Sie bewundert starke, unangepasste Charaktere wie Pippi Langstrumpf und Udo Lindenberg. Und wie der „König von Scheißegalien“ macht auch Maria Groß am liebsten ihr eigenes Ding – konsequent, meinungsstark und dabei meistens fröhlich. Egal, was andere dazu sagen.
Deutschlands einst jüngste Sterneköchin hat sich im dörflichen Erfurter Stadtteil Bischleben ihr kleines Paradies geschaffen. Hier übernahm Maria Groß 2015 gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Matthias Steube die Bachstelze – kein Restaurant im üblichen Sinne, schon gar keines, in dem man Sterneküche erwarten würde. Vielmehr ein unkonventionelles Sammelsurium an Liebhaberstücken und Kuriositäten in einer verwinkelten alten Backsteinvilla über dem Flüsschen Gera, mit nostalgischem Charme, enger Stiege in den Gastraum im ersten Stock und einem kleinen Biergarten. Seit 1931 gibt es hier Gastronomie, doch spätestens nach der Wende versank das Anwesen im Dornröschenschlaf. „Trotzdem wusste ich sofort: Das ist ein Ort mit starker Energie und viel Potenzial“, erinnert sich Maria Groß an den Moment, als sie erstmals ein Bier im Garten des Lokals trank.
Mit der Bachstelze in Erfurt-Bischleben hat Maria Groß ein Konzept geschaffen, das ist wie sie selbst: bodenständig, leidenschaftlich und ein bisschen widerspenstig. Foto: Bachstelze
Adieu zur Sterneküche
Damals war die heute Vierzigjährige auf der Suche, hatte gerade das Engagement im renommierten Erfurter Kaisersaal mit dem Gourmet-Restaurant Clara beendet, der Sterneküche damit vorerst Adieu gesagt. Als man ihr die Bachstelze zur Pacht anbot, griff sie zu. Und schuf ein gastronomisches Konzept, das ihren Charakter bestens widerspiegelt: bodenständig, naturverbunden, leidenschaftlich, unkonventionell und manchmal auch ein bisschen widerspenstig. Auf jeden Fall anders als das Gros der deutschen Koch-Elite.
Dass sie heraussticht aus der Masse der kulinarischen Könner liegt vielleicht auch an ihrem ungewöhnlichen Werdegang. Behütet aufgewachsen in einer ostdeutschen Arbeiterfamilie, ist sie schon mit sechs Jahren Schlüsselkind. „Es war normal für mich, mir selbständig Brote zu schmieren und Rührei zu machen. Lebensmittel und ihre Zubereitung waren bei uns sowieso immer ein großes Thema. Wir essen alle sehr gerne!“
„In Deutschland muss man sich leider immer noch rechtfertigen, wenn man als Gastronom angemessene Preise verlangt. Für Autos, Kosmetik, Kleidung geben die Leute viel Geld aus. Das, was sie in ihren Körper aufnehmen, darf aber nichts kosten.“
Die Leidenschaft zum Beruf gemacht
Vor allem die Oma prägt sie als emotionale Bezugsperson, der Großvater vermittelt ihr die Liebe zur Natur und lehrt sie, ihre Umgebung bewusst zu erleben, zu erriechen und zu erschmecken. Als „Spätberufene“, wie sie sich selbst nennt, studiert sie jedoch zunächst in Leipzig und Berlin Philosophie und Germanistik, jobbt nebenbei als Köchin in einem Privathaushalt. Und findet dort heraus, wie viel Freude es ihr macht, Kartoffeln zu schälen und Klöße zu formen. „Das stresst mich überhaupt nicht, im Gegenteil“, stellt sie fest und fasst mit Mitte 20 den Entschluss, die neu entdeckte Leidenschaft zu ihrem Beruf zu machen.
Es folgen die Ausbildung im Berliner Restaurant Guy sowie Stationen in der Schweiz, darunter das Attisholz bei Sterne-Koch Jörg Slaschek und – bereits als Küchenchefin – im Hotel Mattiol in Zermatt. 2013 zieht es sie zurück in die Heimat. Als Küchendirektorin des Kaisersaals in Erfurt übernimmt sie die Verantwortung für das Restaurant Clara, den Luther-Keller sowie die Kochschule und das Bankettgeschäft für bis zu 1.000 Gäste. 2014 – mit gerade einmal 33 Jahren – adelt sie der Guide Michelin zur jüngsten Sterneköchin der Republik. „Anders als im Studium hatte ich beim Kochen plötzlich der Ehrgeiz, alles immer möglichst perfekt hinzubekommen“, sagt Maria Groß und gibt zu: Als Frau in einer Männerwelt reicht es nicht, sich mit Mittelmaß zufriedenzugeben.
