Eint nicht nur ihre Liebe zu gutem Bier: Thomas A. Vilgis, Robert Glaab und Simon Horn diskutierten beim Kulinarischen Streitgespräch in Frankfurt über Bierkultur Fotos: Barbara Schindler
Ausgerechnet in der Apfelwein-Stadt Frankfurt widmete sich die Gesprächsrunde beim 6. „Kulinarischen Streitgespräch“ der Frage, ob Deutschland angesichts sinkenden Bierabsatzes bei gleichzeitig wachsender Zahl an (Craft-Bier-)Brauereien eine neue Bierkultur braucht. Auf dem Podium: Professor Thomas A. Vilgis, seines Zeichens Physiker und Aromenexperte, Brauereibesitzer Robert Glaab aus Seligenstadt und Simon Horn, Inhaber des Frankfurter Restaurants Margarete. Zu streiten hatten die drei allerdings wenig, denn im Grunde war man sich einig: Die neue Craft-Bier-Kultur ist auf jeden Fall eine Bereicherung für die deutsche Bierkultur!
Biermarkt in der Krise
Der deutsche Biermarkt ist seit Jahren in der Krise: Um -2,5 % ging der Ausstoß im vergangenen Jahr zurück auf 92,6 Mio. hl. So viel tranken allein die Westdeutschen in den Jahren vor der Wiedervereinigung! Gleichzeitig stieg die Zahl der Brauereien von rund 1.350 im letzten Jahrzehnt auf heute etwa 1.500. An mangelnder Vielfalt kann die Biermüdigkeit der Deutschen also nicht liegen. Woran denn dann? „Die großen Industriebiere sind für die Konsumenten einfach nicht mehr interessant“, sagt Robert Glaab, der die kleine, aber traditionsreiche Brauerei seiner Familie im hessischen Seligenstadt in den vergangenen Jahren entschlossen modernisiert hat.
Seither macht er mit kreativen Suden wie beispielsweise einem Grüne-Soße-Bier von sich reden. „Wir haben kürzlich ein sehr hopfenbetontes Pils gebraut – so etwas kennen die Leute heute gar nicht mehr, weil die großen Brauereien den Hopfenanteil immer weiter reduziert haben.“ Angesichts der überragenden Marktmacht der ‚Großen‘ bleibe den kleinen Brauereien gar keine andere Wahl, als Bier mit ausgefallenen Aromen wieder ’sexy‘ zu machen.
Reinheitsgebot schränkt Aromen ein
Mit Professor Thomas Vilgis war Glaab sich einig, dass das viel gepriesene Deutsche Reinheitsgebot die Aromenvielfalt des Bieres einschränkt. „Wenn dann noch immer weniger Hopfen verwendet wird, schmeckt irgendwann alles gleich.“ Überhaupt, das Reinheitsgebot: „Wenn die Verwendung von PVPP zur Haltbarmachung erlaubt ist, aber andere, aromatisierende Zusätze für mehr Geschmack nicht, stimmt doch etwas nicht“, so Simon Horn. „Kunststoff wie PVPP ist kein Lebensmittel – und ein sehr geringer Teil bleibt immer im Bier zurück.“ Der Gastronom plädierte dafür, auch Biere außerhalb des Reinheitsgebots zuzulassen, ohne dass die Bezeichnung ‚Bier‘ verboten sei. „Leider tun sich die Behörden hierzulande schwer damit.“Toh
Thomas A. Vilgis: „Das Reinheitsgebot ist deutsches Kulturgut und wichtig für die Verbraucher. Aber es sollte auch Ausnahmen geben.“
Professor Thomas A. Vilgis ist Physiker und forscht unter anderem zu physikalischen Aspekten des Essens. Sein Buch ‚BeerPairing‘ erschien 2017 im Fona Verlag. http://www.mpip-mainz.mpg.de/person/23189/2301
Simon Horn führt seit 2012 gemeinsam mit Raffaela Schöbel das Frankfurter Restaurant Margarete. Als Küchenchef entwickelt er Klassiker und Neuheiten liebevoll fort. www.margarete-restaurant.de
Robert Glaab ist Geschäftsführer von Glaab’s Bräu, der ältesten noch bestehenden Brauerei Südhessens. Mit Bieren wie ‚Grie Soß“ setzt er sich für mehr Bier-Vielfalt ein. https://glaabsbraeu.de
Kann Craft-Bier den Deutschen wieder Lust auf Bier machen? Schon bei der exakten Definition, was denn nun Craft-Bier sei, taten sich die drei Experten erwartungsgemäß schwer: „Auf jeden Fall geht es um handwerklich gebrautes Bier, bei dem der Braumeister jederzeit eingreifen kann, Bier, das eine Handschrift hat und sich genau deshalb schon nicht industriell herstellen lässt.“ Auch eine geringere Haltbarkeit und dass es eben nicht immer gleich schmeckt, zeichneten Craft-Biere aus.
