Gründer und nächste Generation der StäV: Harald Grunert, Jörn Brinkmann, Jan Philipp Bubinger und Friedel Drautzburg zeigen, wie auch stark mit ihren Inhabern identifizierte Konzepte erfolgreich in neue Hände gegeben werden können. Foto: StäV
Jörn Brinkmann kann es selbst kaum glauben: Schon mehr als eineinhalb Jahre ist es her, dass er gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Jan Philipp Bubinger das Berliner Restaurant Ständige Vertretung von den Gründern Harald Grunert und Friedel Drautzburg übernommen hat. Seither hat das neue Betreiber-Duo das StäV-typische Konzept der „politischen Gastronomie“ beibehalten und behutsam modernisiert. „So eine Übernahme birgt viele Risiken“, gibt Brinkmann zu. „Aber in unserem Falle haben wir wohl vieles richtig gemacht.“
Die „Ständige Vertretung des Rheinlands“ in Berlin – das waren 20 Jahre lang die beiden ursprünglich Bonner Gastronomen Drautzburg und Grunert. Leidenschaftlich hatten sie in den Neunziger Jahren gegen den Umzug der Bundesregierung vom Rhein an die Spree gekämpft. Nachdem die Entscheidung für Berlin gefallen war, resignierten sie nicht, sondern zogen kurzerhand mit. 1997 eröffneten sie am Schiffbauerdamm vis-à-vis dem Bahnhof Friedrichstraße ein einzigartiges Konzept, das die Exilanten aus dem Rheinland ebenso ansprach wie die Mitglieder des Politikbetriebs aus anderen Landesteilen und Touristen. Bis in den letzten Winkel mit Bildern und Memorabilien aus der bundesdeutschen Geschichte dekoriert, wurde die „StäV“ schnell zum Treffpunkt für Kölsch-Liebhaber, Karnevalisten und Polit-Prominenz.
Neue Heimat an der Spree
Drautzburg und Grunert verstanden es, den Bonnern an der Spree eine neue Heimat zu geben. Sie schafften es sogar, dass man in Berlin inzwischen „Fastelovend“ feiert! Und wurden bald selbst über die Grenzen der Hauptstadt hinaus zu prominenten Vertretern ihrer Zunft, mit denen sich Politiker jeder Couleur gerne fotografieren ließen. Wie wenige Wirte wurden sie mit ihrem Konzept identifiziert, auch wenn es längst sowohl selbst als auch per Franchising betriebene Ableger in anderen Städten gab. Von denen schlossen nicht wenige nach kurzer Zeit wieder – möglicherweise ein Zeichen dafür, wie sehr das Konzept auch von der Präsenz seiner starken Inhaber-Persönlichkeiten lebt.
So einen Betrieb zu übernehmen – das muss man sich schon trauen! „Im Grunde entsprang die Idee einer Bierlaune“, erinnert sich Jörn Brinkmann schmunzelnd – wenn auch kein Kölsch im Spiel war, sondern eher Spirituosen, denn er und Bubinger arbeiteten beide für Campari, als sie beschlossen, gemeinsam Gastronomie zu machen. Die beiden ausgebildeten Hotelfachleute hatten den Außer-Haus-Markt bereits aus verschiedenen Perspektiven kennen gelernt und verfügen außerdem über eine „ausgeprägte Gastgeber-DNA“.
Jan Philipp Bubinger und Jörn Brinkmann umgeben von ihrer ‚politischen Gastronomie‘: Die StäV ist ein Streifzug durch die deutsche Geschichte und Politik.
Vom Konzept fasziniert
Da kannte Jan Philipp Bubinger Harald Grunert schon länger, man hatte früher bereits Pläne für eine StäV als Lizenzbetrieb in Potsdam geschmiedet, aus denen aber letztlich nichts geworden war. Vom Konzept der StäV fasziniert, kamen Brinkmann und Bubinger erneut mit den Inhabern im Gespräch. Man fasste einen Standort am Mercedes-Benz-Platz in Berlin ins Auge, „aber wir waren von der Lage und den Bedingungen nicht überzeugt“, so Brinkmann. Eines Abends saß man zu dritt mit Grunert im StäV-Stammhaus. „Plötzlich fragte er: Wollt ihr nicht die StäV kaufen?“
Es folgten eineinhalb Jahre Verhandlungen, bei denen beide Seiten sich fachkundige Hilfe zu Rate zogen, damit der Generationenwechsel gelingen konnte. „Das Thema, ihr ‚Mutterschiff“ abzugeben, war für die beiden Inhaber ein sehr emotionales. Und wir waren vergleichsweise unerfahren“, berichtet Brinkmann, „Deshalb haben wir unter anderem einen Existenzgründungsberater an Bord geholt, der viele Fragen geklärt und bei der Kommunikation geholfen hat. So eine Übernahme sollte ohnehin nicht allein von vier Gastronomen verhandelt werden.“
Übernahme: Dos & Don'ts
- Generationenwechsel früh genug einleiten, damit Zeit für die Suche nach einem geeigneten Nachfolger und die Übergabe bleibt.