Frauen müssen in der Küche besser sein
„Um sich in der Branche zu behaupten, müssen Frauen die Sprache der Jungs in der Küche lernen, sich an die dort herrschenden Gepflogenheiten anpassen, ohne sich unterbuttern zu lassen“, empfiehlt sie den Kolleginnen. Und: „Wer sich Respekt erarbeiten will, sollte erst einmal die Klappe halten, den Rhythmus des Restaurants und die Philosophie des Küchenchefs verstehen. Wenn die Kollegen merken, dass auf dich Verlass ist, bekommst du automatisch mehr Freiheiten und kannst eine eigene Sprache entwickeln.“ Als Frau in der Küche müsse man besser arbeiten als der beste Mann im Team, will man vorne dabei sein. „Aber“, räumt sie ein, „das gilt für Männer eigentlich genauso.“
Über die Gründe für ihren Abschied vom Kaisersaal spricht sie nicht gerne. Nur so viel: „Ich habe gelernt, mich von Menschen und Situationen zu trennen, die mir nicht guttun.“ Das erfordert Mut. „Aber ich versuche, ein sinnvolles Leben zu führen und kann deshalb keine Dinge tun, die ich als sinnlos erkannt habe.“ Sinn ergeben für sie Regionalität, Nachhaltigkeit, Qualität und Gastfreundschaft – Schlüsselbegriffe ihrer kulinarischen Philosophie, die sie in ihrer Bachstelze umsetzt. „Unsere Gäste, darunter überraschend viele junge Menschen, die lange für einen Besuch in der Bachstelze sparen, kommen buchstäblich zu uns nach Hause. Wir lassen sie ganz nah an uns ran. Das kostet viel Energie, die wir aber von ihnen mit viel Empathie zurückbekommen.“
Liebevolle Inszenierung
Bei diesem dreistündigen „Bachstelzen-Urlaub“ geht es denn auch nicht nur ums Sattwerden, sondern ebenso um die liebevolle Inszenierung von Gastronomie mit einer gesunden Mischung aus Kulinarik, Spaß und kulturellem Happening. Vieles, was das Konzept besonders macht, entstand aus Improvisation und Pragmatismus: „Dahinter steckt teilweise pure Personalnot”, verrät Groß. „Wir müssen Prozesse neu denken und umstellen, um unsere Abhängigkeit vom Mitarbeiter-Thema zu reduzieren, weil einfach keine Leute da sind.” Normalerweise steht Maria alleine am Herd, derzeit wird sie allerdings unterstützt vom britischen Kollegen Johnny, den sie in der Schweiz kennengelernt und nach Erfurt gelockt hat. „Seine Anwesenheit ermöglicht es mir, mehr auszuprobieren als wenn ich alleine arbeite und etwas einfacher koche.“ Den Service schmeißt Partner Matthias. „Notfalls können wir den Betrieb auch zu zweit aufrechterhalten“, sagt Groß, „dann nehmen wir eben weniger Reservierungen an.“
Aus Personalnot wurde unter anderem die seit Kurzem umgesetzte Idee geboren, Vorspeisen, Hauptgerichte und Desserts in Form eines Abendmahls zu servieren: Zehn bis zwölf Gänge werden nach Vorbild der levantinischen Küche sukzessive im Family Style kredenzt. Die jeweils rund 30 Gäste kommen alle zum selben Zeitpunkt und werden dicht beieinander platziert, ganz gleich, ob sie sich kennen oder nicht. „Zum Apéro empfangen wir sie draußen mit einem ersten kleinen Gericht, dann gibt es Brot, danach kommt alles nacheinander auf den Tisch, sobald es fertig ist“, erklärt die Köchin. Aus regionalen Zutaten der Saison kocht sie modern und spielerisch interpretierte Heimatküche wie zum Beispiel ein Ceviche von der heimischen Forelle. Die Preise liegen, abhängig vom Hauptgang, zwischen 70 und 90 € plus Getränke. Wasser – konventionell oder spirituell gefiltert – ist inklusive.