Robert Glaab: „Bier ist ein Naturprodukt – warum muss es 18 Monate haltbar sein?“
Ob nur kleine Brauereien Craft-Bier brauen können? „Einerseits hat das ja nichts mit der Größe zu tun, in den USA gibt es viele Craft-Bier-Brauereien, die enorme Mengen machen. Ihnen geht es um die Rohstoffe und die Philosophie dahinter“, wandte Glaab ein. „Andererseits: Schauen Sie sich die Craft-Bier-Versuche der großen deutschen Brauereien an? Die sind überwiegend gescheitert.“
Man genießt wieder Bier
Der Craft-Bier-Bewegung sei es zu verdanken, dass der Stellenwert des Gerstensaftes in der Gastronomie wieder zugenommen habe, berichtete Simon Horn. „Man genießt wieder mehr und die Gäste fragen häufiger nach, sind interessiert.“ Und die höheren Preise? Werden die akzeptiert? „Die Leute verstehen schon, dass Craft-Bier wegen der hochwertigen Zutaten und handwerklichen Herstellung teurer sein muss“, so Horn. „Was fehlt, sind gute, leicht zugängliche Biere zwischen den Industrie- und Craft-Bieren, die auch diejenigen bestellen, denen ein Craft-Bier schlicht zu teuer ist.“
Kleine Brauereien müssten mehr verlangen
„Wir sind eigentlich noch zu günstig, müssten 4-5 € pro Kasten über den Industriebieren liegen“, widersprach Glaab. Leider sind solche Preise im deutschen Handel schwer durchsetzbar. Thomas Vilgis beobachtet hier jedoch Veränderung: „Die Wertigkeit steigt langsam. Wir müssen weg von der Kastenkultur mit 20 Flaschen von einer Sorte: Warum nicht gemischte Kästen anbieten, sodass der Kunden verschiedene Biere ausprobieren kann?“
Das kulinarische Streitgespräch
Das nächste kulinarische Streitgespräch findet am 29. Oktober 2018 im Restaurant Oinotheke im Frankfurter Nordend statt. Thema: „Unser täglich Brot – Stirbt ein unverzichtbares Handwerk oder ist es längst obsolet?“
Informationen und Anmeldung:
Craft-Bier wird seine Nische finden
Es sei außerdem nicht zu erwarten, dass die in der Craft-Bier-Szene gehypten ‚Aroma-Bomben‘ irgendwann die Massenbiere verdrängen. „Das ist wie bei der Molekularküche: Sie wurde hochgepriesen, nur wenige haben sie überhaupt probiert, aber sie hat vieles, was heute gekocht wird, beeinflusst und schließlich ihre Nische gefunden. So wird es beim Craft-Bier auch sein“, ist Vilgis überzeugt.
Simon Horn: „Die Gäste mögen es, wenn die der Gastronom etwas einfallen lässt.“
Für die Gastronomie biete Craft-Bier jedenfalls viele Chancen, ist Horn sicher: „Die Gäste mögen es grundsätzlich, wenn man sich etwas ausdenkt, neue Dinge – wie beispielsweise Beer Pairings – tut. Leider geben einem nur die wenigsten die Carte Blanche, um sie zu überraschen. Aber: Die, die es tun, haben bei uns am meisten Spaß!“ Robert Glaab beklagt, dass vor allem die Sternegastronomie noch viel zu wenig Wert auf gutes Bier lege. „Bei den Weinen müssen es die besten Winzer sein. Beim Bier die Brauerei, die am meisten Werbekostenzuschuss zahlt.“
Vertreter der großen Brauereien waren übrigens eingeladen. Leider war keiner bereit, mitzustreiten.
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.