Der Klimawandel setzt die landwirtschaftlichen Lieferketten zunehmend unter Druck. Bei immer mehr Unternehmen aus Industrie und LEH fällt das Konzept der Regenerativen Landwirtschaft deshalb auf fruchtbaren Boden. Für die Lebensmittel Zeitung haben wir uns die Regenerative Landwirtschaft und ihr Potenzial einmal vor Ort angesehen.

„Das ist der Rotklee!” Jenja Kronenbitter pflückt schwungvoll einen Stengel von der die Leguminosen-Untersaat aus einem Haferfeld im saarländischen Blieskastel. „Leguminosen sind ganz tolle Pflanzen für die Landwirtschaft”, schwärmt die Projektmanagerin beim Global Nature Fund und erklärt auch gleich, warum: „Weil sie viel Stickstoff – ein wichtiger Nährstoff für die Pflanzen – aus der Luft im Boden fixieren können. Sie sorgen gleichzeitig für eine verbesserte Unkrautunterdrückung. Außerdem haben wir nach der Haferernte sofort eine Bodendeckung. Darüber hinaus ist der Rotklee für viele Insekten eine wichtige Nahrungsquelle. Leider werden Leguminosen, anders als in der Biolandwirtschaft, im konventionellen Anbau nur noch selten verwendet”, bedauert die Biologin und Agrarökologin. 

Bis 2030 soll die Hälfte der wichtigsten Rohstoffe aus regenerativer Landwirtschft kommen 

Kronenbitters Publikum sind an diesem Tag Journalisten verschiedener regionaler Medien, sogar Vertreter von Spiegel, Handelsblatt und Die Welt sind auf Einladung von Nestlé Deutschland angereist, um sich dort über Regenerative Landwirtschaft zu informieren, wo sie bereits stattfindet. Hier im Biosphärenreservat Bliesgau präsentiert der Konzern der Presse seine Initiativen und Aktivitäten zur Senkung der CO2-Bilanz in seiner Lieferkette. Der Ort ist nicht zufällig gewählt: Mehr als 70 Prozent der Emissionen des Unternehmens entstehen in der Landwirtschaft – vor allem bei der Produktion von Milch, Fleisch, Weizen, Ölen und Fetten sowie Kaffee. Das soll sich ändern, man hat sich ambitionierte Ziele gesetzt: Bis 2025 will Nestlé 20 Prozent und bis 2030 die Hälfte seiner wichtigsten Rohstoffe aus regenerativer landwirtschaftlicher Produktion beziehen. Zum Vergleich: 2022 waren es 6,8 Prozent.  

Regenerative Landwirtschaft

⇐ Nützlinge als biologische Schädlingsbekämofer s0llen durch Regenerative Landwirtschaft angezogen werden  Foto: Barbara Schindler

Grüne Null bis 2050

Bis 2025 investiert der Konzern deshalb international 1,2 Mrd. Franken, um Projekte der Regenerativen Landwirtschaft in seiner Wertschöpfungskette zu fördern, Landwirte beim Umstieg auf entsprechende Methoden finanziell zu unterstützen und wissenschaftliche Forschung zu ermöglichen. Auch externe Dienstleistungen wie Marktforschung und Kommunikationskonzepte sind Teil der Strategie. „Wir haben einen soliden Fahrplan für die Erreichung der Grünen Null bis 2050 und die Regenerative Landwirtschaft ist hierbei ein wichtiger Aspekt“, bekräftigt Alexander von Maillot, Vorstandsvorsitzender Nestlé Deutschland, die Entschlossenheit, jetzt schnell zu handeln. 

