Die beiden Münchner Gastronomen Moritz Meyn und Wolfgang Hingerl sind für ihre eat local, drink natural-Konzepte in München für den Rolling Pin Award nominiert. Wir durften die Mural-Macher vor einigen Monaten für die Fizzz porträtieren. Ein guter Anlass, für eine erneute Veröffentlichung der Geschichte über ein kongeniales Unternehmer-Duo, das sich sich scherzhaft als „Yin und Yang“ bezeichnet – als Ping-Pong-Spieler, deren doppelte Schlagkraft Projekte im Wechselspiel der Ideen voranbringt und die sich nicht nur mit ihren komplementären Stärken bestens ergänzen, sondern auch viel gemeinsam haben.  

Da ist auf der einen Seite Meyn, 36, Absolvent der Frankfurt School of Finance and Management, mit seinem Faible für einzigartige gastronomische Konzepte, die sich glaubwürdig vom Mainstream abheben, Nachhaltigkeit ernst nehmen und Dinge „einfach besser machen“. Der nach dem Studium mit Partnern eine kleine Burrito-Kette gründete, bald merkte, dass ihn Systemgastronomie langweilt und ausstieg. Der dann nach München ging, wo er unter anderem in der Schwabinger Kneipe „Isses“ mitmischte.

Sein Gegenüber: der vier Jahre jüngere Hingerl, der schon mit 17 Jahren parallel zum Abitur Vollzeit bei Lutter & Wegner und in der Sternegastronomie jobbte, deren Qualitätsansprüche verinnerlichte, sich ein beeindruckendes Weinwissen anlas. Der mit Anfang 20 im Farm-to-Table-Restaurant Cantine Cantona Betriebsleiter und für sechs weitere Konzepte der Gruppe leitend mitverantwortlich war und dafür sein BWL-Studium schmiss. Kurz: zwei leidenschaftliche Gastgeber mit hohem unternehmerischen und kulinarischen Sachverstand, die sich in der Münchner Gastronomie-Szene immer mal wieder begegneten – und von den Leistungen des jeweils anderen fasziniert waren. 

Bar Mural
Keimzelle der erfolgreichen Zusammenarbeit: die Kopper Bar, heute Mural Bar.

Junger Esprit, echtes Talent

Als Meyn in der Theresienstraße seine Kopper Bar eröffnete, wollte er Hingerl unbedingt dabei haben. Der aber mochte nicht mehr nur Teil eines Teams sein, sondern gleichberechtigt sein eigenes Ding machen. Das Angebot, im Münchner Street Art-Museum MUCA die Gastronomie zu übernehmen, war die Gelegenheit, ihre Vorstellungen gemeinsam in die Tat umzusetzen: Im ehemaligen Umspannwerk der Stadt München eröffneten sie 2018 das Mural. Unter der Küchenleitung von Joshua Leise landete das Restaurant bereits nach wenigen Wochen auf der Anwärter-Liste für einen Michelin-Stern und erhielt diesen 2020 auch – „junger Esprit und echtes Talent“, jubelten die Kritiker. Der Gault Millau vergab auf Anhieb 15 Punkte.

Mural Restaurant

Besser, einfacher, sinnvoller

Die Mural-DNA lässt sich mit dem Leitsatz „eat local – drink natural“ zusammenfassen und setzt, wo immer es geht, auf saisonale Produkte aus der Region sowie Weine, die so naturbelassen wie möglich an- und ausgebaut werden. „Wir definieren es als unsere Aufgabe, das maximal Beste aus den Zutaten herauszuholen“, sagt Hingerl, den das Farm-to-Table-Prinzip als „Junge vom Land“ schon immer überzeugt hat.

„Besser, einfacher, ökologisch sinnvoller. Dabei entstehen tolle Gerichte, die gar nicht teuer sein müssen. Wir sind nicht dogmatisch, aber nehmen diesen Anspruch durchaus ernst.“ So gibt es beispielsweise im Mural keine Salzwasserfische, Zitronen, Pfeffer oder Vanille von weiter weg aber schon. „Uns ist wichtig zu wissen, woher etwas kommt. Produkte aus der Nähe sind nicht immer unbedingt die besten“, erläutert Hingerl.  