- Externe Hilfe in Anspruch nehmen, die zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen der abgebenden und übernehmenden Partei moderiert.
- Wenn das Konzept läuft, daran festhalten. Änderungen nur sehr behutsam umsetzen. Aber auch neue Zielgruppen im Auge behalten und ansprechen.
- Auf das Wissen der langjährigen Mitarbeiter hören.
- Offen sein für neue Möglichkeiten der digitalen Welt, zu denen die ältere Generation oft nicht den Zugang hat.
- Feedback holen von ‚Alten Hasen‘, auch außerhalb des Betriebs.
- Die Leistung der Gründer wertschätzen. Aber klar machen, wer nach der Übernahme das Sagen hat.
Die Leistung der Gründer bewahren
„Die Frage war: Können wir diese großen Fußstapfen überhaupt ausfüllen?“ Schließlich ist die StäV keine „normale“ Gastronomie. „Immerhin bin ich als gebürtiger Düsseldorfer mit Rhein-Wasser getauft“, sagt Brinkmann. Klar war: Die Leistung der Gründer wird bewahrt und auch in Zukunft nach außen kommuniziert. „Allein der Mut, den die beiden damals hatten, ist aller Ehren wert: Kölsch in Berlin auszuschenken, als noch keiner wusste, wie sich die Stadt entwickeln würde. Und dann noch politische Gastronomie!“
Diese sei heute fast noch schwerer zu führen als vor 20 Jahren, sagt Brinkmann: „Man läuft inzwischen immer Gefahr, in ein Lager zu geraten. Früher saßen ein CDU- und ein SPD-Wähler am Stammtisch und haben miteinander diskutiert. Heute ist es viel bunter, aber es wird auch viel kontroverser gestritten, zum Teil auch mit weniger Anstand.“
Dialog zwischen den Parteien fördern
In der StäV ist Politik zwar Thema, auf eine Seite schlagen will man sich aber nicht: „Wir sind ein demokratischer Laden.“ Um die – friedliche – Kommunikation zwischen den Parteien zu fördern, haben Brinkmann und Bubinger eine regelmäßige „Sprechstunde“ eingeführt, zu der sich während der Sitzungswochen jeweils ein Bundestagsabgeordneter bei Kaffee und Croissants den Fragen von Bürgern und Journalisten stellt. „Wir wollten das Politische in der StäV nicht nur an Bildern festmachen, sondern auch ein Ort des Dialogs sein, an dem Politik hautnah erlebt werden kann.“
Kommen die Größen der Politik denn weiterhin? „Vor Kurzem war AKK da, ebenso wie Sigmar Gabriel und Christian Lindner“, zählt Brinkmann auf. Und so hängen längst auch neue Bilder in der StäV, auf denen Bubinger und Brinkmann mit aktuellen Politikern abgebildet sind, nicht mehr nur Drautzburg und Grunert mit Helmut Kohl & Co.
