Health Food, aber lecker und ohne Dogma. So beschreibt Lisa Wäsch das Konzept von 91Raw, ihrem Gastro-Startup mit dem sie seit dem Sommer 2019 im Frankfurter Bahnhofsviertel die Angestellten aus den benachbarten Bankentürmen satt und glücklich macht. Denn deren Bedürfnisse kennt sie ganz genau: Die Wirtschaftswissenschaftlerin hängte ihren Traumjob in einem Beauty-Konzern an den Nagel, weil sie merkte, dass die langen Arbeitszeiten, das unregelmäßige Essen und die obligatorischen After-Work-Drinks sie körperlich und seelisch belasteten. Viel arbeiten muss sie als Startup-Unternehmerin immer noch: „Aber ich weiß jetzt, was mir gut tut und das möchte ich auch meinen Gästen anbieten!“
Lisa Wäsch merkte bei der Arbeit in einem Konzern, dass sie mehr auf ihren Körper achten und sich gesund ernähren muss, um den Herausforderungen gewachsen zu sein. Mit ihrem Konzept ’91Raw‘ will sie ihre Gäste im Frankfurter Bahnhofsviertel dabei unterstützen. ’91‘ steht für ihr Geburtsjahr, ‚Raw‘ dafür, dass die meisten Speisen ungekocht serviert werden und dass der Körper als Ursprung der menschlichen Existenz ohne Ablenkung durch Arbeit und Stress im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen sollte.
„Ich will meine Kunden nicht erziehen“, betont die Unternehmerin. „Deshalb sind wir – anders als andere Konzepte mit starkem Fokus auf gesunder Ernährung – auch nicht vegetarisch oder vegan.“ Jeder soll für sich selbst entscheiden, ob er Fleisch, Fisch oder Käse essen möchte. Und alle Gerichte sollen die gleiche Qualität und den gleichen Stellenwert im Sortiment haben, um niemanden auszuschließen.
Schwerpunkt auf Bowls
Alle Rezepte hat die Quereinsteigern nach ihrem eigenen Geschmack selbst kreiert – die Auswahl soll leicht fallen, „weil einfach alles gut schmeckt und gut für den Körper ist.“ Der Schwerpunkt des Angebots liegt auf Schüsselgerichten – zum Frühstück oder Lunch, als Smoothie Bowls oder Salat, mit saisonalen und wo möglich regionalen Zutaten. „Es geht um echte, gute Ernährung, jenseits von dem, was uns die Lebensmittelindustrie als wertvoll verkaufen will.“
Der Konzeptname verweist darauf, dass die meisten Speisen kalt serviert werden – „in den Wintermonaten bieten wir allerdings auch ein Curry an“, erklärt Wäsch, die sich nicht nur ihr Wissen über Ernährung, sondern auch das unternehmerische Know-How selbst beigebracht hat. „Nicht alles, was ich für die Gründung und den gastronomischen Alltag brauche, an der Uni gelernt zu haben, schützt mich davor, Scheuklappen zu tragen“, sagt sie. „Man ist offener und flexibler.“
Vitamine und Nährstoffe bleiben erhalten
Neben Bowls können die Kunden sich auch für Wraps und Sandwiches entscheiden – manches wird erst auf Bestellung hinterm Counter zubereitet, anderes steht bereits im Grab&Go-Kühlschrank am Eingang des kleinen Stores am Rande des Frankfurter Bahnhofsviertels zum Mitnehmen bereit. Dort finden sich auch Getränke wie ausgefallene Limonaden, Kokoswasser und die vor Ort frisch kaltgepressten Säfte. „Der Vorteil der möglichst rohen, schonenden Zubereitung ist, dass die Vitamine und Nährstoffe erhalten bleiben“, erklärt Wäsch. „Ich persönlich liebe es, ein Nahrungsmittel in seinem Ur-Zustand zu fühlen und zu essen.“ Einige Komponenten wie Reis oder Süßkartoffeln müssen selbstverständlich gegart werden. Brot und Gemüse bezieht 91Raw von regionalen Lieferanten, Fleisch und Fisch möglichst in Bio-Qualität.
Ein kleiner Auszug aus der Speisekarte? Darauf findet sich zum Beispiel die Burnt Avo Chicken Lunch Bowl mit mariniertem Hähnchenfleisch, Quinoa, Thymian, Süßkartoffeln, Edamame, karamellisiertem Mais, Hummus und mit dem Brenner gerösteter Avocado und Mango-Chili-Dressing. Oder der Salat Marra Kesh aus Couscous mit Gemüse, gerösteten Kichererbsen und Wassermelonen-Rettich. Oder der Breakfast Burrito mit Bio-Rührei, Bacon-Marmelade und Cheddar. Oder das Pastrami-Sandwich auf Sauerteigbrot. Die Preise? Zwischen 3,90 und 9,50 €. „Günstiger können wir nicht sein. Aber es ist mir wichtig, dass die Leute für ihr Geld satt werden“, betont Wäsch. Satt, aber nicht schwer: Keine Bowl hat mehr als 520 kcal.
