Der Fleischkonsum in den Industrieländern, seine Folgen für Umwelt, die Massentierhaltung und Auswirkungen auf die Gesundheit stehen in der westlichen Welt immer stärker im Kreuzfeuer der Kritik. Doch angesichts der trotz des medialen Dauerfeuers immer noch sehr geringen Zahl derer, die vollständig auf Fleisch verzichten – die Rede ist deutschlandweit von etwa 8-10 Prozent der Bevölkerung ist nicht zu erwarten, dass das Gros der Menschen hierzulande in naher Zukunft dem Genuss von Steak & Wurst abschwören wird. Nun werden die Stimmen lauter, die fordern: Esst mehr Wild! Sogar Spitzenköche und Delikatessen-Profis sprechen sich für einen verstärkten Verzehr von Jagdbeute aus. Schon rein mengenmäßig wird das Thema allerdings eine Nische bleiben. Und doch könnten gerade Gastronomen mit Hirsch, Wildschwein und Co. Akzente setzen.
Der Verzehr von Wildschweinen und Geweihträgern erscheint auf den ersten Blick als sinnvolle Alternative zu industriell aufgezogen und geschlachteten Tieren aus der Massenhaltung. Genießen die Waldbewohner doch – bis zum Abschuss – ein freies Leben. Mancherorts werden sie sogar zur Plage, sodass mehr abgeschossen werden muss als letztendlich verzehrt wird und sogar die Politik dafür wirbt, mehr Wild zu essen. Allerdings: Das Bundesamt für Risikobewertung weist gleichzeitig darauf hin, Wildtiere wegen möglichen Parasitenbefalls nur gut durchgegart zu verzehren – eine Empfehlung, die besonders für Schwangere und immungeschwächte Personen gilt.
Foto: Cervena
Hirsch als Alternative
Als Alternative zu heimischem Wild positioniert sich seit einigen Jahren mit wachsendem Erfolg Neuseelandhirsch. Die Tiere vom anderen Ende der Welt werden auf Farmen aufgezogen – mit viel Auslauf in freier Natur, aber gleichzeitig unter der Aufsicht von Züchtern und Veterinären. Drei Hirscharten werden seit über 40 Jahren auf den Inseln im Südpazifik domestiziert: Damhirsche, Rothirsche und Nordamerikanische Hirsche (Wapiti). Den größten Anteil am Export haben die Rothirsche. Die Tiere bewegen sich zeit ihres Lebens in weitläufigen Arealen, ernähren sich natürlich und werden nach der Schlachtung im Alter von in der Regel höchstens drei Jahren streng kontrolliert verarbeitet. Anschließend wird neuseeländisches Hirschfleisch sofort vakuumverpackt, gekühlt und auf dem Seeweg in die Importländer transportiert.
Durch seinen besonderen Geschmack und seine Vielseitigkeit inspiriert das neuseeländische Hirschfleisch auch deutsche Spitzenköche. Einige davon haben sich mit ihren Rezeptideen in dem Buch Moderne Wildküche, erschienen im Umschau Verlag, verewigt, darunter der Frankfurter Carmelo Greco, Volker Drosch (Düsseldorf), Michael Huber aus München und Matthias Gleiss (Berlin). Ihre Kreationen, zum Beispiel Gebeizter Hirschschinken mit Sommerfrüchten und Joghurtbrot oder Hirschragout und Hirschfilet im Weißbrotmantel, stellen das Produkt vom anderen Ende der Welt in den Mittelpunkt – allen Trends zur Regionalität zum Trotz.
Standortvorteil vom Weltmarkt
Denn nur mit Produkten aus der Region lässt sich heute keine gehobenes Restaurant auf Dauer betreiben, da sind sich die Profis einig. „Jeder Küchenchef, der die beste Qualität nicht nur in seinem Landkreis, sondern auf dem Weltmarkt sucht, verschafft sich einen Standortvorteil“, erklärt Restaurantkritiker Bernd Matthies. „Bretonische Langustinen, Wagyu-Beef und Iberico-Schinken lassen sich dauerhaft nicht durch Giersch und Suppenhühner vom Bauern nebenan ersetzen. Der Feinschmecker erhebt einen klaren Anspruch, für sein Geld den bestmöglichen Gegenwert zu erhalten.“
Die Produktion von Hirschfleisch ist zu einem wichtigen Wirtschaftszweig Neuseelands geworden. Heute leben fast 1 Mio. Hirsche über das Land verteilt auf rund 300 Farmen – die Hälfte des weltweiten Zuchtwilds. Neuseeland ist damit der größte Wildexporteur der Welt. Die meisten Tiere gehen nach Westeuropa, mit Deutschland als größtem Einzelmarkt. Sie fressen auf der Weide Alfalfa, Gräser und Kräuter. Dies führt nach Angaben des Züchterverbands Cervena zu einem zarten und besonders zarten und aromatischen Fleisch. Die Züchter verwenden keine wachstumsfördernden Hormone, Steroide oder Antibiotika. Das Cervena-Siegel erhalten nur Tiere, die drei Jahre oder jünger sind, und hohe Qualitäts- und Produktionsstandards einhalten.
Fotos: Cervena
Jungkoch Paddy Pope Moody schaute vier Wochen lang deutschen Spitzenköchen über die Schultern. Deutschland und Neuseeland setzen sich gemeinsam für die gastronomische Nachwuchsförderung ein. Foto: Chamäleon.
Gemeinsame Nachwuchsförderung
Um die Bande zwischen deutschen und neuseeländischen Top-Köchen zu stärken, wurde kürzlich der ‚Kia Ora Kiwi Star‘ zur Nachwuchsförderung ins Leben gerufen: Nachdem mehrere Jahre lang deutsche Jungköche auf die südpazifische Doppelinsel geschickt wurden, durfte in diesem Frühling Patrick Pope-Moody, ein mehrfach ausgezeichneter Jungkoch aus der Nähe von Wellington, für vier Wochen in verschiedenen Sterne- und Spitzenrestaurants in Frankfurt, Trier, Düsseldorf und Berlin in der Küche stehen und sein Wissen erweitern.
Aufstrebende Trendküche
Und wer weiß: Auch, wenn es hierzulande kaum jemand wahrnimmt, aber die neuseeländische Küche gilt als aufstrebender Star auf der Suche nach der eigenen Identität. Mit Einflüssen aus dem Vereinigten Königreich, der indigenen Maori-Kultur und dem polynesischen Raum ist Neuseeland ein Schmelztiegel, dessen aufregende Gastroszene sich durch große Kreativität und Produktfülle auszeichnet. Vielleicht ja eine der nächsten Trendküchen, auch in Europa?
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.