Musik und moderne Spirituosen
Bei einer Übernahme sei es zwar wichtig, das erfolgreiche Konzept zu bewahren, aber man müsse auch ans Morgen denken, eigene Ideen verwirklichen, betont Brinkmann. „Das Publikum verändert sich. Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist es, neue Zielgruppen anzusprechen.“ So zog mit den neuen Inhabern erstmals eine Musikanlage in die StäV ein. „Das Restaurant an sich hat schon einen gewissen Geräuschpegel, der zum Kneipencharakter einfach dazu gehört. Aber wir stellen fest, dass Hintergrundmusik sich durchaus verkaufsfördernd auswirkt.“
Ab 21 Uhr genießen die Gäste die Untermalung bei ihren After-Dinner-Drinks: „Dann rückt der Bar-Bereich in den Mittelpunkt, was wir auch durch ein komplett überarbeitetes Spirituosen-Sortiment fördern“, erklärt Brinkmann. Das urbane Publikum wünscht neben Kölsch auch Trend-Drinks wie Gin Tonic. „Unser Wein-Portfolio ist ebenso vollständig neu, mit vielen jungen Winzern, die zu uns passen, und sogar eigenen Cuvées.“
Am Herd hat mit Frank Uebelherr ein neuer Küchenchef die Regie übernommen, der die rheinisch-deutschen Gerichte moderner interpretiert – ohne dass Klassiker wie Himmel un Ääd von der Karte verschwinden. Stattdessen bekommen sie Gesellschaft von neuen Signature Dishes wie dem ‚Pulled Sauerbraten Burger‘. „Es wird von unseren Gästen deutlich wahrgenommen, dass wir uns kulinarisch verbessert haben“, freut sich Brinkmann. Dabei hilft auch eine Justierung des Küchenlayouts, das die Bewältigung von Spitzenzeiten besser als zuvor ermöglicht. „Wir haben einiges angestoßen und verändert, aber werden nicht vergessen, wo die StäV herkommt und was sie ausmacht.“
Karneval auch außerhalb der Saison
Dazu gehört natürlich auch, dass das Restaurant das Epizentrum des Karnevals im Herzen Preußens bleibt. „Es ist doch toll, dass wir den Karneval hier haben und die Nachfrage, gerade des jungen Publikums, nach den Veranstaltungen wächst so stark, dass wir nicht mehr nur Weiberfastnacht und Rosenmontag feiern, sondern einen rheinischen Frühschoppen mit unserem karnevalserprobten Resident DJ eingeführt haben. Wenn wir die Karten für den kölschen Mitsing-Event ‚Loss mer singe‘ verkaufen, stehen 1.000 Leute vor der Tür. Deshalb machen wir sowas nun auch außerhalb der Saison.“
Halber Liter Kölsch für Touristen
Der ganze Übergang sei ziemlich geräuschlos abgelaufen, sagt Brinkmann. „Viele unserer Gäste sind Touristen, sie interessieren sich weder für die früheren, noch für die heutigen Besitzer, sondern wollen die deutsche Kultur erleben. Manche wissen noch nicht einmal, dass sie sich in einem rheinischen Restaurant befinden. Die bestellen dann auch mal einen halben Liter Kölsch – was es im Rheinland natürlich nie geben würde.“
Die Modernisierung trägt finanziell Früchte: Das Umsatzplus bewege sich „im zweistelligen Bereich“, soviel verrät Brinkmann. „Daran lassen wir unser Team teilhaben, denn das Thema Mitarbeiter ist ein herausforderndes.“ 60 Köpfe zählt die Mannschaft, wie die gesamte Branche kämpft auch die StäV mit Fluktuation. „Der eine oder andere wollte den neuen Weg nicht mitgehen, andere haben uns super akzeptiert. Eine Übernahme bedeutet immer auch, dass die Mitarbeiter ihre Komfortzone verlassen müssen.“
Personen des öffentlichen Lebens
Überraschend kam für Bubinger und Brinkmann, dass auch sie nun – nicht nur im politischen und medialen Zentrum der Hauptstadt – Personen des öffentlichen Lebens sind. „Als Inhaber der Ständigen Vertretung wird man etwas genauer beobachtet als in anderen Restaurants. Die Marke ist auch über die Landesgrenzen von Berlin hinaus sehr bekannt.“
Brinkmann vergleicht die Übernahme der StäV mit einem Generationenwechsel innerhalb von Inhaber-Familien. „Dort gibt es ähnliche Herausforderungen: Man muss die teilweise sehr unterschiedlichen Bedürfnisse beider Parteien zusammenbringen.“ Ebenso ihr jeweiliges Wissen und ihr Können. Nicht zuletzt gilt es, auf Gefühle Rücksicht zu nehmen und loszulassen.
Gründer lassen Nachfolgern freie Hand
Wie gelingt dies in der StäV? Sind die Gründer noch sehr präsent? Bei aller Empathie sei es von außen schwer, nachzuvollziehen, was es bedeute, ein Herzblut-Konzept wie die StäV anderen zu überlassen, unterstreicht Brinkmann. „Friedel Drautzburg und Harald Grunert sind immer noch Eigentümer der GbR und der Marke StäV. Und ja: Sie sind auch noch oft im Restaurant, wohnen unmittelbar in der Nähe. Aber sie lassen uns wirklich freie Hand. Wir sind froh, sie und ihre Erfahrung zu haben. Aber am Ende des Tages ist klar: Die StäV gehört jetzt Jan Philipp Bubinger und mir.“
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.