Astra Bier und St. Pauli – das gehört einfach zusammen. Weit über Hamburg hinaus ist steht die Marke synonym für Kiezkultur und Reeperbahn. Seit ein paar Wochen nun hat die Brauerei eine neue Heimat genau dort: In unmittelbarer Nähe ihrer einstigen Keimzelle, der Bavaria-Brauerei, eröffnete die Ende November die Astra-Braukneipe. Nachbarn und Nachtschwärmer finden hier seither einen Ort, der ebenso Kiez-Wohnzimmer wie Heimat für (Bier-)Kultur sein soll.
16 Jahre nachdem Astra seinen Ursprungsort, die Bavaria-Brauerei auf St. Pauli, verlassen hat, kehrt die Marke mit der Knolle auf den Kiez zurück. Mit sehr viel Liebe zum Detail gestaltet, bietet das Braugasthaus am Ende der Reeperbahn auf 760 qm rund 200 Sitzplätze für Bier-Fans und Liebhaber der nordischen Küche.
Shabby Chic und Kiez-Kultur: Das Astra-Brauhaus versteht sich als Wohnzimmer für Nachtschwärmer und Nachbarschaft. Fotos: Astra Brauhaus/Barbara Schindler.
Das Brauhaus verfügt über eine Kapazität von 1.400 hl pro Jahr, aus zehn Lagertanks und 20 Zapfhähnen fließen neben Astra Urtyp auch neue, vor Ort gebraute Craft-Bier-Sorten wie das ‚Luden-Lager‘ und ‚Inkasso IPA‘. Bier ist klar das Hauptbesuchsmotiv für die Gäste, steht für 80 Prozent der Getränkeumsätze. Zu den Bestsellern gehört wie in den meisten Craft-Bier-Kneipen das Tasting-Tray mit den fünf Standard-Sorten Astra im Probier-Format. Dabei will die Brauerei-Mutter Carlsberg auch herausfinden, welche Biere am besten ankommen: „Unsere Gäste sind sozusagen die ersten Tester unserer Biere“, erklärt Betriebsleiter Sven Gattermann. „Die erfolgreichsten Sorten werden sollen später auch in den Handel kommen.“
Bier-affine Speisekarte
Aber natürlich ist das Brauhaus nicht nur ein Test-Store für Craft-Bier. „Es geht vielmehr darum, die Marke zurück zu ihren Ursprüngen zu führen und erlebbar zu machen“, so Gattermann. Dabei steht neben Gerstensaft auch die Hamburger Küche im Fokus – Speisen kommen immerhin auf einen Umsatzanteil von knapp 30 Prozent des Gesamtumsatzes: „Wir wollen Labskaus, Pannfisch und Co. wieder auf die Reeperbahn bringen“, erklärt Gattermann. Die Speisekarte ist durchaus Bier-affin: von Bier-Suppe über Bier-Eintopf (‚Beer & Beef‘) bis hin zur Malzbier-Curry-Sauce auf der Wurst hat sich die Küche einiges einfallen lassen, um den Brauhauscharakter des Konzepts auch kulinarisch umzusetzen.
Das Wording der Speisen gibt sich ähnlich frech wie beim Bier: So kommen die Würste als ‚Currypeitsche‘ und ‚Kalkuttakalle‘ daher, das gegrillte Huhn heißt ‚Heiße Henne‘ und das Sauerfleisch mit Remoulade firmiert als ‚Sauer sucht Frau‘. Das Preisspektrum für Hauptspeisen reicht von etwa 10 bis 20 Euro, einzig die Steaks liegen leicht darüber. Hamburger Spezialitäten wie Heringssalat oder Fischfrikadelle werden außerdem im Tapas-Style angeboten: Drei Varianten kosten inklusive Treberbrot 11,90 €, fünf gibt’s für 17,90 € und sieben für 21,90 €.
Erster Brunch auf dem Kiez
Am Wochenende – und dazu zählt auf der Reeperbahn auch der Donnerstag – kann sogar bis spät in die Nacht im Astra Brauhaus gegessen werden: „Wir bieten bis 1 oder 2 Uhr kleine Speisen an“, so Sven Gattermann. „Dabei geht es vor allem darum, dass die Gäste das Restaurant nicht verlassen müssen, wenn sie spät noch Hunger bekommen.“ Von Freitag bis Sonntag ist das Brauhaus tatsächlich rund um die Uhr geöffnet. Sonntags können sich Nachtschwärmer, Fischmarktbesucher und Sexarbeiterinnen schon von 5 Uhr an für 15,90 € beim Brunch stärken – dem ersten Angebot dieser Art auf dem Kiez überhaupt.
Mit einigen Hotels in der Nachbarschaft hat man außerdem eine Frühstücks-Kooperation vereinbart: Gäste, die länger schlafen wollen, als das Hotelfrühstück verfügbar ist, können bei Astra vergünstigt mit Cerealien, Franzbrötchen, Marmelade, Fischplatten und warmen Gerichten in den Tag starten, bis um 15.30 Uhr wieder das reguläre Essensgeschäft beginnt. Rabatt bekommen übrigens auch die ‚Familienmitglieder‘ vom Kiez: Türsteher, Barleute und Prostituierte essen zum halben Preis.
