Die wie immer bestens informierten Meinungsmacher sind sich einig: Der Gin-Hype ist vorbei. Das war’s, weiter zum nächsten Trend-Getränk. Tatsächlich? Die Zahlen sagen etwas ganz anderes: Denn der vielseitige Wachholderschnaps verkauft sich nach wie vor bestens – das gilt nicht nur für die Standard-Ware, sondern auch und gerade für Premium-Produkte ab einem Wert von 20 Euro. Rund 400 deutsche Gins begeistern Fans des Trendgetränks mit außergewöhnlichen Aromen und mitreißenden Geschichten. Gefragt sind Authentizität und Abwechslung.

„Die Kunden sind bereit, für Nachhaltigkeit und Qualität mehr Geld auszugeben“, erklärt Vanessa Schwan vom Fach-Blog ginvasion.de. Da viele Gin-Trinker ständig auf der Suche nach neuen Sorten und Aroma-Kombinationen sind, sehen Experten zwei starke Trends: die Verwendung regionaler Zutaten und eine Rückkehr zu klassischen Rezepturen und Verfahren bis hin zu purem Gin-Genuss. „Es findet zurzeit eine Rückbesinnung auf das statt, was hier in Deutschland wächst“, beobachtet Bar-Profi Stephan Hinz. „Dabei geht es zunehmend darum, das Beste aus dem Rohstoff, angefangen mit hervorragendem Wasser, herauszuholen. Dann brauche ich auch nicht Dutzende Aromen. Manchmal ist weniger mehr.“

Gin-Markt in Deutschland

Für 2019 erwarten die Marktforscher für Gin in Deutschland ein Umsatzvolumen von 128 Mio. Euro, 2021 sollen es bereits 149 Mio. Euro sein – mehr als dreimal so viel wie 2014! Das entspräche einem jährlichen Umsatzwachstum von 8 Prozent, auch dadurch hervorgerufen, dass der durchschnittliche Preis pro Einheit von 11,64 Euro im Jahr 2014 auf aktuell 16,63 Euro gestiegen ist und bis 2021 weiter auf 18,08 Euro klettern soll.

Regional, authentisch

Je weniger Inhaltsstoffe im Einsatz sind, desto außergewöhnlicher liest sich manche Zutatenliste, denn natürlich geht es den Brennereien auch darum, sich mit einzigartigen, häufig regionaltypischen Botanicals zu profilieren. Das Spektrum reicht von Fenchelsamen und Heublume in Lantenhammers Bavarka über Fichtennadeln im Needle Gin von Bimmerle bis hin zum Braumalz und Hallertauer Aromahopfen im Ettaler 1596.

Oder Schrödingers Katzen-Gin mit Katzenminze, einem Kraut, das laut Hersteller Heidelberg Spirit „nicht nur Katzen euphorisiert“ und dem im Pot-Still-Verfahren mit klassischen Botanicals in Bio-Qualität wie Wachholder und Koriander, Kardamom, Zitronenthymian, Basilikum und handgepflückten Heidelbeeren destillierten London Dry Gin eine einzigarte Note verleiht. Der Fantasie der Brenner sind buchstäblich keine Grenzen gesetzt. „Es gibt sogar völlig abgefahrene Sachen wie den Wagyu-Gin mit echten Fleisch- und Rauch-Aromen“, weiß Kennerin Vanessa Schwan.

Produkte mit Geschichte und Herkunft

Doch nicht jedes unerwartete Gewürz garantiert auch Erfolg beim Konsumenten. „In den vergangenen Jahren wurde viel mit den exotischsten Botanicals herumexperimentiert“, erklärt Windspiel-Gründer Denis Lönnendonker. „Das war zum Teil sehr spannend und sicherlich auch häufig passend.“ Ihm persönlich fehle allerdings oft der Zusammenhang: „Uns ist deshalb neben konstant hoher Qualität vor allem Kontinuität wichtig und der Bezug der Produkte zu ihrer Geschichte und Herkunft.“

Wie der komplett handwerklich hergestellte Windspiel sind unter den inzwischen rund 400 deutschen Gins vor allem diejenigen erfolgreich, die glaubwürdig sind und Identifikationsmöglichkeiten bieten – und zwar zu nachvollziehbaren Preisen! „Niemand braucht überteuerten Designer-Gin oder Geschichten vom Gin-Rezept-Fund auf dem Dachboden!“, weiß Björn Bochinski, Geschäftsführer des Prütt-Gin-Herstellers Kaffee Gin Münster.