4-Promille-Strategie soll menschengemachte Treibhausgasemissionen kompensieren

Regenerative Landwirtschaft – der Begriff elektrisiert die Lebensmittelbranche derzeit ebenso wie Politiker in vielen Ländern. US-Präsident Joe Biden machte im vergangenen Jahr 22 Mrd. US-Dollar für entsprechende Programme locker – die größte Summe, die die US-Regierung bisher in das sogenannte „Smart Farming” investiert hat. Frankreich verfolgt seit der Weltklimakonferenz 2015 in Paris die globale Strategie „4 Promille“ zur höheren organischen Kohlenstoffbindung in Böden durch verbesserte landwirtschaftliche Praktiken. Der Name verweist auf die Annahme, eine zusätzliche Speicherung von weltweit jährlich 4 Promille mehr CO2 im Boden könne die aktuell durch den Menschen verursachten Treibhausgasemissionen weitgehend kompensieren. Und auch für Deutschland kommt die vom NABU beauftragte Studie der Boston Consulting Group „Der Weg zu regenerativer Landwirtschaft in Deutschland – und darüber hinaus” zu dem Ergebnis, dass die Transformation schnellstmöglich von allen Beteiligten vorangetrieben werden sollte, um den Ausstoß klimaschädlicher Gase im Agrarsektor zügig zu senken und mehr CO2 im Boden zu binden.  

„Wenn wir bei den angrenzend wachsenden Kulturpflanzen einen Schädlingsbefall haben, sind die Nützlinge schon vor Ort, halten die Schadschwelle niedrig und wir brauchen keine Insektizide“

Jenja Kronenbitter

Projektleitertin, Global Nature Fund

Verbesserung der Bodengesundheit

Doch was heißt Regenerative Landwirtschaft konkret? Eine allgemein gültige Definition, Standards oder gar ein einheitliches Siegel zur Orientierung für die Verbraucher gibt es bisher nicht, was von Kritikern ebenso bemängelt wird, wie noch fehlende wissenschaftliche Überprüfungen der Wirksamkeit der Methoden. Im Fokus stehen Maßnahmen zur Verbesserung der Bodengesundheit, zum Schutz und zur Förderung der biologischen Vielfalt, des Wasserkreislaufs und der integrierten Viehhaltung. Diese sollen in landwirtschaftlichen Böden – zum Beispiel durch den zusätzlichen Anbau von Zwischenfrüchten oder die Etablierung von Agroforstsystemen – mehr Humus entstehen lassen, wodurch in Deutschland laut Thünen-Institut pro Jahr im besten Fall etwa 5 Mio. Tonnen Bodenkohlenstoff zusätzlich gebunden werden könnten – das entspricht in etwa dem CO2-Fußabdruck von 460 000 Bundesbürgern. 

Regenerative Landwirtschaft

Nestlé lud im Sommer zum Ortstermin am Acker: Alexander von Maillot, Jenja Kronenbitter, Marius Kuhlmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und  Felix Jakobsen, CCO Klim, (v.l.) gaben Auskunft zu den Projekten der Regenerativen Landwirtschaft, die der Konzern unterstützt. Foto: Nestlé

20 Kilogramm Rotklee pro Hektar

Was Regenerative Landwirtschaft in der Praxis bedeutet, weiß Richard Schreiner. Ihm gehört der Acker, an dem sich das Grüppchen um Jenja Kronenbitter versammelt hat. Als Partner des auch von Nestlé unterstützten EU-LIFE-Projekts „Insektenfördernde Regionen” hat er hier im Frühjahr 20 Kilogramm Rotklee pro Hektar ausgesät. „Es stehen weniger Pflanzen pro Quadratmeter, der Bestand ist laut seiner schönen grünen Färbung gut mit Nährstoffen versorgt – diese dürfte der Rotklee liefern”, analysiert der Landwirt. Gedüngt hat er das Feld in diesem Jahr nicht, auch Pflanzenschutzmittel kamen keine zum Einsatz. Und die üppig sprießenden Disteln? „Die mähe ich noch ab bevor sie aussamen, dann kommen sie nicht wieder”, beruhigt Schreiner. 

Verzicht auf den maximalen Ertrag

Ist der Hafer geerntet, bleibt der Rotklee zwei Jahre als Futterpflanze stehen und sorgt dafür, dass dank des nährstoffreichen Humus die Folgekulturen ohne mineralische Düngemittel auf dem angereicherten Boden wachsen können. „Früher war man froh, als man die Erntemengen steigern konnte”, sagt Schreiner. „Heute haben wir genügend Lebensmittel – was dazu geführt hat, dass wir glauben, dass immer alles verfügbar sein muss.” Für ihn ergibt der Verzicht auf den maximalen Ertrag zu Gunsten gesünderer Böden und weniger CO2 in der Atmosphäre Sinn – unter einer Voraussetzung: „Alle Futterpflanzen, die wir in den Projekten anbauen, bedingen, dass wir alle auch Tiere haben.” Heißt: Ohne Milchviehhaltung ist die Arbeit mit Grünland oder Leguminosen wirtschaftlich nicht möglich. Auf Bio umstellen will Schreiner nicht. „Aber das hindert mich nicht daran, Maßnahmen für mehr Bodengesundheit und weniger Düngelmitteleinsatz umzusetzen.”    

