Das Start-up Too Good To Go aus Dänemark, 2015 gegründet und seit zwei Jahren auch in Deutschland aktiv, hat sich der Rettung von Lebensmitteln verschrieben. Ein Marktplatz für Surplus Food, massenhaft in Restaurants, Bäckereien, Supermärkten allabendlich als nicht mehr verkäuflich aussortiert. Mithilfe der TGTG-App können Konsumenten Übriggebliebenes zu Discountpreisen erwerben. Das kommt allen Beteiligten zugute, eine Win-Win-Konstellation. Bereits 7,3 Millionen User sind (Stand Januar 2019) europaweit registriert. Ein Beitrag von Marianne Wachholz.

Es ist ein Unding, dass weltweit rund ein Drittel aller erzeugten Lebensmittel im Lauf der Wertschöpfungskette schlicht abhandenkommt, sagt Mette Lykke, CEO von Too Good To Go aus Kopenhagen. Das sind mehr als 1,6 Mrd. Tonnen pro Jahr, 50 Tonnen in jeder einzelnen Sekunde. Und  entspricht einem Wertverlust von 1,2 Billionen Dollar, rechnen Forschungsinstitute vor. Anders gesagt: das kombinierte GDP von Dänemark, Norwegen und Schweden.

Ökologischer Schaden

Doch ums Geld geht es nicht allein. Hinzu kommt der ökologische Schaden: Food Waste verursacht schätzungsweise rund 8 % der globalen Treibhausgas-Emissionen. Und der soziale Aspekt. „Nach wie vor gehen fast 900 Millionen Menschen auf der Welt Tag für Tag hungrig zu Bett. Dabei wird nicht etwa zu wenig Essen produziert. Doch ein Großteil davon bleibt einfach auf der Strecke, wird ausgemustert, landet auf dem Müll.“

Food Waste: Statistiken belegen, dass zumindest in Europa weit mehr als die Hälfte der Verluste auf das Konto der letzten Stationen in der Wertschöpfungskette geht. Distribution, Verkauf, Haushalte. Hier setzt Too Good To Go an, genau an der Schnittstelle zwischen Einzelhandel und Gastronomie einerseits, Konsumenten andererseits.

„Too Good To Go ist vermutlich weltweit der größte Marktplatz für Surplus Food und manche sagen, das einzige CSR-Konzept, mit dem sich Geld verdienen lässt“, erklärt Mette Lykke, CEO des 2015 gegründeten Start-ups aus Dänemark. Zu TGTG kam sie per Zufall, ein Gespräch mit einer Mitreisenden im Bus. Und war sofort fasziniert von der erst wenige Monate alten Idee. Stieg postwendend ein ins Unternehmen, dann auch ins Team der fünf Initiatoren. Zuvor hatte Mette im Jahr 2007 gemeinsam mit Partnern eine Fitness-App namens Endomondo lanciert, ein durchschlagender Erfolg. 35 Millionen User sind ein Wort. Foto: TGTG

Die Hälfte des Food Waste entsteht beim Endverbraucher – auch in der Gastronomie. Grafik: TGTG

Gutes Essen, zu schade für die Tonne

Mette Lykke: „Alles begann mit einem Abendessen in einem Buffet-Restaurant. Am Ende verfrachtete die Restaurantleiterin die Reste in einen großen Plastiksack. Erklärte auf Nachfrage, das alles könne anderntags nicht mehr verkauft werden.“ So – off it goes! Betroffenheit rundum – schließlich war das doch alles gutes Essen, viel zu schade für die Tonne. Initialzündung für die Idee der fünf Gründer, Händlern und Gastronomen zu helfen, für ihre übrig gebliebenen Lebensmittel eine bessere, umweltgerechtere und überdies noch einträgliche Verwendung zu finden.

Bestellt wird über die TGTG-App. Hier erfährt der Kunde, wann er seine Box abholen kann. Foto: TGTG

Der Überraschungseffekt spielt bei jeder ‚Magic Box‘ eine wichtige Rolle. Foto: TGTG

Ordern, bezahlen, abholen

Wie? Wer nicht unbedingt Lust oder Zeit hat, abends ins Restaurant zu gehen, aber auch nicht selbst kochen mag, hat bekanntlich die Wahl: Lieferservice. Fertiggericht aus dem Supermarkt, schwupps in die Mikrowelle geschoben. Mitnahme im Vorbeigang beim PizzaDönerThai-Laden. Oder eben: Die TGTG App aufrufen. Seine Wahl treffen. Sushi, Italienisch, Asiatisch, Backwaren, sonst was. Ordern, online bezahlen, typischerweise mit mindestens 50 %, oft bis zu 70 % Nachlass. Hingehen und die Wundertüte in Empfang nehmen.