„Unser kompromisslos nachhaltiger Ansatz, der charmant-unkonventionelle Service und ein lockeres Mindset machen Fine Dining für eine neue Klientel attraktiv“, berichtet Meyn. „Gerade junge Leute wollen heute wissen, wo die Produkte herkommen und ob sie sie mit gutem Gewissen genießen können.“ War der Stern von Anfang an geplant? „Geplant vielleicht nicht, aber durchaus ein Ziel am Horizont.“ Verbiegen wollte man sich dafür aber nicht. „Weiße Tischdecken passen nicht zu uns und man hört bei uns definitiv keine Stecknadel fallen! Im Mural muss niemand Sorge haben, gegen Regeln zu verstoßen.“ 

Mural Food
Internationale Gerichte und Drinks, regional und nachhaltig, interpretiert sind eines der Markenzeichen der Mural-Gastronomie mit dem Slogan: eat local – drink naturally. Alle Fotos: Mural/tw. Lenka Li Lilling. 
bambule drink

Klarheit der Prozesse und Reinheit des Produkts

In den vier Jahren ihrer bisherigen Zusammenarbeit ist das Konzept-Portfolio auf inzwischen vier Betriebe angewachsen: Aus dem Kopper wurde die inzwischen mit einem Bib Gourmand ausgezeichnete (Wein-)Bar Mural, in der Wolfgang Hingerl sein ganzes Können als Sommelier in die Auswahl der rund 400 Weine gelegt hat, von denen etwa 50 offen ausgeschenkt werden. Eine offizielle Prüfung zum „Weinkellner“ hat er übrigens nie abgelegt, sondern sich vieles selbst beigebracht. „Eine Ausbildung nur des Titels wegen zu machen, passt nicht zu mir. Wein ist ohnehin ein Thema, das sich jedes Jahr verändert, nicht zuletzt durch den Klimawandel. Es lässt mich immer weiter lernen.“

Vor allem die Klarheit der Prozesse und die Reinheit des Produkts liegen ihm am Herzen – Taktgeber für die Weine in den Mural-Betrieben ist der biodynamische Anbau: „Ein guter Wein braucht einen gesunden Boden. Winzer, die den Boden vergiften und Raubbau an der Natur betreiben, kommen bei uns nicht auf die Karte“, ist Hingerl streng. 

Mural Farmhouse

Mit seinem kompromisslosen Qualitätsfokus steckt er auch seine Mitarbeiter an: „Es freut mich, dass einige unserer Köche inzwischen eine Sommelier-Ausbildung machen, um das Zusammenspiel von Essen und Wein besser zu verstehen. Auch viele Service-Mitarbeiter beschäftigen sich in ihrer Freizeit mit dem Thema, trinken selbst viel bewusster.“ Die beiden Chefs lassen ihrem jungen Team, sowohl in der Küche als auch im Service, die Freiheit, eigene Akzente zu setzen und ihren individuellen Stil zu entwickeln. Dieses Vertrauen ist die Grundlage eines familiären und freundschaftlichen Betriebsklimas, das den Unternehmern sehr wichtig ist.

In den Köpfen bleiben

Die Sorge um die fast 40 Mitarbeiter war auch ein starker Antrieb für allerlei Initiativen, mit denen Meyn und Hingerl während der Corona-Lockdowns aktiv geblieben sind. „Wochenlang stillzusitzen ist einfach nichts für uns“, sagt Meyn. Also übernahmen sie die Berliner Aktion „Kochen für Helden“ und lieferten gemeinsam mit dem Xavers Restaurant in acht Wochen 20.000 Essen an Angehörige systemrelevanter Berufe aus, retteten dabei 20 t Lebensmittel vor der Tonne.

In der „zweiten Welle“ brachten sie an jedem Wochenende bis zu 250 Gourmet-Menüboxen zu den Münchnern nach Hause. „Wir mussten wahnsinnig viel lernen, neue Kompetenzen entwickeln, haben uns sogar an Sushi aus regionalen Zutaten versucht. Es war uns wichtig, in den Köpfen der Leute zu bleiben“, sagt Meyn. 

Die Welten Bar und Restaurant verschmelzen immer mehr, es entstehen ganzheitlichere Konzepte für unterschiedliche Verzehrsituationen.

Moritz Meyn

Gastronom, Mural

Mural Döner war der Renner

Das gelang auch mit der Idee, aus der Bar Mural heraus Döner zu verkaufen. Also besorgten sie sich einen gebrauchten Spieß und das teuersten Tiefkühl-Fleisch, das der Händler hatte – „für 6,90 Euro das Kilo!“, erinnert sich Meyn. „Die Qualität war trotzdem so schlecht, dass wir stattdessen unser eigenes Lamm- und Kalbfleisch selbst geklopft und geschichtet haben.“ Komponiert aus hausgemachtem Brot, hochwertigem Gemüse, eigenen Saucen und sogar einem Hauch Trüffel, war der Mural Döner schnell der Renner bei den Münchnern, mittags gingen regelmäßig rund 150 Stück über die Theke. Und das zu einem Preis von satten 10 Euro! „Wir haben unsere Kalkulation erklärt und die Leute haben das verstanden“, berichtet Meyn. „Vermutlich hätten wir auch 18 bis 20 Euro nehmen können – und dann sogar Geld damit verdient.“ Der Döner-Spieß liegt mittlerweile im Keller, kann aber für Caterings jederzeit wieder hervorgeholt werden. 

