Frankfurt ist ihre Stadt. James und David Ardinast sind hier geboren und aufgewachsen. „Ich möchte nirgendwo anders leben als in Frankfurt“, sagt David, der immerhin schon in London und Berlin gewohnt hat. Auch James ist nach Studienjahren in den USA gerne wieder in die Heimat zurückgekehrt: „Frankfurt ist Vielfalt, Kontraste, Reibung. Gastronomisch hat die Stadt für mich – pro Kopf gerechnet – eine extrem hohe Qualitätsdichte, auch wenn sie in Sachen Trends manchmal etwas hinterherhinkt. Und die Barszene ist sowieso einzigartig in Deutschland.“

Deutlicher kann eine Liebeserklärung kaum ausfallen. Die kleine Metropole am Main hat die Brüder geprägt – und umgekehrt. Seit mehr als 15 Jahren gehören sie hier zu den führenden Gastronomen, haben wesentlich dazu beigetragen, dass sich das berüchtigte Bahnhofsviertel vom rotlichtigen Problembezirk zur angesagten Ausgehdestination mit einigen der spannendsten Restaurants der Stadt gewandelt hat.

Foodie-Familie

Dabei sollte eigentlich alles ganz anders kommen – und war doch irgendwie vorgezeichnet. Essen und Gastronomie spielten in der Familie Ardinast immer schon eine große Rolle. „Unser Vater – ein echter ‚Foodie‘, als es den Begriff noch gar nicht gab – ging leidenschaftlich gerne essen: von Currywurst bis Sternegastronomie“, erinnert sich James. „Wir durften mitkommen – unter der Bedingung, dass wir uns gut benehmen.“ Und so saßen die

Das Fine Dining-Konzept Stanley Diamond mitten im Frankfurter Bahnhofsviertel spielt mit Kontrasten: Hier sollen sich alle wohlfühlen, die Vielfalt und hohe kulinarische Kunst schätzen. Foto: Steve Herud

Jungs schon in frühester Jugend regelmäßig artig in Restaurants und speisten, was die Großen aßen.

Unternehmerisch war die Familie ebenfalls seit Generationen in der Gastronomie aktiv. Das Gastgeber-Gen wurde gründlich weitervererbt, sodass auch die Warnung des Großvaters, bloß eine andere Karriere einzuschlagen, verhallte: Zwar führte der Weg beider Brüder zunächst in die Werbung, erste eigene Projekte lancierten sie in der Mode- und Musikbranche, verstanden sich als Lifestyle-Unternehmer. Doch eines Tages rief James den Bruder an: „Hast du Lust, mit mir ein Restaurant zu eröffnen?“

Multidimensionale Konzepte

David zögerte nicht lange und so ging 2002 die heute legendäre IMA Multibar an den Start: ein gar nicht so geheimer, vielmehr stets gut besuchter Geheimtipp in Frankfurts Gastro-Szene. Eine „Multibar“? „Ja, ein multidimensionales Konzept, das sich nicht nur auf Gastronomie beschränkte, sondern ebenso Events, unser Modelabel und unsere Schmuckkollektion einschloss“, erklärt James. Gelegen in einer wenig frequentierten Seitenstraße der berühmten Feinkostmeile „Fressgass“, mit gerade mal 30 Sitzplätzen, mexikanisch inspiriertem, gehobenem Fast-Food, Live-Musik und einer wachsenden Community, die das Aus für den Laden nach zehn Jahren – der Mietvertrag wurde nicht verlängert – lange betrauerte.

Mit der Schließung wurden bei den Brüdern Ressourcen und Energie frei für neue Ideen, darunter IMA Kitchen, eine der ersten Better-Burger-Bars Frankfurts, und das Chez IMA im 25hours-Hotel im Bahnhofsviertel. „Dass wir einmal ein Hotel-Restaurant machen würden, hätten wir uns nie träumen lassen“, berichtet David. „Aber das Angebot war spannend, also haben wir zugegriffen.“ Auch, weil sie erkannten: Hotelgastronomie ist ein Zukunftsthema, bei dem sich in den nächsten Jahren sehr viel bewegen wird. Der Plan, die Aufmerksamkeit der Frankfurter auf die versteckte Location im anrüchigen Bahnhofsviertel zu lenken, ging auf.

