uns relativ schnell in der neuen Situation zurechtgefunden.“

Andi Tuffentsammer

Gründer und Geschäftsführer, Beets & Roots

Eigenes Tech-Team entwickelt digitale Tools

Gut, dass das unternehmensinterne, fünfköpfige „Tech-Team“ mit digitalen Tools für die optimale Routenplanung und die maximale Effizienz der operativen Abläufe sorgt. „Während der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Lieferplattformen waren pro Restaurant teilweise bis zu fünf verschiedene Tablets im Einsatz. Heute haben wir ein perfektes System mit voll integrierten Schnittstellen implementiert. Das Umschalten auf Delivery mit unserem eigenen Personal stand ohnehin auf der Agenda, sodass wir das relativ unkompliziert priorisieren und uns auf die coronabedingten Umstände einstellen konnten“, berichtet Tuffentsammer.

Das im Lockdown installierte und ausgebaute Delivery-Business wird für die Branche auch in Zukunft ein starkes Standbein bleiben, prognostiziert der Unternehmer, „allerdings langfristig nicht reichen.“ Eine Erkenntnis, die ihm viele Kollegen bestätigen: „Alle, die jetzt auf Lieferdienst setzen, sichern damit einigermaßen ihr Überleben. Aber für ein dauerhaft tragfähiges Multi-Channel-Geschäftsmodell brauchen wir ausgelastete Restaurants!“    

Beets & Roots
Beets & Roots
Beets & Roots

Krisenresistent und zukunftsfähig

Dieser technikgestützte Multi-Channel-Ansatz macht, davon ist Tuffentsammer überzeugt, Beets & Roots besonders krisenresistent und zukunftsfähig. Er sieht sein Unternehmen eher als „Food Tech-Company“ denn als reines Restaurant. „Die digitale DNA gehört zum Konzept. Alles, was wir brauchten, um unser Business im Lockdown aufrecht zu erhalten, war im Grunde schon vorhanden.“ Auch die Rückkehr zum Restaurant- und Catering-Geschäft während des Sommers verlief unproblematisch. Der zweite Lockdown war da fast schon Routine.

Als Gewinner der Krise mag er Beets & Roots trotzdem nicht uneingeschränkt bezeichnen. „Betriebswirtschaftlich gesehen gibt es vermutlich niemanden, der gewonnen hat. Aber wir gehören zu denjenigen, die nie komplett schließen mussten und in ihrem Weg bestärkt wurden. Unser Team wurde durch die Krise definitiv noch mehr zusammengeschweißt, weil wir gezwungen waren, gemeinsam Probleme zu lösen, die wir ohne Corona natürlich nie gehabt hätten.“

Beets & Roots

Investition in Expansion

An die Zukunftsfähigkeit des Konzepts glaubt auch Investor Comvest Holding,  eine private Beteiligungsgesellschaft mit Sitz in Berlin, die ihre Anteile an Beets & Roots im Mai 2020 demonstrativ erhöhte. Gemeinsam will man die Expansion der Marke dynamisch vorantreiben. „Klar, ein wenig ausgebremst hat uns Corona schon“, sagt Tuffentsammer. „Aber im Großen und Ganzen sind wir im Plan.“ Das Opening im Frankfurter Bahnhofsviertel soll im April stattfinden. Düsseldorf folgt, auch eine weitere Fläche in Berlin ist unterschrieben. „Zögern und abwarten liegen uns nicht. Wir sind 100-prozentig sicher, dass unsere Produkte weiterhin gefragt sind, egal, ob Lockdown herrscht oder nicht. Wir wollen diejenigen sein, die, wenn es wieder weitergeht, da sind“, unterstreicht Tuffentsammer selbstbewusst. „Unsere Mitbewerber schlafen nicht.“

Im Vergleich zu anderen Ländern sei der deutsche Markt für Healthy-Casual-Formate noch deutlich unterentwickelt, erklärt der Gründer. „Wir glauben auch daran, dass es kein ‚The-winner-takes-it-all‘-Markt ist, sondern der Kunde durchaus Unterschiede zwischen den einzelnen Anbietern registriert und danach seine Entscheidungen trifft. Deshalb ist es wichtig, sich kulinarisch und über die technische Komponente zu differenzieren.“ Als großen Vorteil sieht Tuffentsammer, dass bei Beets & Roots die Investorengelder nicht in die Kompensation operativer Verluste fließen, sondern in den Ausbau des digitalen Fundaments und das Flächenwachstum.

„Die Krise hat innerhalb der Branche ein großes Gemeinschaftsgefühl ausgelöst. Viele haben verstanden, dass es allen nützt, wenn wir gemeinsam kämpfen, Wissen teilen und voneinander lernen.“

Andi Tuffentsammer

Gründer und Geschäftsführer, Beets & Roots

Vermieter passen Preisvorstellungen noch nicht an

Erleichtert Corona das Wachstum, da aufgrund von Insolvenzen mehr Flächen zur Verfügung stehen? „Es tut sich was“, bestätigt Tuffentsammer. „Aber noch passen die Vermieter ihre Preisvorstellungen kaum an den veränderten Markt an. Die meisten halten an den hohen Mieten fest. Da muss sich etwas ändern. Früher oder später wird die neue Realität auch die Immobilienwirtschaft einholen!“

Skepisch ist Tuffentsammer, ob Corona in Zukunft Gründungswillige in der Gastronomie abschreckt oder inspiriert. „Aus meinem Bekanntenkreis höre ich vor allem, dass viele mit unternehmerischen Ambitionen der Branche plötzlich kritisch gegenüber stehen und es sich noch einmal überlegen. Aber vielleicht kommt es ja auch genau anders herum und die Krise setzt jede Menge Kreativität frei!“

Salat
Beets & Roots

Beets & Roots wurde 2016 von Sternekoch Andi Tuffentsammer und Betriebswirtschaftler Max Kochen gegründet. Motiviert vom Mangel an frisch zubereiteten und gesunden Lunch-Alternativen in ihrer Heimat Berlin und darüber hinaus wollten sie einen Anlaufpunkt für leckeres, saisonales und ernährungsbewusstes Essen schaffen. Auf der Speisekarte der aktuell sechs Restaurants in Berlin und Hamburg stehen international inspirierte Bowls, Salate, Wraps und Suppen – demnächst auch in Frankfurt und Düsseldorf. Gemeinsam mit Investor Comvest wollen die Gründer ihr Konzept in den nächsten Jahren in ganz Deutschland multiplizieren.