Eigener Lieferservice
Die Gäste – zwischen 80 und 120 am Tag, zu 80 % Stammkunden – schätzen die Mischung aus Gesundheit und Genuss, die Lisa Wäsch ihnen bietet. „Das Schöne ist, dass wir sehr nah an unseren Gästen dran sind und von ihnen viel Feedback erhalten. Und die meisten kommen immer wieder.“ Viele von ihnen sind allerdings zeitknapp. „Deswegen werden wir bald einen eigenen Lieferservice einrichten“, kündigt Wäsch an. Die Zusammenarbeit mit Lieferando gestalte sich derzeit schwierig: „Dort gibt es momentan einen großen Mangel an Fahrern, sodass es vorkommt, dass Restaurants wochenlang als ‚geschlossen‘ geführt werden, weil die Kapazitäten fehlen. Das kann auf Dauer Existenzen kosten!“ Das über den Dienstleister, der mittlerweile ein Monopol in Deutschland hat, verkaufte Volumen habe sich bei 91Raw in den vergangenen Wochen auf rund ein Sechstel reduziert.
Einen kleinen eigenen, für Büros konzipierten ‚Lieferservice‘ gibt es auch schon: Zweimal pro Woche besucht 91Raw zum Beispiel den Co-Working-Space WeWork in der Mittagszeit mit einem selbstgebauten mobilen Counter, aus dem Bowls, Wraps und Sandwiches verkauft werden. Auch bei Events und Messen kommt das Gefährt inzwischen häufig zum Einsatz.
Demnächst soll außerdem eine Kooperation mit einem Fitness-Anbieter in Frankfurt starten. „Hier werden wir voraussichtlich mit unseren eigenen Mitarbeitern an einer Bar unsere Produkte anbieten“, berichtet Wäsch. „Die Zielgruppen passen bestens zusammen und wir können unseren Bekanntheitsgrad erhöhen.“ Ihre Botschaft der gesunden und gleichzeitig leckeren Ernährung bringt sie außerdem bald auch mit einem digitalen Online-Magazin unter die Leute.
Im Laden an der Münchner Straße selbst gibt es neun Sitzplätze plus Außenbestuhlung, die bei den Gästen sehr gefragt sind: „Wir sind ursprünglich von einer gewünschten Take-away-Quote von 80 Prozent ausgegangen, aber die Gäste fühlen sich bei uns so wohl, dass sie auch gerne vor Ort essen.“ Momentan liegt der Anteil des Inhouse-Verzehrs bei ca. 65 Prozent. „Wir arbeiten daran, die Mitnahme-Quote zu erhöhen“, erkärt Wäsch.
Health Food für Urban Professionals
Bezahlt wird ausschließlich bargeldos, Umgangssprache ist vielfach Englisch. „Bei unserer internationalen Klientel ist das kein Problem, im Gegenteil“, sagt Wäsch. 70 Prozent ihrer Gäste sind weiblich, das Altersspektrum reicht von 25 bis 45 Jahren. „Und alle sind berufstätig, urban professionals. Sie können mit uns viel anfangen. „
Wichtig ist Lisa Wäsch, ihren Fokus nicht zu verlieren und ihrem Konzept treu zu bleiben: „Es ist ein schmaler Grad zwischen dem flexiblen Eingehen auf Kundenwünsche und der Bewahrung seiner Authentizität.“ Sie sagt selbst von sich, dass sie Herausforderungen liebt und groß denkt. Deshalb verwundert es nicht, dass es nicht bei einem 91Raw-Standort bleiben soll. Perspektiven sieht sie vor allem in der Kooperation mit Unternehmen, die ihr Essensangebot für die Mitarbeiter verbessern und gesünder gestalten wollen. „Dort besteht zurzeit unheimlich viel Bedarf an Beratung und Konzepten.“
Barbara Schindler entdeckte schon früh ihre Lust am Schreiben. Mit 16 stand für sie fest: Ich will das Geschichtenerzählen zum Beruf machen, werde Journalistin. Mit einem Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Romanistik orientierte sie sich in Richtung Feuilleton, landete dann aber nach einigen Umwegen beim Fachjournalismus mit Schwerpunkt Gastronomie. Seither berichtet sie – zunächst als festangestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift Food-Service, seit Sommer 2018 freiberuflich – über alle Aspekte der Branche. Barbara Schindler ist verheiratet und lebt in Frankfurt am Main.