„Es geht immer darum, wie sich Verhaltensmuster ändern lassen. Das Belohnungsschema neu zu definieren. Bei TGTG spielte uns der Zeitgeist in die Hände. Und auch der rasante Fortschritt der technologischen Möglichkeiten.“ 

Mette Lykke

CEO, Too Good to Go

Denn das, sagt Lykke, gehört elementar zum Geschäftsmodell. „Die teilnehmenden Betreiber können ja nicht schon mittags absehen, was genau abends übrigbleiben wird.“ Also: Überraschung! Das sichert den Partnern Flexibilität. Für die Käufer ist es ein bisschen wie Weihnachten. Spannend. Was ist drin? Kuchen, Brot, Brötchen oder auch Törtchen, von allem etwas? Alternativ: Sushi, Nigiri, California Rolls?

In aller Regel seien die Kunden, den Rückmeldungen zufolge, positiv überrascht, so Lykke. Und der Rabatt-Effekt hilft auf jeden Fall, womöglich doch enttäuschte Erwartungen zu verschmerzen. Die Sache mit dem Excitement funktionierte jedoch auf Anhieb unglaublich gut. Die Kunden waren angetan und posteten reichlich auf allen Social-Media-Kanälen. „Das hat uns enorm geholfen.“

Auf dem Nachhauseweg noch schnell Lebensmittel retten. Das geht mit Too Good To Go aus Dänemark. Foto: TGTG

Mehr als 7 Mio. Mahlzeiten gerettet

Ende September letzten Jahres konnte Too Good To Go vermelden, dass seit dem Start insgesamt 7 Millionen Mahlzeiten abgerufen wurden. „Weniger essen, anders essen: Soll jeder selbst entscheiden. Wir möchten lediglich verhindern, dass aufwändig hergestellte Produkte Tag für Tag entsorgt werden.“ Wie es vielfach geübte Routine ist. Denk- und Verhaltensmuster zu ändern, funktioniert  in Sachen Food Waste wie überall nur über ein Belohnungssystem, sagt Mette. Das Schöne an TGTG, erläutert sie: Es gibt nur Gewinner. Dann fangen wir mal an.

Die Anbieter
  • Revenue. Statt Restbestände – nicht immer zum Nulltarif – zu entsorgen oder Charity-Organisationen zur Verfügung zu stellen, lässt sich mit den übrig gebliebenen Produkten ein wenn auch geringerer Umsatz generieren. Das kommt direkt der Bottom-Line zugute.
  • Marketing. Über die App lassen sich neue Kundenpotentiale erschließen, sofern die Produkte überzeugen.
  • Image. Schließlich punktet jeder Mitmacher, ob Restaurant, Bäcker, Hotel oder Einzelhändler, unter CSR-Aspekten. Einleuchtend: Allemal besser für die Umweltbilanz, wenn schon fabriziertes Essen am Ende nicht im Abfall landet. Das sorgt für Sympathie und findet über die TGTG-App und soziale Medien breite Resonanz.
Die Kunden
  • Selbstbild. Seinen Teil beizusteuern, um Essen vor dem Wegwerfen zu bewahren und damit letztlich was für die Umwelt zu tun, schafft – zumal dies inzwischen höchst positiv konnotiert ist – schlicht ein gutes Gefühl.
  • Emotion. Das magische Element der Überraschung beim Öffnen des Food-Pakets. Gerade in Zeiten, wo alles immer weniger dem Zufall überlassen ist, ein Glücksmoment. Aufregend – wie Geschenke auspacken oder Rubbellose!
  • Sparsinn. 50 bis 70 % Discount für bestes Essen, das eben noch deutlich mehr gekostet hat: ein guter Deal!
Der Provider
  • Ein Geschäftsmodell, das sich rechnet. Für jede Transaktion wird eine verträgliche Provision in der Größenordnung von einem Euro fällig – plus eine jährliche Servicegebühr von 39 Euro. Die Plattform wächst rasant. Und dürfte mittlerweile der größte Marktplatz für Surplus Food weltweit sein.
  • Ideeller Lohn. TGTG verfolgt eine Mission – die Bewahrung von Food-Ressourcen. Der wachsende Zuspruch zeigt, dass die Idee funktioniert und zielführend ist.