Mehr als eine schöne Flasche

„Nur eine schöne Flasche oder eine gute Story allein reichen nicht mehr“, betont auch Tim Kalbhenn, in Bremen nicht nur als Fachhändler, sondern auch als Produzent von Mitnig-Gin aktiv. „Die Produkte müssen authentisch sein und zu allererst nach Wachholder schmecken. Früchte oder Beeren können den Gin unterstützen, dürfen aber nicht im Vordergrund stehen!“ Sein Mitnig richtet sich deshalb an alle Konsumenten, die eine klassische Wacholder-Aromatik mit raffiniert abgestimmten Botanicals wie Koriander und Citrus bevorzugen.

Qualität und Handwerk

Neben Originalität und Unverwechselbarkeit geht es auch um Transparenz. Immer mehr Verbraucher wollen wissen, ob hinter einem Gin tatsächlich eine individuelle Brennerei steht oder ob unter White Label produziert wird. „Wer nur eine Marke mit beliebigem Inhalt vertreibt, der wird ausgelistet. Für uns ist das eine großartige Entwicklung“, berichtet Hannes Schmidt, Geschäftsführer von Boar Gin, der feststellt, dass Handwerk wieder wertgeschätzt wird. „Als Familienbrennerei mit 175-jähriger Brenntradition können wir uns am Markt mit exzellenter Qualität behaupten.“

Dr. Moritz Dimde, Geschäftsführer der Sauerland Distillers in Lüdenscheid, ergänzt: „Solche Gins kommen dem aktuellen Trend, pur zu trinken, entgegen: Nur was ‚ohne alles‘ schmeckt, kann man auch zu wirklich guten Longdrinks und Cocktails mixen. Die Verwendung eines Fillers ist nur ein Add-on und darf nicht erst zur Genießbarkeit führen.“

In diesem Frühjahr stellte das Unternehmen mit dem Navy Strength ein Produkt mit einem Alkoholgehalt von 57,15 Prozent vor. „Aus zahlreichen Gesprächen mit den besten Bartendern der Welt haben wir gelernt, dass Gins mit einem höheren Alkoholgehalt die Aromen der Botanicals noch besser herauskitzeln und Cocktails den entsprechenden Boost geben.“

Storys emotional aufladen

Mit ihrem Von Hallers Gin ist auch die Göttinger HWAG schon früh auf den Trend nach regional verwurzelten Gins aufgesprungen. Die Botanicals werden ausschließlich im botanischen Garten der Universitätsstadt angebaut und geerntet. „Durch den Verweis auf den Botaniker Von Haller, dem Gründer des botanischen Gartens, erhält unser Gin zusätzlich eine emotional aufgeladene Story“, sagt Marc Kerger, Director Marketing & Ontrade Sales.

„Auch die Nachfrage nach alkoholfreien Gin-Alternativen ist ein Kundenbedürfnis, das für uns als Hersteller interessant ist.“

Thomas Weinberger

Marketingleiter, Lantenhammer

Stark regional verankert ist auch Brenner Gabriel Grote mit seinem Spree Gin, Berlins erstem Bio-Gin mit Spreewaldgurken vom Demeter-Hof Landgut Pretschen und Botanicals wie Lavendelblüten, Pomeranzenschalen und Süßholzwurzeln. „Unser Gin ist eine flüssige Liebeserklärung an die Hauptstadt“, unterstreicht Grote. „Der industrielle Einheitsbreit ist immer weniger gefragt. In der Branche trennt sich derzeit die Spreu vom Weizen.“     

Abwechslung ist das A und O, um auch Noch-nicht-Gin-Trinker zu erreichen. Stichwort: Pink Gin, Flavoured Gins und Mixes wie Rhabarber- oder Kaffee-Gin. „Hier kommen noch immer neue, spannende Produkte auf den Markt“, beobachtet Katharina Schwarze, Marketing Director der Schwarze Schlichte GmbH. Mit seinem Friedrichs Dry Gin setzt das Unternehmen auf seine 250-jährige Wachholderexpertise, abgerundet durch einen leichten Akzent von Koriander. „Damit bieten wir sowohl Geschichte als auch Geschmack und können ein bestehendes Gin-Sortiment sehr gut ergänzen.“