In ihrem jüngsten Konzept Bar Shuka kombinieren die Ardinast-Brüder ihre jüdischen Wurzeln mit Frankfurter Spezialitäten in der Atmosphäre eines israelischen Markts. Foto: Steve Herud

IMA als Dachmarke

Namensgebend blieb zunächst IMA, das hebräische Wort für ‚Mutter‘, das heute nur noch als Dachmarke für die unternehmerische Welt der Ardinasts fungiert. Einerseits eine Hommage an ihre eigene Mutter Toni, andererseits aber auch Sinnbild für die gastronomische Philosophie der Brüder. „Schon in unserer Anfangsphase als Gastronomen haben wir das ‚Mütterliche‘, sprich: das mit Liebe und Fürsorge Hausgemachte des Konzepts betont, Rezepturen mit Müttern aus verschiedenen Kulturen erarbeitet.“ Was zunächst aus dem Bauchgefühl heraus entstand, wurde später zum Marketing-Tool und willkommenen Anlass für authentisch-unverkitschtes Storytelling, das den Nerv der Frankfurter auf Anhieb traf. „Alles, was heute so angesagt ist – von Regionalität bis hin zu traditionellen Zubereitungsmethoden wie dem Fermentieren – geht ja irgendwo auf die Idee der ‚Mutter‘ zurück“, betont James.

„Wir funktionieren zu zweit als Marke. Nur zusammen ergeben wir ein Ganzes.“

David Ardinast

Gastronom

Als Geschäftspartner, die sich ihr ganzes Leben lang kennen, attestieren sich die Brüder gegenseitig uneingeschränkte Vertrauenswürdigkeit und blindes Verständnis, auch wenn es durchaus mal Meinungsverschiedenheiten gibt. Dabei profitieren sie von ihren zahlreichen Ähnlichkeiten ebenso wie von ihrer Unterschiedlichkeit. Während David – etwas zurückhaltender, vorsichtiger, strukturierter – die operative Führung der Betriebe und des Personals verantwortet, kümmert sich James als kommunikationsstarker, extrovertierter und begeisterungsfähiger „Außenminister“ um die Realisierung neuer Ideen und Business-Felder. „Wir funktionieren zu zweit als Marke. Nur zusammen ergeben wir ein Ganzes. Oft fahren wir zusammen irgendwo hin und haben denselben Gedanken, diskutieren die Möglichkeiten miteinander und währenddessen wächst etwas – oder es stirbt manchmal auch“, berichtet David. „Vieles passiert nach wie vor aus dem Gefühl heraus.“

Die Multi-Kulti-Küche Tel Avivs aus regionalen Zutaten: Im Bar Shuka gehören Teilen und Kommunikation zum Konzept. Foto: Steve Herud

Gemeinschaftssinn und Gastfreundschaft

Ebenso prägend für ihr Selbstverständnis als Gastgeber wie das Wertesystem der Eltern war das Aufwachsen in Frankfurts jüdischer Gemeinde: „Gemeinschaftssinn und Gastfreundschaft haben in unserem Umfeld immer schon eine sehr wichtige Rolle gespielt. Beide sind die unabdingbare Grundlage für unsere auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Restaurants.“ Im Maxie Eisen, benannt nach einem Chicagoer Mafioso der 1920er Jahre, gibt es nach Meinung vieler das beste Pastrami Frankfurts. Vom Stanley Diamond – Pate stand ebenfalls ein amerikanischer Gangster-Boss – schwärmt der Guide Michelin „Qualitätsprodukte, fachkundig zubereitet: einfach ein gutes Essen!“ und der Gault Millau vergibt 15 Punkte. Mit dem im vergangenen Jahr im 25hours-Hotel installierten neuen Konzept Bar Shuka setzen James und David auf die aktuell schwer angesagte ‚Balagan‘-Küche aus Tel Aviv. Angeschlossen ist die wie ein „Speak-Easy“ anmutende Shuka Bar. Auch in der in der Lobby des Hotels führen die Ardinasts gastronomisch Regie: Von der Kaffeebar ‚Bomba‘ aus bringen sie ihre jüngst lancierte eigene Kaffeemarke gleichen Namens ins Gespräch.

„Fressgass‘ kann jeder!“

Damit decken die Betriebe der „Culinary Entrepreneurs“, wie sie sich selbst nennen, die gesamte konzeptionelle Bandbreite von Coffeebar über Fast Casual-Street Food und Tel Aviv-Cuisine im Mittelpreissegment bis Contemporary Fine Dining ab. „Das Verbindende aller Konzepte sind wir. In jedem Laden findet man ein Stück von uns. Wir zitieren sehr viel aus unserer Kindheit, unsere eigenen Gastro-Erlebnisse“, erklärt James. „Der ruhig-gediegene Rückzug und das hochwertige Essen zu vergleichsweise erschwinglichen Preisen im Stanley Diamond entsprechen David und mir genauso wie die quirlige Lebenslust im Bar Shuka.“

Auf Gäste, die ihre Restaurants aufgrund der Nähe zu Drogenszene und Bordellen meiden, verzichten sie gerne, wünschen sich aber mehr Aufmerksamkeit für das im Bahnhofsviertel offensichtliche Elend wachsender Teile der Bevölkerung.