An Bord sind mittlerweile rund 16.000 Partnerbetriebe in neun Ländern Europas, darunter 2.500 in Deutschland, wo jede verkaufte TGTG-Box im Schnitt 3,50 € kostet. Monatlich kommen 1.000 neue Partner europaweit hinzu. Das Spektrum umfasst neben Bäckereien und Einzelhändlern etliche bekannte Namen der Systemgastronomie quer durch Europa – Yo!Sushi, Starbucks, Sushi Shop, Exki, Paul, Costa und mehr. Auch Accor Hotels oder Retailgrößen wie Carrefour und Delhaize. Sogar Michelin-Restaurants. In Deutschland sind beispielsweise Nordsee und dean&david dabei. Inzwischen beschäftigt TGTG mehr als 200 Mitarbeiter, waste warriors genannt. Auf der Nutzerseite wächst das Netz um 400.000 bis 600.000 Neuregistrierungen Monat für Monat, Tendenz steigend.

Nordsee: 24.000 Magic Bags pro Monat

Bereits seit einem Jahr kooperiert der europaweit führende Fisch-Systemgastronom mit Too Good To Go. Ein konsequenter Schritt: Schon seit Anfang 2017 hat Nordsee seinen Gästen eine halbe Stunde vor Ladenschluss alle fertig zubereiteten Gerichte und Snacks um 30 % günstiger angeboten, um unnötiger Lebensmittelverschwendung entgegenzuwirken. Eine Maßnahme, für die das Unternehmen vergangenes Jahr mit dem ‚Zu Gut für die Tonne‘-Bundespreis des BMEL ausgezeichnet wurde.

Immerhin landen allein in Deutschland jährlich rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll: Wertvernichtung im großen Stil. Mittels der TGTG-App kommt Nordsee dank deutlich erhöhter Reichweite dem gesetzten Ziel noch näher, wertvolle Ressourcen nicht unnütz dem Wegwerfen preiszugeben, sagt Robert Jung, Vorsitzender der Nordsee-Geschäftsführung. Beteiligt sind (mit Ausnahme der Betriebe auf den T&R-Raststätten sowie einer Handvoll Franchise-Stores) inzwischen nahezu alle rd. 320 Filialen in Deutschland, für Österreich ist der Start gemeinsam mit TGTG für Ende 2019 im Visier.

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300 t CO2 pro Jahr eingespart

„Die Produkte werden direkt aus dem normalen Verkauf genommen“, hält Dietmar Hoffmann fest, verantwortlich für das Qualitäts- und Nachhaltigkeitsmanagement bei Nordsee. „Im Januar letzten Jahres haben wir mit dem Test in einer Handvoll Filialen begonnen und sukzessive weitere Betriebe aufgeschaltet. Derzeit werden ca. 6.000 Portionen pro Woche zum Tagesende in unseren Filialen an TGTG-Gäste abgegeben.“ Macht rd. 24.000 im Monat. Erwartungen mehr als erfüllt: Gerechnet hatte man nach den ersten Erfahrungswerten systemweit mit 16.000 geretteten Portionen monatlich – was bereits einer Co2-Einsparung von 300 t im Jahr gleichkommt. „Insgesamt konnten wir im letzten Jahr 195.629 Essensportionen ‚retten‘ – wir sagen lieber: vor dem Entsorgen zum Feierabend sinnvoll an Gäste weitergeben“, so Hoffmann. Und was erwartet die Gäste? Wahlweise eine Snack-Box mit 3 Snacks wie Fischbrötchen, gemischte Salate oder auch Sushi, Kostenpunkt 2,90 €. Oder ein Meal (Hauptkomponente, Beilage und Sauce) für 3,50  € – was in der Regel einem Nachlass von mehr als 50 % entspricht.