Mural Farmhouse
Jüngster Streich: Das Mural Farmhouse im Hotel Wunder Locke arbeitet mit Zutaten aus teilweise eigenem Anbau. 

Restaurant im Hotel

Wichtig ist Meyn und Hingerl, sich mit jedem Projekt weiterzuentwickeln, nicht abzukupfern, sondern Neues zu schaffen und damit Impulse für die Münchner Gastronomie als Ganze zu geben. Nach der Mural Tagesbar in der Brienner Straße ging im September die Bambule! Bar by mural im neu eröffneten Schwan Locke-Hotel zwischen Hauptbahnhof und Theresienwiese an den Start. „Radau auf dem Teller und im Glas“ lautet hier das Motto. „Damit meinen wir den jüngeren, lockeren Twist, mit dem das junge Küchenteam entsprechend dem internationalem Anspruch des Hotels die Klassiker regional interpretiert“, präzisiert Hingerl. „Wir sind kein Hotelrestaurant, sondern ein Restaurant im Hotel. 80-90 Prozent unserer Gäste sind Münchner.“

Eine Ausbildung nur des Titels wegen zu machen, passt nicht zu mir.

Wolfgang Hingerl

Gastronom, Mural

Natürlich ist auch hier die Mural-DNA aus radikalem Farm-to-Table-Anspruch, einer mehr als umfangreichen Weinkarte und erstmals auch „classy“ Cocktails Basis des hybriden Ganztages-Konzepts, das einen abends als Restaurant genutzten Co-Workingspace mit einer Bar im hinteren Teil vereint. „Die Welten Bar und Restaurant verschmelzen immer mehr, es entstehen ganzheitlichere Konzepte für unterschiedliche Verzehrsituationen“, beobachtet Meyn. „Dort, wo es gute Getränke gibt, werden heute in der Regel auch sehr gute Speisen angeboten. Umgekehrt spricht die Küche bei der Getränkebegleitung in Restaurants zunehmend mit – sie soll genauso aufregend sein wie das Essen.“

Ort der Wissensvermittlung rund um Ernährung

Ein Restaurant mit 70 Plätzen, zwei Bars, Co-Working-Space und als Highlight eine 1.000 qm große Dachterrasse inklusive Urban Farming und Bienenstöcken – das sind die Eckdaten ihres neuesten Projekts, das nach einigen Verzögerungen nun endlich seine Pforten öffnen soll: Das Mural Farmhouse im frisch gestarteten Hotel Wunder Locke in Obersendling. „Hier wollen wir ‚lokal‘ und ‚saisonal‘ mit selbst produzierten Lebensmitteln noch radikaler umsetzen und die landwirtschaftliche Wertschöpfungskette in Teilen in die eigene Hand nehmen“, erklärt Hingerl. Küchenchef Rico Birndt wird das Farm-to-Table-Prinzip noch einmal ganz anders interpretieren. Doch nicht nur als Genuss-Destination, sondern auch als Ort der Wissensvermittlung rund um Ernährung ist das Farmhouse gedacht. „Wir wünschen uns, dass die Menschen hier einen ganzen Tag verbringen, dabei essen, trinken und lernen“, beschreiben die Unternehmer ihre Vision. 

Mural Schwan Locke
Tagesbar, Rezeption, Co-Working- und Social Space: Die Bambule Bar im Hotel Schwan Locke. 

Selbst besser werden

Das Vertrauen der Locke-Gruppe empfinden sie als Kompliment, das Spielfeld Hotel spannend: „Gastronomie ist das Versuchslabor, in dem die Trends entwickelt werden, die später die Hotellerie auch für Gäste aus der Umgebung interessanter machen“, erklärt Meyn. Sind derzeit weitere Projekte geplant? Anfragen gebe es viele, die Auswahl erfolge jedoch sehr sorgfältig, betont Hingerl. „Das Wachstum verändert unsere Aufgaben. Das bedeutet auch, manches loszulassen. Aber sicher ist: Wir machen nur noch Dinge, durch die wir selbst besser werden können.“ 

Übrigens: Auch Luel Mulugeta und Guy Lamare sind mit ihren Elaine’s-Konzepten für den Rolling Pin-Award nominiert. Unseren ebenfalls für die Fizzz enstandenen Artikel über die Frankfurter Gastronomen findet ihr hier: 
https://www.presstaurant.de/frankfurt-ist-verrueckt-nach-elaine