Zufälle und Spinnereien

Wie gut Wachholder und Kaffee zusammenpassen, beweisen die Macher von Prütt Gin gemeinsam mit der Feinbrennerei Sasse schon seit 2017: „Kaffee ist eine Nische innerhalb der immer weiter wachsenden Botanicals-Welt“, erklärt Bochinski. „Letztendlich entstand das Produkt aus vielen Zufällen und Spinnereien, die zu einem tollen Ergebnis geführt haben.“ Und das Nachahmer findet: So erweiterte Birgitta Schulze van Loon ihr Portfolio an ‚Piekfeinen Bränden‘ mit dem Gin Triple Peak – Brown Label. Speziell feingeröstete Espressobohnen aus Peru geben ihm seinen besonderen Charakter. Haselnuss und Pfefferminz rund das Kaffeearoma ab. 

Limitiert und saisonal

Saisonale und limitierte Sondereditionen sorgen so für zusätzliche Abwechslung und Kaufanreize. „Gerade im Sommer sind Gins mit Zitrusnoten oder auch Passionsfrucht nach wie vor sehr gefragt, weil sie sich wunderbar für fruchtige Cocktails eignen“, verrät Bloggerin Vanessa Schwan. Positives Feedback verzeichnet die Brennerei Berliner Brandstifter aktuell für ihren auf 1.599 Flaschen limitierten Aged Gin, der mehrere Monate in Rotweinfässern aus Eichenholz reift. „Die dezente Rotweinnote harmoniert hervorragend mit dem Zusatz von schwarzen Johannisbeeren. Trotz seines Alkoholgehalts von 50,3 Prozent schmeckt er sehr mild“, hebt Marketing Managerin Dorothea Szota hervor.

Die Windspiel-Gründer Denis Lönnendonker und Sandra Wimmeler haben sich für ihren Distillers Cut auf die Spuren des Alten Fritz begeben, der einst nicht nur den ‚Kartoffelbefehl‘ gab, sondern auch den Anbau von Maulbeerbäumen förderte. Für die auf 1.444 Flaschen limitierte Edition verfeinerten die Brenner die Aromen ihres Premium Dry Gin durch eine fruchtige Note von frischen Himbeeren und Weißen Maulbeeren.

Alkoholfreie Alternativen

„Auch die Nachfrage nach alkoholfreien Gin-Alternativen ist ein Kundenbedürfnis, das für uns als Hersteller interessant ist“, sagt Thomas Weinberger, Marketing-Leiter bei Lantenhammer. Dem Trend zu farbigen Gins kommt das Unternehmen mit der Blue Edition des neuen Josef Gins entgegen, bei dem blaue Schmetterlingsblüten auf bayrische und klassische Botanicals wie Heublumenblüten, Hopfendolden, Holunder- und Wacholderbeeren, Zitronen- und Orangenschalen treffen. 

Angesichts der Vielfalt kreativer deutscher Gins stehen Gastronomen und Bartender vor der Frage, wie viele und welche Varianten ins Sortiment gehören und welche Cocktails sich daraus mixen lassen. „Der Gin muss zum Konzept und zur Klientel passen“, sagt Dr. Moritz Dimde. Gin Tonic bleibt der Renner, weshalb Marc Kerger zu einer ausreichenden Vielfalt bei den passenden Fillern rät. In puncto Cocktails empfiehlt Windspiel-Gründerin Sandra Wimmeler, hochwertige Gins nur für klassische Drinks zu verwenden, bei denen ihr Geschmack nicht von zu vielen oder zu intensiven anderen Komponenten überdeckt wird. Gabriel Grote wünscht sich mehr Experimentierfreude, zum Beispiel mit Tonic Sirups. „Wichtig ist der ständige Austausch mit den Gin-Genießern“, hebt Thomas Weinberger hervor. „Gin-Fans sind, ähnlich wie Whisky-Liebhaber, sehr an Informationen zu den einzelnen Gins interessiert.“

Spannende Diversität

Grundsätzlich gilt für Tim Kalbhenn: „Ein Gastronom muss einen guten Mix im Regal haben, immer wieder kleine Exoten entdecken und die Gäste damit überraschen.“ Heißt: Wer klassische mit modernen Gins kombiniert und auch regionale Produkte anbietet, macht nichts falsch, denn, so fasst es Björn Bochiniski zusammen: „Seine Diversität macht Gin so spannend und das ist es ja, was die Verbraucher so an ihm lieben.“

Dieser Artikel erschien zuerst in der Aprilausgabe der Fachzeitschrift Fizzz

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