Inhalt der Box richtet sich nach Verfügbarkeit

Das erfreut die Kunden und hilft den Filialen aus dem kostspieligen Dilemma, möglichst viele Produkte bis kurz vor Ladenschluss vorhalten zu müssen, obwohl es trotz aller Erfahrungswerte keine Garantie gibt, dass am Ende nicht doch manches übrig bleibt. Wieviel am Abend in jeder Filiale zur Verfügung steht, wird in der App zeitnah aktualisiert. Kunden ordern und bezahlen online per Paypal oder Kreditkarte und holen ihre Bestellung frühestens eine halbe Stunde vor Geschäftsschluss ab. Was genau jeweils drin ist in der Box, richtet sich nach der Verfügbarkeit. Soviel Flexibilität muss sein, damit die Sache für den Anbieter Sinn macht, und wird erfahrungsgemäß problemlos akzeptiert. Für jede verkaufte Box behält TGTG einen Euro ein. „Eine richtig tolle Sache“, urteilt Dietmar Hoffmann. „Nicht nur, dass wir qualitativ hochwertige Produkte vorm Feierabend abgeben können und nicht wegwerfen müssen, es macht allen Beteiligten Spaß und ist auch vollkommen unkompliziert, sowohl für unsere Gäste als auch für unsere Teams in den Filialen.“

Umweltbewusste Nutzer, viele Familien

Das Userprofil: Umweltbewusst. Meist weiblich. Und – zur Überraschung der Initiatoren: häufig Familien mit Kindern. „Wir hatten eher erwartet, dass wir es vorwiegend mit jungen Leuten zu tun haben würden, beispielsweise Studenten mit kleinem Budget.“ Doch der Sparfaktor steht, Erhebungen von TGTG zufolge, für die meisten User nicht an erster Stelle. Die große Mehrzahl der Befragten schätzt vor allem den Grundgedanken, Essen vor dem Wegwerfen zu bewahren.

Mette Lykke rechnet vor: „Typischerweise werden pro beteiligtem Store jeden Abend zwischen 5 und 20 Essenstüten verkauft. Kostenpunkt 2 bis 4 Euro. Macht im Schnitt, gehen wir pauschal von zehn verkauften Einheiten täglich aus, im Monat rund 900 Euro.“

Kannibalisierung ist kein Thema

Eine naheliegende Frage, die potentielle Partner immer wieder vortragen: Wird durch das abendliche Discount-Angebot nicht das eigentliche Geschäft unterminiert? Nach dem Motto: einfach abwarten und abräumen, statt den vollen Preis zu bezahlen? Nein, sagt Mette. Kannibalisierung sei aller Erfahrung nach kein Thema. Zu unterschiedlich die Beweggründe der Kunden. Stichwort Magic Bag!

Obendrein kaufen etliche TGTG-Besteller, einmal vor Ort, bei der Abholung auch noch das eine oder andere Zusatzprodukt – zum vollen Preis. Was der Frontfrau von Too Good To Go ganz wichtig ist: „Klar, wir sind binnen drei Jahren rasch voran gekommen und wollen weiter wachsen. Doch es geht um mehr:  andere inspirieren, Verbraucher wie Unternehmen. Eine Bewegung in Gang bringen. Jeder Verbraucher, jeder Akteur im Food-Markt sollte sich fragen, wie er der Verschwendung von Essen Einhalt gebieten kann. Zum Wohl unseres Planeten. Ob mit uns oder anderswie.“

dean&david: Fünf Fragen an Gründer & Geschäftsführer David Baumgartner

Wann ist dean&david bei TGTG eingestiegen?

Ab November 2017 haben die ersten unserer rund 90 dean&david Stores begonnen, an der Initiative teilzunehmen, seitdem nimmt die Zahl der teilnehmenden Stores rasch zu.

Was gab den Ausschlag?

Uns liegt es sehr am Herzen, aktiv etwas gegen Lebensmittelverschwendung zu tun, deshalb arbeiten wir mit Too Good To Go zusammen.

Was wurde vorher mit Food-Überschüssen der Restaurants angefangen?

Viele Stores haben bereits vor der Zusammenarbeit mit Too Good To Go einen ähnlichen Ansatz verfolgt. So wurden jeden Abend eine Stunde vor Ladenschluss Produkte rabattiert. Weil wir täglich frisch produzieren und so immer sehr genau planen können, fallen bei uns aber glücklicherweise sowieso nur kleine Mengen an Überschuss an.

Was kostet eine ‚Magic Box‘ bei dean&david?

Pro Box zahlt der Kunde 4,50 €. Davon geht ein überschaubarer Anteil an TGTG.

Wie sind die Erfahrungen mit TGTG bisher? Gibt es auch kritische Aspekte, Kannibalisierung zum Beispiel?

Nein! Wir sind sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit und erhalten viel Zuspruch seitens unserer Kunden. Lebensmittelverschwendung ist einfach ein Thema, das immer mehr Menschen immer wichtiger wird – zu Recht.

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