Regenerative Landwirtschaft: Können wir mit dem, was wir essen, die Welt retten, Herr Steffens?

Der Wissenschaftsjournalist und Moderator Dirk Steffens erreicht mit seinen Fernsehsendungen ein Millionenpublikum. Jetzt hat er ein Buch geschrieben, in dem es um die Zukunft der Landwirtschaft und der Ernährung geht. Auf der Buchmesse 2023 hat er es vorgestellt:

Dirk Steffens Eat it

D. Steffens, M. Göring: Eat it! Die Menscheit ernähren und dabei die Welt retten. 224 S.,  Penguin Random House, ISBN 978-3-328-60321-4

Regenerative Landwirtschaft als Lösung

Was ist schlimmer? Eine gigantische, hochmoderne Rinderfarm mit computergesteuerter Kuh-Kühlung in der Wüste Saudi-Arabiens, auf der die Tiere zumindest die Möglichkeit haben, nach draußen zu gehen (auch wenn es dort sehr heiß ist)? Oder Massentierhaltung mit Anbindehaltung, bei der die Kühe fast ihr ganzes Leben angekettet auf einem Fleck verbringen, wie sie in Deutschland immer noch vielerorts die Regel ist? In ihrem kürzlich erschienenen Buch „Eat it“ setzen Dirk Steffens und Marlene Göring die Fakten der globalen Nahrungsmittelproduktion ins Verhältnis und gehen der Frage nach, wie wir als Konsumenten durch unsere Entscheidungen dazu beitragen können, dieses System zukünftig so zu gestalten, dass Tiere, Umwelt und Klima weniger leiden.

Dabei plädieren auch sie für eine Landwirtschaft, die nicht als Feindin der Natur auftritt, sondern als Komplizin – bei der Bodengesundheit, dem Artenschutz und der Lebensmittelproduktion. Ihr Appell: mehr Wertschätzung für unsere Nahrung! „Verbote und Sanktionen bringen sehr wahrscheinlich weniger als Genuss und mehr Freude am Essen“, so das Fazit der Autoren. „Dann streiten wir vielleicht auch nicht so viel darüber, wer sich richtig oder falsch ernährt oder wer die beste Lösung hat.“

Kompensationszahlungen für die Landwirte

Damit Landwirte wie er trotz reduzierter Anbauflächen keine finanziellen Einbußen verkraften müssen, unterstützen immer mehr Unternehmen aus Lebensmittelindustrie und -handel ihre Lieferkettenpartner nicht nur mit Know-how, sondern auch mit Kompensationszahlungen. „Wir können viel über Responsible Sourcing sprechen, haben dort auch schon große Erfahrung bei der Beschaffung von Kaffee, Kakao, Palmöl und Tomaten, geben seit Jahren Orientierungshilfen für unsere Lieferpartner aus”, erklärt Anke Stübing, Head of Creating Shared Value bei Nestlé Deutschland. „Aber entscheidend ist die praktische Umsetzung. Erfahrungsgemäß rechnet sich die Umstellung auf Regenerative Landwirtschaft für die Bauern nach drei bis fünf Jahren. Unsere Herausforderung als Industrie ist es, sie auf dem Weg dorthin zu begleiten.”