„Ich bewundere Menschen, die Schlimmes erlebt haben und es aus ihrer inneren Haltung und Kraft heraus trotzdem schaffen, immer weiter zu machen. Die innere Haltung unterscheidet die Erfolgreichen von den weniger Erfolgreichen.“
Tim Mälzer als Vorbild
Bei abendlicher Öffnung der Bachstelze von Mittwoch bis Samstag, einem Mittags-Seating am Sonntag und gelegentlichen Events und Kochkursen bleibt genügend Zeit für die medialen Engagements, mit denen es Maria Groß in den vergangenen Jahren zu einiger Bekanntheit gebracht hat. So duellierte sie sich mit Tim Mälzer in der Sendung Kitchen Impossible und ist als Jurorin bei der Küchenschlacht im Einsatz. Neben viel Spaß bringt die TV-Präsenz auch einen wichtigen Marketing-Effekt für das Restaurant weitab der Großstadt, für den sie ihrem „Entdecker“ Tim Mälzer dankbar ist. „Tim ist ein tolles Vorbild, weil er sagt was er denkt, und das sollten wir alle wieder lernen. Niemanden verletzten zu wollen, ist auf die Dauer viel gefährlicher, als ab und zu eine klare Meinung zu äußern.“
Der Aufwand für ihre Fernseharbeit werde allgemein überschätzt: „90 Prozent der Zeit können mich die Gäste hier live in Gastraum und Garten erleben. Falls die Putzfrau mal nicht kommt, auch in den Sanitärräumen!“, berichtet sie. Spricht jemand abfällig von den prominenten Kollegen, macht sie das wütend: „Fernsehköche werden manchmal buchstäblich degradiert und von Kritikern niedergemacht. Dabei ist es doch toll, dass hier Leute richtig Geld verdienen, obwohl sie ‚nur‘ als Koch begonnen haben.“ Es handele sich schließlich um Unternehmer mit sozialer Verantwortung für ihre Teams. „Das ist beschämend und vielleicht typisch deutsch.“
Mit Mann Matthias Steube macht Maria Groß in der Bachstelze in Erfurt-Bischleben ihr Ding: ein Konzept, das sich immer wieder wandelt, Neues ausprobiert und sich an die Umstände anpasst. Foto: Bachstelze
Gute Leute kommen nicht ins Nirgendwo
Aufregen kann sich Maria Groß auch beim Thema Fachkräftemangel. „Ausbeutung und schlechte Bedingungen haben die Gastronomie als Arbeitgeberbranche in den vergangenen Jahrzehnten nachhaltig ramponiert. Das müssen wir Jungen heute ausbaden. Und zu uns ins Nirgendwo kommen die guten Leute schon gar nicht, auch wenn wir einen sehr ordentlichen Stundenlohn zahlen. Deshalb ist es unser Glück, dass wir so klein und individuell sind und coole Gäste haben, die sich gerne darauf einlassen, wenn wir Dinge umstellen und anders machen.“
„Es müssten viel mehr Leute Jobs machen, die sie nicht stressen und sie glücklich machen! Dann wären sie nicht neidisch auf diejenigen, die mutig genug sind, frei zu leben.“
Bachstelze
Gründungsjahr 1931 als Ausflugslokal, seit 2015 betrieben von Maria Groß und Matthias Steube
Betrieb Restaurant mit 30 Sitzplätzen und Garten, geöffnet mittwochs bis sonntags, Dinner/Brunch im Family Style: 10-12 Gänge laufend serviert, thüringische Heimatküche, modern interpretiert; Events, Küchenpartys, Koch-/Grillkurse
Gleichzeitig bringt es die Power-Frau auf die Palme, wenn jemand sich vor der Arbeit drückt: „Leider werden in unserem politischen System die Fleißigen immer stärker belastet und zu wenig wertgeschätzt, während man die Faulen mit der sozialen Hängematte belohnt. So lange das so bleibt, bekommen wir in der Gastronomie keine Leute – egal, ob in Berlin-Mitte oder hier in Thüringen.“
So sehr die Gastronomin ihre Heimat liebt, ganz unkritisch sieht sie sie nicht. Ihre Marke „Maria Ostzone“ möchte sie als ein augenzwinkerndes Sticheln gegen den manchmal engen Horizont und rückwärtsgewandten Ost-Kult ihrer Landsleute verstanden wissen. „Die Bezeichnung ‘Ostzone’ war in der DDR nicht beliebt, sondern wurde uns von den Amerikanern verpasst. Insofern beinhaltet der Begriff durchaus eine politische Botschaft: Ich stehe für freies Denken, gegen Radikalität“, erklärt sie.
Frau, jung, aus dem Osten
Gleichzeitig ist Maria Ostzone ein klares Bekenntnis zu ihrer Herkunft und fasst als Marke ihr Profil prägnant zusammen: Frau, jung, aus dem Osten. „Da muss ich dann nicht mehr viel erklären.“
Ob sie Erfurt in Zukunft treu bleibt? „Keine Ahnung, wo ich in zehn Jahren bin!“, lautet die Antwort. An erster Stelle stehen für sie Gesundheit, Partnerschaft, Familie, Freiheit. Und das einfache Leben. „Mein Traum ist es, irgendwann einen Selbstversorgerhof im Nirgendwo zu haben. Und dort ab und zu Gäste mit selbst produzierten Lebensmitteln zu bewirten. Völlig unkommerziell und ganz nah am Zyklus der Natur.“
Dieser Artikel erschien zuerst in der AHGZ -Allgemeine Hotel- und Gastronomiezeitung. Fotos: Bachstelze
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.
Ich finde dich super.du hast das mundwerk ….bald wie ein Berliner .ja wier sind in Thüringen .komm aus Schmalkalden.und es war super dich im Radio heute zu Zuhörern es war einfach schön????????genial
GEQn