Bier-Fans mögen’s fleischlastig
Mittags fungiert das Restaurant dann mit einem täglich wechselnden Lunch-Angebot in Büffet-Form für 8,50 € als Kiez-Kantine. Zur Auswahl stehen Suppen, Salate, Pasta und jeweils ein Hauptgericht. Bei aller Liebe zur nordischen Küche – Food-Bestseller sind auch bei Astra die Klassiker Burger, Schnitzel und Currywurst in verschiedenen Varianten. Klingt sehr fleischlastig. Keine Spur vom Veggie-Trend? „Natürlich haben wir auch fleischfreie Gerichte“, sagt Sven Gattermann, „aber mengenmäßig spielen sie keine große Rolle.“
Braumeister Jan Koch produziert im Astra Brauhaus auf dem Kiez zugängliche Bier-Stile wie Pale Ale oder Kellerbier, aber auch leicht verrückte und ungewöhnliche, das Deutsche Reinheitsgebot überschreitende Sorten, wie Honey Pepper Ale. „Das ist aber auch schon das Ausgefallenste, was wir machen. Viele Craft Brauer überfordern ihre Kunden. Dem Astra-Trinker möchten wir aber erst mal keine extremen Sorten zumuten, sondern uns zunächst eine eigene Position im Markt erobern.“ Alle Biere im Ausschank – außer Astra Urtyp – werden im Brauhaus hergestellt. Fremdbiere sind derzeit noch nicht am Hahn.
Kunst, Kultur und Tradition
„Bei dem ganzen Projekt ging es um Kunst, Kultur und Tradition“, hebt Konzeptentwickler und Mitgesellschafter Hubert Sterzinger hervor. „Astra will St. Pauli etwas zurück geben.“ So darf das auf dem Kiez obligatorische ‚Hinterzimmer‘ als Raum für private Events und Tastings ebenso wenig fehlen, wie Collagen und Werke Hamburger Künstler an den Wänden und Konzerte lokaler Bands. Auch das Thema Fußball findet überall im Restaurant statt, schließlich ist Astra Sponsor des FC St. Pauli. „Das Tolle ist: Hier kommen alle sozialen Schichten zusammen“, freut sich Sterzinger, dem vor der Eröffnung nach eigenem Bekunden „gar nicht klar war, welche Strahlkraft die Marke Astra in Hamburg und darüber hinaus besitzt.“
Egal, welcher Besuchsanlass – die Gäste finden in dem liebevoll designten Restaurant den passenden Sitzbereich. Vieles wurde ‚auf alt‘ gemacht, der vielerorts heruntergekommen Look der Reeperbahn stand Pate für einen ganz eigenen ‚Shabby Chic‘. „Jedes Detail hat eine Bedeutung. Alles greift Traditionen der Gegend auf – vom eingebauten Rolltor über die Originalstühle aus dem Millerntorstadion bis hin zu den Graffitis auf den Toiletten“, so Sterzinger.
„In mancher Hinsicht ist die Reeperbahn in den vergangenen Jahren zum Ballermann verkommen, die Amüsiermeile, wie man sie kannte, existiert nicht mehr“, bedauert Sven Gattermann. „Umso glücklicher sind die Nachbarn, übrigens auch die älteren, dass wir mit dem Astra Brauhaus wieder gastronomische Qualität und die Atmosphäre von früher auf den Kiez zurückbringen.“
Marken-Fans kommen von weither
Zwar kommt am Wochenende auch das Feierpublikum ins Brauhaus, „aber es mischt sich mit unseren Stammgästen und Anwohnern, die auch montags bis mittwochs da sind. Wir schaffen da wirklich einen tollen Spagat“, berichtet Gattermann. Die 200 Sitzplätze sind zu Wochenbeginn täglich ausgelastet, aber Wochenende locker mehrfach. Viele Gäste reisen tatsächlich wegen der Biermarke an: „Wir hatten schon Astra-Fans aus Gummersbach, die mit einem Auto vorfuhren, das von oben bis unten mit dem Logo beklebt war“, erzählt Sterzinger. Nicht wenige tragen die ‚Knolle‘ sogar als Tattoo.
Die hohen Sympathiewerte der Marke erleichtern angesichts der langen Öffnungszeiten gerade am Wochenende auch die Mitarbeitersuche – das Team umfasst immerhin inklusive Aushilfen rund 50 Köpfe. „Klar finden viele es cool, für Astra zu arbeiten“, sagt Gattermann. „Mindestens ebenso wichtig ist es aber auch, dass wir unsere Leute so sein lassen wie sie sind, sie nicht in ein enges Korsett pressen, jeden Satz vorgeben.“ Das zieht Menschen mit Persönlichkeit an, die wiederum schnell Beziehungen zu Stammgästen aufbauen. „Anders als in anderen Restaurants sind Tattoos hier auch eher erwünscht als verpönt.“
Mehr St. Pauli kann ein norddeutsches Brauhaus eigentlich nicht sein. Und so hat sich Astra binnen Kurzem seinen Platz im Kiez (zurück-)erobert. Multiplikation in anderen Städten? Nicht ausgeschlossen …
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.
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