„Wir haben einen soliden Fahrplan für die Erreichung der Grünen Null bis 2050 und die Regenerative Landwirtschaft ist hierbei ein wichtiger Aspekt“

Alexander von Maillot

Vorstandsvorsitzender, Nestlé Deutschland

Hitze und Dürre kosten Milliarden

Dabei geht es ganz konkret um die Sicherung der Existenzen und Lieferketten von Industrie und LEH. Hitze und Dürre kosteten den deutschen Landwirtschaftssektor in den Jahren 2018 und 2019 aufgrund von Ernteausfällen 7,8 Mrd. Euro. Gleichzeitig ist die industrielle Landwirtschaft in Deutschland für rund 8 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die Regenerative Landwirtschaft könnte die Lösung für beide Herausforderungen sein, da sie einerseits durch weniger Düngemitteleinsatz Emissionen vermeidet und gleichzeitig CO2 aus der Atmosphäre im Boden speichert, wodurch dieser resilienter gegenüber Extremwetterereignissen wird. Für die Lebensmittelindustrie und den LEH verringere dies die Risiken in der Lieferkette in Jahren mit wetterbedingten Versorgungsengpässen, zum Beispiel Dürreperioden, um bis zu 50 Prozent, heißt es in der Studie von NABU und BCG. 

Regenerative Landwirtschaft

Die Studie kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass für die Bauern mit Regenerativer Landwirtschaft sogar eine mittel- bis langfristige Gewinnsteigerung von bis zu 60 Prozent gegenüber konventionellen Methoden möglich ist – anders als im ökologischen Landbau, der in der Regel mit einem Rückgang des Ertrags einhergeht und diesen über höhere Preise kompensieren muss. 

Die Nützlinge sind schon da

Im Bliesgau zeigt Jenja Kronenbitter inzwischen einen Blühstreifen in einem weiteren Haferfeld. „Hier haben wir testweise eine spezielle Blühmischung mit 13 besonders attraktiven Arten für Nützlinge gesät – das sind Insekten, die gerne Schädlinge fressen, zum Beispiel Florfliegen, deren Larven Blattläuse lieben. Das heißt, wenn wir bei den angrenzend wachsenden Kulturpflanzen einen Schädlingsbefall haben, sind die Nützlinge schon vor Ort, halten die Schadschwelle niedrig und wir brauchen keine Insektizide”, erläutert die Projektleiterin das in der Schweiz entwickelte Konzept. Die größte Herausforderung sei, berichtet Kronenbitter, die Landwirte dazu zu bringen, ihre über Jahrzehnte angewachsenen Ackerschläge wieder in kleinere Felder zu teilen und besagte Blühstreifen zu integrieren.

Mehr Mitstreiter sind notwendig

„Wir sind froh, dass wir ein attraktives Modell gefunden haben, mit dem wir Landwirte für das Projekt gewinnen konnten.” Doch es seien noch mehr Mitstreiter beim Kampf für Biodiversität und Bodengesundheit notwendig. „Wir brauchen nicht nur eine Vielfalt an Arten, sondern eine Potpourri an Maßnahmen, Multiplikatoren und Kommunikatoren, die die Landwirte überzeugen, die Maßnahmen bezahlen und das Wissen um die Vorteile der Regenerativen Landwirtschaft verbreiten.” Schließlich gehe es dabei um Wissen, über das noch vor wenigen Jahrzehnten jeder Landwirt verfügt habe. „Was früher aus der Erfahrung als richtig erkannt wurde, können wir heut dank modernster Technologien wissenschaftlich belegen”, bestätigt Kronenbitter.

„Kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf“

Felix Jakobsen is COO des deutschen AgriTech-Startups Klim, das Landwirte, Unternehmen und Verbraucher zusammenbringt, um die Regenerative Landwirtschaft schnellstmöglich zu verbreiten, CO2-Emissionen nachhaltig zu reduzieren und Bodengesundheit sowie Biodiversität zu verbessern. Im exklusiven Interview erklärt er, welche Vorteile die Regenerative Landwirtschaft im Vergleich zu Bio hat, welche Fortschritte hier zu erreichen sind und wie die Verbraucher erkennen können, dass ein Produkt aus regenerativer Landwirtschaft stammt. 

Regenerative Landwirtschaft

Richard Schreiner jedenfalls wirkt ganz zufrieden: „Wir müssen abwarten, ob die Nützlinge tatsächlich reichen, um die Schädlinge zu bekämpfen”, ist der Landwirt verhalten optimistisch. „Wichtig wird in Zukunft ein ausreichendes Monitoring sein, mit dem wir überprüfen können, ob der Aufwand, den wir und Nestlé betreiben, gerechtfertigt ist.”