Der israelische Spitzenkoch Yossi Elad kreierte die Gerichte im Bar Shuka. Gemeinsam mit ihm zeichnen die Brüder auch für die Konzeption des neuen Restaurants Joseph in Berlin verantworlich. Foto: Steve Herud

Das Bahnhofsviertel als Labor

„Hier herrscht das echte Leben, wird nichts beschönigt. Und es ist ein Labor, in dem man sehen kann, wie unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen könnte!“ Immer wieder als „Gesichter der Gentrifizierung“ gescholten, setzen sie sich aktiv für eine Lösung der Drogenproblematik ein und wollen gleichzeitig „alles tun, damit das Viertel sein Flair und seine Vielfalt behält.“ Gastronomie sei schließlich eine Plattform, die unterschiedlichste Menschen zusammenbringt. „Deshalb sind wir im Bahnhofsviertel genau richtig. Es steckt so viel Potenzial drin, und ebenso viele Herausforderungen. Aber genau das reizt uns, denn: Fressgass‘ kann jeder!“

Wichtiger Mittelpunkt des Bar Shuka: die offene Küche. Nicht selten ‚eskaliert‘ die Stimmung im Restaurant, wenn die nahöstliche Lebensfreude bei den Gästen durchschlägt. Foto: Steve Herud

Aktuelle Wachstumspläne? „Wir sind eigentlich sehr zufrieden, wie es gerade ist“, sagt David. Unternehmerische Ausflüge nach Berlin und fast auch Hamburg sind vorerst abgehakt, obwohl es immer wieder Anfragen gibt. „Zurzeit konzentrieren wir uns darauf, in die Tiefe zu arbeiten, setzen auf Qualität, Nachhaltigkeit und Regionalität. Dazu passt ein lokal-kompaktes Unternehmen besser als ein bundesweit expandierendes.“

Nische statt höher, schneller, weiter

Statt sich in immer mehr Betrieben zeitlich und kräftemäßig aufzureiben, bauen die Brüder lieber den Geschäftsbereich Catering und Events zu einer Agentur aus, bieten außerdem Beratung und Konzeptentwicklung für andere Gastronomen und Hoteliers an. „Dort besteht viel Bedarf, gleichzeitig können wir uns dabei kreativ austoben, ohne hinterher die Läden selbst führen zu müssen“, erklärt James. Eine bewusste Entscheidung gegen ein Kompromisse erforderndes ‚Höher, Schneller, Weiter‘ und für die Nische.

„Das Verbindende aller Konzepte sind wir. In jedem Laden findet man ein Stück von uns.“

James Ardinast

Gastronom

Diese erwachsene unternehmerischen Haltung ist auch Ergebnis eines Reifeprozesses: „Wir finden immer mehr heraus, was wir wirklich machen wollen, was wir können und was nicht. Gerade in einer Zeit, in der sich die Welt und die Branche rasant verändern, lehnen wir uns momentan ein wenig zurück und beobachten erst einmal, wohin die Reise geht, ohne jedoch Dinge auszuschließen“, fasst David den Status quo der IMA-Welt zusammen.

Starkes Brüderpaar: James und David Ardinast beweisen, dass Familienbande für den unternehmerischen Erfolg unverzichtbar sein können.  Foto: Lott and Fuentes

Gast- und Menschennahe Philosophie

Den eigenen Weg zu gehen, ist den Brüdern wichtig, sowohl bei Konzepten als auch bei Partnerschaften. Die „IMA-Clique“ als Community aus Geschäftsfreunden, treuen Gästen und Mitarbeitern ist das Herzstück ihrer IMA World. Bloß nicht irgendwann in den eigenen Laden kommen und den Namen des Barkeepers nicht mehr kennen! „IMA steht weiterhin für die gast- und menschennahe Philosophie unserer Anfangsjahre, das wird sich auch nicht ändern“, erklärt David. Denn: „James und ich, wir sind IMA.“

Dieser Text erschien zuerst in der Juli-Ausgabe 2019 der Fachzeitschrift Fizzz